»Alles in Ordnung, Karen?«, fragte Rick.
»Hör auf, dir Sorgen zu machen um mich.«
»Aber –«
»Mir geht’s gut. Kümmere dich lieber um Danny. Der sieht schlecht aus.«
Danny hatte sich auf einen Stein gesetzt und schien nicht mehr weiterzukönnen. Er streichelte seinen verletzten Arm und zog die Schlinge zurecht. Er war ganz weiß im Gesicht.
»Alles okay, Mann?«
»Wie ist diese Frage zu verstehen?«
»Was macht dein Arm?«
»Dem fehlt nichts!« Eine Sekunde später schaute Danny seinen Arm entsetzt an. Ein Muskel in seinem Arm verkrampfte sich sichtbar, spannte den Hemdstoff an, entspannte sich wieder und drückte erneut gegen den Stoff. Das Ganze schien willkürlich passiert zu sein. Danny hatte offenbar die Kontrolle über seine Muskeln verloren.
»Warum macht er das?«, fragte Rick, als die Spasmen sich wellenförmig über den ganzen Arm bewegten. Der Arm schien ein Eigenleben zu haben.
»Er macht gar nichts«, beharrte Danny.
»Aber Danny, er zuckt doch –«
»Nein!«, schrie Danny, stieß ihn weg, drehte Rick den Rücken zu, hielt dabei seinen Arm und wiegte ihn mit seinem gesunden, als ob er einen Football vor dem Gegner beschützen wollte. Rick vermutete allmählich, dass Danny jede motorische Kontrolle über seinen Arm verloren hatte.
»Kannst du deinen Arm überhaupt noch bewegen?«
»Das habe ich doch gerade getan.«
Plötzlich hörte man ein Geräusch, als ob etwas zerreißen würde. Danny begann, laut zu stöhnen. »Nein … nein …« Sein Hemdsärmel riss endgültig auf. Das Gewebe war verrottet, und der ganze Stoff war durch den immer stärker anschwellenden Arm übermäßig strapaziert worden. Als der Ärmel aufplatzte, offenbarte sich ein schrecklicher Anblick. Die Haut war transparent geworden wie eingeöltes Pergament. Unter der Haut waren fette, weiße, eiförmige Wesen zu sehen, die manchmal ganz leicht zuckten. Sie sahen irgendwie zufrieden aus.
»Die Wespe hat Eier gelegt«, sagte Rick. »Sie war ein Parasit.«
»Nein!«, schrie Danny entsetzt.
Diese Wesen waren erst vor Kurzem aus ihren Eiern geschlüpft. Es waren Wespenlarven. Sie ernährten sich vom Muskelgewebe seines Arms. Danny starrte ihn fassungslos an, hielt ihn und stöhnte. Dieses platzende und pochende Geräusch in seinem Arm – das waren die Larven gewesen, die sich aus ihren Eiern herausgearbeitet hatten. Jetzt gruben und fraßen sie sich durch ihn hindurch. Er wimmerte und begann zu schreien. »Sie werden mich auffressen!«
Rick versuchte, ihn zu beruhigen. »Wir verschaffen dir ärztliche Hilfe. Wir sind fast bei der Tantalus–«
»Ich sterbe!«
»Sie werden dich nicht töten. Das sind Parasiten. Sie wollen, dass du am Leben bleibst.«
»Warum?«
»Damit sie sich weiterhin von dir ernähren können –«
»Oh Gott, oh Gott …«
Karen half ihm auf. »Auf geht’s. Wir müssen weiter.«
Sie zogen los, aber Danny hielt sie immer wieder auf. Er stolperte durch die Gegend und setzte sich alle paar Minuten hin. Er konnte seine Augen nicht mehr von seinem Arm wenden, als ob ihn diese Larven hypnotisiert hätten.
Auf halbem Weg kamen sie zu einer Art Röhre, die aus Lehmklümpchen hergestellt worden war, die durch irgendeine Substanz zusammengehalten wurden. Die Röhre kam wie ein gebogener Kamin aus der Erde hervor.
»Ich wünschte, Erika wäre jetzt hier«, sagte Karen. »Sie hätte uns vielleicht sagen können, wer das gemacht hat.«
Sie mussten annehmen, dass dieser Lehmkamin etwas Gefährliches, wahrscheinlich irgendein Insekt, beherbergte. Sie umgingen ihn in weitem Bogen, immer bereit, sich blitzschnell eine Deckung zu suchen, wenn sich etwas bewegen sollte. Sie kamen dem Großen Felsen immer näher.
