Auf Wiedersehen, meine Freunde, euer geliebter Don Alfonso Boswas verlässt das Dorf mit Tränen der Trauer in den Augen. Vergesst mich nicht und erzählt meine Geschichte euren Kindern, die sie auch den ihren erzählen sollen, bis zum Ende aller Zeiten.«
Lauter Jubel erklang. Feuerwerkskörper knallten, und sämtliche Hunde fingen an zu bellen. Einige alte Männer schlugen in einem verzwickten Rhythmus Stöcke aneinander. Das Boot wurde in die Strömung hinausgeschoben.
Der Bug schnitt durchs Wasser. Don Alfonso blieb stehen.
Er winkte der wild jubelnden Menge und warf ihr Kuss-händchen zu, bis das Boot die nächste Flussbiegung über-wunden hatte.
»Ich hab das Gefühl, als wären wir gerade mit dem Zauberer von Oz mit einem Ballon gestartet«, sagte Sally.
Don Alfonso nahm endlich Platz. Er wischte sich die Tränen aus den Augen. »Da seht ihr mal, wie sie ihren Don Alfonso Boswas lieben.« Er machte es sich auf dem Vorrats-stapel bequem, zückte seine Maiskolbenpfeife, stopfte sie mit Tabak und fing mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck an zu paffen.
»Sind Sie wirklich hunderteinundzwanzig Jahre alt?«, fragte Tom.
Don Alfonso zuckte die Achseln. »Niemand weiß, wie alt er wirklich ist.«
»Ich aber schon.«
»Haben Sie jedes Jahr seit Ihrer Geburt gezählt?«
»Nein, das haben andere für mich getan.«
»Dann wissen Sie es also auch nicht genau.«
»Sicher weiß ich es. Es steht auf meiner Geburtsurkunde.
Der Arzt, der mich zur Welt gebracht hat, hat sie unterschrieben.«
»Wer ist dieser Arzt? Und wo ist er jetzt?«
»Keine Ahnung.«
»Glauben Sie wirklich einem nutzlosen Stück Papier, das ein Fremder unterzeichnet hat?«
Tom schaute den Greis an. Diese irre Logik machte ihn fertig. »In Amerika gibt es einen Beruf für Menschen wie Sie«, sagte er. »Wir nennen sie Rechtsanwälte.«
Don Alfonso lachte laut und schlug sich aufs Knie. »Das ist ein guter Witz. Sie sind wie Ihr Vater, Tomasito, er ist auch ein sehr komischer Mensch.« Er kicherte eine Weile vor sich hin und paffte. Tom packte die Landkarte von Honduras aus und nahm sie in Augenschein.
Don Alfonso musterte sie mit kritischen Blicken, dann riss er sie Tom aus der Hand. Er untersuchte sie zuerst von der einen, dann von der anderen Seite. »Was ist das? Nordamerika?«
»Nein, der Südosten von Honduras. Das da ist der Río Patuca, und dort liegt Brus. Das Dorf Pito Solo müsste sich hier befinden, aber es ist nicht eingezeichnet. Der Meambar-Sumpf scheint auch nicht drauf zu sein.«
»Dann existieren wir und der Meambar-Sumpf laut dieser Karte also gar nicht. Passen Sie bloß auf, dass diese überaus wichtige Landkarte trocken bleibt. Vielleicht können wir sie eines Tages verwenden, um ein Feuer anzuzünden.« Don Alfonso lachte über seinen Scherz und deutete auf Chori und Pingo, die den Hinweis verstanden und ihrer Erheite-rung ebenfalls Ausdruck gaben, obwohl sie keines seiner Worte verstanden hatten. Don Alfonso lachte sich schief und schlug sich auf den Schenkel, bis ihm die Tränen kamen.
»Wir haben unsere Reise gut begonnen«, sagte er, als er wieder zu Atem gekommen war. »Wir werden bei unserem Ausflug sehr viel lachen und Spaß haben. Das ist auch gut so, denn sonst macht der Sumpf uns irre und wir sterben.«
Sie hatten das Lager mit der üblichen militärischen Präzision auf einer hohen, vom Sumpf umgebenen Insel aufgeschlagen. Philip saß am Feuer, rauchte seine Pfeife und lauschte den abendlichen Klängen des Regenwaldes. Es überraschte ihn, wie kompetent Hauser im Dschungel war.
Er hatte das Lager gestaltet und organisiert und leitete die Soldaten bei ihren verschiedenen Aufgaben an. Bisher hatte er von Philip rein gar nichts verlangt und jedes seiner Hilfsangebote abgelehnt. Natürlich war Philip nicht wild darauf, durch den Dreck zu waten und fürs Abendessen Riesenratten zu jagen. Genau das schienen die anderen nun gerade zu tun. Doch andererseits konnte er das Gefühl, nutzlos zu sein, auch nicht ausstehen. Am Feuer zu sitzen und Pfeife zu rauchen, während die anderen die ganze Arbeit erledigten, war nicht die Prüfung, die sein Vater im Sinn gehabt hatte.
