Nach unserem Gespräch über Krafttiere sprach der Junge:
– Mein Vater, der König, hat mir gesagt, dass ich die Soldaten begleiten darf, wenn sie fortziehen, um für die Menschen von Kanuataba zu kämpfen. Wir werden nach Sakamil, Ixtachal und Laranam ziehen und kämpfen, so wie es der Morgenstern, der in die Dunkelheit wandert, vorherbestimmt hat. Es wird ein großer Krieg werden, ein Krieg des Abendsterns. Erfüllt dich das nicht mit Stolz, mein weiser Lehrer? –
Zorn stieg in mir auf, und ich ließ mich zu Worten hinreißen, die mich das Leben hätten kosten können:
– Hast du dich einmal auf der Straße umgesehen, auf den Märkten, wo es wegen der Dürre nichts mehr zu kaufen gibt? Es ist ein trauriger Anblick, Prinz, aber du kannst die Not der Menschen mit eigenen Augen sehen. Sogar die Soldaten hungern, auch wenn sie nun irgendwelche neuen Methoden des Einsalzens haben. Wir können es uns nicht leisten, in fernen Ländern Krieg zu führen! –
Daraufhin erwiderte der Junge hitzig:
– Meinem Vater ist geweissagt worden, dass wir den Sternenkrieg gegen ferne Königreiche führen müssen! Wie kannst du es besser wissen als die Sterne? Wir werden kämpfen, wie die Götter es befohlen haben! Ich werde Seite an Seite mit den Kriegern von Kanuataba kämpfen! –
Das Herz war mir schwer vor Kummer. Ich sah das Kind an und sprach:
– In jedem Mann lodert das heilige Feuer, Prinz. Aber eines Tages wirst du die Menschen von Kanuataba führen, deshalb musst du deine Geisteskraft unter Beweis stellen. Du hast deine Studien noch nicht abgeschlossen. Es ist nicht meine Aufgabe, dich im Gebrauch des Blasrohrs oder der Wurfkugel zu unterweisen, es ist nicht meine Aufgabe, einen Soldaten aus dir zu machen, damit du im Kampf dein Leben lässt! –
Da sprang der Prinz auf und rannte hinaus. Ich sollte die Tränen nicht sehen, die ihm aus den Augen strömten. Ich rief ihn, aber er kam nicht zurück.
Ich war überrascht, dass Kawil seinem Herrn nicht folgte. Stattdessen sprach er:
– Ich werde ihn zurückholen, Schreiber. –
– Gut, dann geh. –
– Darf ich zuerst etwas sagen, heiliger Schreiber? Es geht um Auxila. –
Ich erteilte ihm die Erlaubnis zu sprechen.
Kawil erzählte mir, dass er einige Nächte nach Auxilas Tod auf dem Opferaltar vor dem Palast gesessen und Haniba, Auxilas Frau, und ihre beiden Töchter gesehen habe.
Er sagte:
– Sie waren gekommen, um an der Opferstätte zu beten. –
Ich erschrak, als ich das hörte. Jede Frau, deren Mann auf dem Altar geopfert wurde, weiß, was zu tun ist. Haniba hatte es versäumt, ihre Pflicht zu erfüllen, und so die Götter beleidigt. Er sei den Frauen aus der Stadt hinaus bis zu deren Haus gefolgt, erklärte Kawil weiter.
Mir war sofort klar, was ich zu tun hatte.
Jemand musste Auxilas Frau an ihre Pflicht erinnern. Seit Anbeginn der Geschichte ist es der Wille von Itzamnaaj, dass Frauen ihren geopferten Männern in die jenseitige Welt folgen, indem sie einen ehrenvollen Selbstmord begehen. Auxila war mein Bruder, mein enger Freund gewesen, und seine Frau hatte etwas Besseres verdient als die namenlosen Schrecken eines Lebens vor den Toren der Stadt.
Wenn sie nicht gewillt war, dem Ruf der Götter zu folgen, würde ich ihr helfen müssen.

Als der Morgenstern ein weiteres Mal durch den rötesten Teil des großen Skorpions am Himmel wand mich wie ein einfacher Mann in Lendenschurz und Sandalen, damit man mich nicht erkennen konnte.