Sie war eine Mutter. Wie die Schmetterlinge ernährte sie sich nur von Blütennektar. Trotzdem war sie ein Raubtier. Sie jagte für ihre Babys, die lebten nämlich von Fleisch. Wie alle Beutegreifer war sie intelligent, lernfähig und hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Tatsächlich verfügte sie sogar über neun Gehirne. Ihr Zentralnervensystem bestand aus einem Haupthirn und acht kleineren »Gehirnen«, Nervenknoten oder Ganglien, die paarig wie an einer Strickleiter angeordnet waren, die sich durch den ganzen Körper zog. Unter den Insekten gehörte sie zu den klügsten.
Sie hatte sich nur ein einziges Mal mit ihrem Gatten gepaart, der nach dem Sex mit ihr sofort gestorben war. Sie war eine Königin, die ihr ganzes Leben in der Einsamkeit verbrachte. Sie war eine Solitärwespe.
Sie kletterte aus ihrem Kamin heraus und schaute auf zur Sonne. Zuerst erschien ihr Kopf, danach ihr Körper. Ihre Flügel hatte sie normalerweise wie einen zusammengeklappten Damenfächer flach auf dem Rücken gefaltet. Jetzt klappte sie sie auf und ließ sie ganz leicht vibrieren, um ihre Muskeln im Sonnenlicht aufzuwärmen.
Als die Wespe aus dem Kamin hervorkam, erstarrten die drei Menschen. Dieses Insekt war wirklich riesig, sein gegliederter Hinterleib gelb und schwarz gestreift. Die Wespe entfaltete ihre Flügel, bewegte sie mit lautem Donnern und schwang sich in die Lüfte, während ihre Beine herunterbaumelten.
»Runter!«
»Volle Deckung!«
Die Menschen warfen sich auf den Boden und begannen, auf alles zuzukriechen, was ihnen als Deckung dienen konnte, ob nun einzelne Grasbüschel oder Steinchen im Sand.
Die Wespe bemerkte die Menschen zunächst nicht. Nach ihrem Start vom Kamin flog sie zuerst in einem Zickzackmuster über das Gelände, um sich auf einen Jagdflug vorzubereiten. Während dieser Orientierungsphase schaute sie auf den Boden hinunter und inspizierte jedes Detail. In ihrem Gedächtnis war ein genauer Plan des gesamten umliegenden Terrains gespeichert.
Jetzt bemerkte sie jedoch etwas Neues.
Im von ihrem Kamin aus südöstlichen Quadranten befanden sich drei Objekte. Diese Objekte waren lebendig. Sie krochen über den Boden. Sie sahen wie Beute aus.
Sie änderte sofort ihre Flugbahn und startete einen Angriff.
Die Wespe flog einen Bogen und stürzte herab. Sie wählte sich Rick Hutter aus und landete über ihm.
Er rollte sich auf den Rücken und schwang seine Machete, während die Wespe mit schlagenden Flügeln genau über ihm stand. Sie umfasste ihn ganz leicht mit ihren Mandibeln.
»Rick!«, rief Karen und rannte mit hoch erhobener Machete auf ihn zu.
Er konnte nicht mehr atmen. Die Mandibeln hatten ihm die Luft aus den Lungen gepresst. Aber irgendwie hatten sie ihn nicht durchstochen. Die Wespe behandelte ihn für ihre Verhältnisse äußerst sanft.
Jetzt bog sie ihren Hinterleib unter ihren Körper, fuhr ihren Stachel aus und zielte damit auf Rick. Panzerplatten an der Spitze ihres Abdomens zogen sich auseinander, und zwei weiche fingerartige Gebilde, die mit Sinneshärchen bedeckt waren, fuhren aus und bewegten sich hin und her. Diese weichen Finger waren die Stachelpalpen. Die Taster fuhren ganz leicht über Hutters Hals und Gesicht und prüften den Geschmack seiner Haut.
Sie mochten, was sie da schmeckten.
Der Stich erfolgte ganz schnell. Zwei Stacheln in einer Röhre traten aus einem Loch unterhalb der Taster hervor. Die Stachelrinne stach in Ricks Armbeuge. Dabei stießen die beiden Stechborsten in ihn hinein, zuerst die eine, dann die andere, und bewegten sich dann im Tandem vor und zurück, während sie sich immer weiter nach innen vorarbeiteten.
Rick fühlte, wie die Nadeln in ihn eindrangen. Der Schmerz war fast unerträglich. Er rang nach Luft.
Karen warf sich, die Machete schwingend, auf die Wespe, kam jedoch zu spät. Die Wespe stieg wieder in die Luft, wobei sie Rick mit ihren Beinen umklammerte. Karen sah, wie er noch kurze Zeit mit den Beinen um sich trat. Aber dann wurde sein Körper schlaff.
Die Wespe landete auf ihrem Kamin. Sie schob ihn hinein und drückte ihn mit ihrem Kopf den engen Kaminschacht hinunter. Danach schlüpfte sie selbst durch den Kamin. Ihr gestreifter Hinterleib verschwand in dessen Öffnung. Zuletzt war nur noch ihr Stachel zu sehen.
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