Philip trat ein Stück Holz in die Glut zurück. Zum Teufel mit der Prüfung. Seit König Lear sein Reich geteilt hatte, war sie mit Sicherheit die größte Eselei, die ein Vater seinen Kindern je angetan hatte.
Ocotal, der Führer, den sie in dem jämmerlichen Kaff am Fluss aufgelesen hatten, saß für sich allein, hegte das Feuer und kochte Reis. Er war ein eigenartiger Bursche - klein, schweigsam und voller Würde. Irgendetwas hatte er an sich, das Philip anziehend fand. Er gehörte offenbar zu jenen Menschen, die unerschütterlich von ihrem eigenen Wert überzeugt waren. Ocotal kannte sich eindeutig auf seinem Gebiet aus und führte sie Tag für Tag und ohne das geringste Zögern durch einen unglaublichen Irrgarten von Seitenarmen des Flusses, wobei er Hausers Ermahnungen, Kommentaren und Fragen keine Beachtung schenkte.
Wenn Philip oder Hauser versuchten, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, gab er sich unzugänglich.
Philip schlug den Pfeifenkopf aus, freute sich, dass er einen Vorrat an Dunhill Early Morning mitgenommen hatte, und nahm die nächste Füllung in Angriff. Er sollte wirklich weniger rauchen, besonders angesichts der Krankheit seines Vaters. Nach der Reise. Im Moment war der Qualm die einzige Möglichkeit, die Moskitos zu vertreiben.
Rufe wurden laut. Als Philip sich umwandte, sah er, dass Hauser von der Jagd zurückkehrte. Vier Soldaten schleppten einen an einen langen Ast gebundenen Tapir. Sie hängten das Tier mit einem Flaschenzug an den Ast eines Baumes. Dann ließ Hauser die Männer allein und nahm neben Philip Platz. Als er eine Zigarre hervorzog, abknipste und anzündete, verströmte er einen leichten Geruch von Rasierwasser, Tabakrauch und Blut. Er inhalierte den Rauch und stieß ihn dann wie ein Drache durch die Nasenlöcher aus.
»Wir kommen ganz gut voran, Philip, finden Sie nicht auch?«
»Bewundernswert gut.« Philip schlug nach einem Moskito. Es war ihm schleierhaft, wieso Hauser nie gestochen wurde, obwohl er allem Anschein nach zu seinem Schutz keine Chemikalien verwendete. Vielleicht enthielt sein Blutkreislauf ja eine tödliche Dosis Nikotin. Philip fiel auf, dass Hauser den Rauch der dicken Churchill-Zigarre inhalierte wie den einer Zigarette. Eigenartig, dass manche Menschen an etwas starben, von dem die anderen lebten.
»Ist Ihnen Dschingis Khans Dilemma vertraut?«, fragte Hauser.
»Kann ich nicht behaupten.«
»Als Dschingis Khan sich auf den Tod vorbereitete, wollte er so bestattet werden, wie es einem großen Führer gebührte - mit einem Haufen seiner Schätze, mit Konkubinen und Pferden, damit er auch im Jenseits seinem Vergnügen nachgehen konnte. Aber er wusste, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch war, dass man seine Grabkammer ausrauben und ihm alle Freuden nehmen würde, die ihm im Jenseits zustanden. Er hat lange darüber nachgedacht, wie sich dieses Problem wohl lösen ließe, doch fiel ihm keine Antwort ein. Schließlich rief er den Großwesir zu sich, den klügsten Mann in seinem Reich.
>Was soll ich tun, um zu verhindern, dass meine Grabkammer geplündert wird?<, fragte er den Wesir.
Der Wesir dachte lange darüber nach, und schließlich fiel ihm eine Antwort ein. Er erklärte sie Dschingis Khan, und der Herrscher war zufrieden. Als Dschingis starb, führte der Wesir den Plan aus. Er schickte zehntausend Arbeiter in das abgelegene Altai-Gebirge, wo sie eine riesige Grabkammer aus dem Fels schlugen und mit Gold, Edelsteinen, Wein, Seide, Elfenbein, Sandelholz und Weihrauch füllten.
Über tausend schöne Jungfrauen und tausend Pferde wurden zur Lust des großen Khans dem Jenseits geopfert. Es gab eine gewaltige Bestattungszeremonie und ein rauschendes Fest für die Arbeiter, dann wurde Dschingis Khans Leiche in die Grabkammer eingeschlossen und die Tür sorgfältig getarnt. Das ganze Gebiet wurde mit Erde bedeckt, dann ritten tausend Reiter durch das Tal, um sämtliche Spuren ihrer Arbeit zu tilgen.
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