Am Rande der Stadt haust der Abschaum von Kanuataba – Männer und Frauen, die aufgrund von irgendwelchen Vorzeichen von der Hinrichtung verschont blieben, die aber ihrer Verbrechen wegen aus der Stadt verbannt wurden. Hier lebten Diebe und Ehebrecher, die eine Mondfinsternis vor dem Tod gerettet hatte; säumige Schuldner, die nur dank der Gnade des Abendsterns noch am Leben waren; Menschen, die Missbrauch mit Rauschmitteln treiben; und sogar jene, die, so heißt es, die größten Sünder von allen sind, dazu bestimmt, bis in alle Ewigkeit von Norden nach Süden auf der Erde umherzuirren: jene, die törichterweise nur die Gottheiten verehren, deren Günstlinge sie zu sein glauben.
Für die Behausungen hier wird weder Kalkstein noch Marmor verschwendet, und jeder Steinhauer Diebstahl von Kalkstein erwischt wird, wird öffentlich hingerichtet. So werden diese Hütten aus Lehm gebaut. Hier leben nur die Menschen, die einem verbotenen Gewerbe nachgehen: dem Verkauf von Ra Wetten auf Ballspiele, Hurerei.
Ich hatte mein Gesicht mit dem Tuch verhüllt, mit dem ich die Kalksteinpaste auf das Papier auftrage. In der Hand hielt ich Kakaobohnen, ich verteilte sie an die Frauen, die ich auf der Straße ansprach, um mich nach dem Weg zu Hanibas Hütte zu erkundigen. Jede dieser Frauen bot mir ihren Körper als Gegenleistung für die sie waren völlig verwirrt, als ich ablehnte. Ich sprach mit einer alten Hure. Sie schickte mich zweihundert Schritt weiter den Weg hinunter, zu einer Reihe von Verschlägen, die ich nicht mehr gesehen hatte, seit ich als Junge hier meine Unschuld verlor.
Das Stöhnen einer Frau drang aus einem der Verschläge. Als ich nachsah, erblickte ich Haniba, und Mann, ein widerlicher Mann, der brutal in sie eindrang. Haniba besudelte ihre Ehre! Auf dem Bode beiden lagen vier Kakaofrüchte fein säuberlich nebeneinander. Die beiden bemerkten nicht, wie ich m mir die Früchte genauer ansah. In zweien von ihnen befanden sich keine Bohnen. Der Mann war ein Betrüger!
Ich packte einen großen Sitzstein, der in einer Ecke lag, hob ihn hoch über den Kopf und schlug da Kraft zu. Der Mann sackte leblos auf Haniba zusammen, und sie stieß einen gellenden Schreckensschrei aus. Wahrscheinlich dachte sie, Iztamaal selbst habe den Stein herabgeschleudert, um sie zu bestrafen. Als i von ihr herunterzerrte und sie mein Gesicht sah, wandte sie sich zutiefst beschämt ab. Doch die größe dass sie immer noch auf dieser Erde weilte.
Sie sprach:
– Sie haben mir alles genommen, Paktul – mein Haus, meine Kleidung, Auxilas Besitz. –
– Ich weiß, warum du hier bist, und ich bin gekommen, um dich anzuflehen, Haniba. Du musst klug handeln. Deine Kinder hungern, weil niemand sie bei sich aufnehmen wird, solange du noch am Leben bist. U nicht geheim halten können. –
Sie weinte, das Atmen fiel ihr schwer, als sie fortfuhr:
– Ich kann der Weisung der Götter erst Folge leisten, wenn ich meine Kinder in Sicherheit weiß. Geflammte Feder kommt in das Alter, wo irgendein Greis, der sich ein junges Mädchen wünscht, ein Auge auf sie werfen wird. Du hast selbst gesehen, wie Prinz Rauch Lied meine Geflammte Feder anschaut – sie hätte Königin werden können, Paktul! Der König hat erwogen, sie dem Prinzen zur Frau zu geben, und der Prinz ist ein guter Mann, er hätte sie verdient. Aber nun, da ihr Vater Schande über sich und über uns gebracht hat, können die beiden nicht vermählt werden. Welcher anständige Mann wird Geflammte Feder denn jetzt noch nehmen? Das verstehst du doch, Paktul, nicht wahr? Du weißt, was eine solche Schmach bedeutet, du hast sie doch selbst empfunden, als dein Vater dich im Stich ließ! –
Für diese Worte hätte ich sie am liebsten geschlagen. Aber als ich den Ausdruck von Traurigkeit in ihren Augen sah, konnte ich es nicht. Ich kannte diese Frau, seit Auxila und ich klein waren und sie mit Stöcken vor uns her jagten.
Ich sprach:
– Such dir eine Ranke, die lang genug ist, und schlinge sie dir um den Hals, wenn die Sonne das nächste Mal sinkt. Erhänge dich, Haniba, tue es mit Stolz und erfülle deine Pflicht als Frau eines Adligen, der den Göttern geopfert wurde. –
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