»Eher umgekehrt.« Drake lachte. »Die Leute treten zufällig auf die Roboter. Die Roboter verlieren immer.« Er seufzte und schaute auf die Uhr. »Ich habe eine Besprechung.«
»Kein Problem. Nur noch eine Frage.« Watanabe würde Drake beschreiben, was er im Mikroskop gesehen hatte, aber er würde ihm kein Foto davon zeigen, denn ein Foto war ein Beweis, und mit Beweisen wedelte man nicht vorschnell herum. Deshalb drückte er sich recht vage aus. »Wir sind auf ein ziemlich kleines Objekt, anscheinend irgendein Gerät, aufmerksam geworden, das so etwas wie einen Propeller und Schermesser besitzt. Vielleicht kann es sogar fliegen oder in der Blutbahn eines Menschen schwimmen. Könnte das ein Nanigen-Erzeugnis sein?«
Es dauerte einen Moment, bis Drake antwortete. Watanabe erschien dieser Moment eine Spur zu lang. »Nein. Solche Roboter stellen wir nicht her.«
»Gibt es jemand anders, der so etwas herstellt?«
Drake schaute Watanabe prüfend an. Worauf wollte dieser Cop hinaus? »Ich glaube, Sie beschreiben da ein theoretisches Gerät.«
»Welcher Art?«
»Nun, das wäre wohl ein chirurgischer Mikroroboter.«
»Ein was?«
»Ein chirurgischer Mikroroboter. Der internationale Fachausdruck ist ›Surgibot‹, eine Kurzform von ›Surgical Robot‹. Ein sehr kleiner Roboter, mit dem man medizinische Eingriffe durchführen kann. In der Theorie könnte man einen Surgibot herstellen, der klein genug wäre, um sich durch die Blutgefäße eines Menschen zu bewegen. Mit Skalpellen ausgerüstet, könnte ein ganzer Schwarm von Surgibots mikrochirurgische Operationen durchführen. Man könnte sie in einen Patienten injizieren, und danach würden die Surgibots selbstständig durch die Blutbahn zum Zielgewebe schwimmen. So könnten Surgibots zum Beispiel Arterienablagerungen von innen aus der betroffenen Arterie herausschneiden. Surgibot-Schwärme könnten auch metastasierte Krebszellen jagen. Die Surgibots würden dann die Krebszellen eine nach der anderen vernichten und dadurch den Krebs besiegen. Bisher sind diese Surgibots allerdings noch ein Traum und keine Realität.«
»Sie bauen also in Wirklichkeit nicht diese … wie haben Sie sie genannt … Surgibots?«
»Nicht in dieser Art, nein.«
»Entschuldigung, das habe ich jetzt nicht verstanden«, sagte Watanabe.
Drake seufzte. »Wir betreten hier ein höchst sensibles Gebiet.«
»Warum?«
»Nanigen erledigt Forschungsarbeiten … für Sie.«
»Für mich?«, sagte Watanabe und schaute ihn verwundert an.
»Sie zahlen doch Steuern?«
»Sicher.«
»Dann arbeitet Nanigen für Sie.«
»Oh, dann sind Sie für die Regierung –?«
»Das können wir hier nicht weiter erörtern, Lieutenant.«
Sie führten im staatlichen Auftrag streng geheime Forschungsarbeiten durch, bei denen es irgendwie um kleine Roboter ging. Drake warnte ihn davor, diese Spur weiterzuverfolgen. Er deutete an, dass er sonst Schwierigkeiten mit staatlichen Stellen bekommen würde. Na gut. Ganz abrupt schaltete er eine Stufe hoch. »Warum ist Ihr Vizepräsident eigentlich von diesem Boot gesprungen?«
»Was? Was meinen Sie damit?«
»Eric Jansen war ein erfahrener Bootsfahrer. Er wusste, dass er selbst in der Brandung besser im Boot geblieben wäre. Es muss also einen Grund für diesen Sprung in die Brandung gegeben haben. Also, warum ist er gesprungen?«
Drake bekam ein hochrotes Gesicht und stand auf. »Ich habe keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen. Wir haben Sie gebeten, unsere vermissten Studenten zu finden. Sie haben keinen von ihnen gefunden. Wir haben zwei Topmanager verloren. Auch in dieser Frage waren Sie uns keine Hilfe.«
Jetzt stand auch Watanabe auf. »Sir, Ms. Bender haben wir gefunden. Nach Eric Jansen suchen wir noch.« Er holte seine Brieftasche heraus und nestelte eine Visitenkarte hervor.
Drake nahm sie entgegen und seufzte, als er sie anschaute. Ganz kurz huschte ein unangenehmer Ausdruck über sein Gesicht. »Offen gesagt, sind wir von der Polizei von Honolulu enttäuscht.« Er ließ die Karte auf seinen Schreibtisch flattern. »Man fragt sich schon, was Sie eigentlich machen.«
»Nun, Sir, das Honolulu Police Department ist älter als das New York Police Department – ich weiß nicht, ob Sie das wussten. Wir bearbeiten einfach unsere Fälle so, wie wir das schon immer getan haben, Sir.«
»Wir haben noch fünf andere.« Dorothy Girt legte die Fotos für Watanabe nebeneinander auf den Labortisch. Sie zeigten die gleichen Minigeräte, jedes mit einem Propeller in einem Rundgehäuse und einem Schwanenhals mit Klingen. »Ich habe sie in dem unbekannten Asiaten gefunden. Ziemlich anrüchige Arbeit, sozusagen.«
»Und wie haben Sie die gefunden, Dorothy? Sie sind wirklich klein.«
Dorothy Girt lächelte ihn triumphierend an, öffnete eine Schublade und holte einen schweren Gegenstand heraus. Es war ein industrieller Hufeisenmagnet. »Den habe ich über die Wunden gezogen. Das verdammte Ding ist ganz schön schwer.«
Sie legte den Magneten beiseite und zeigte ihm dann ein vergrößertes Foto von einem der Roboter. Dieser war sauber in zwei Hälften geschnitten, sodass er ein perfektes Schnittbild abgab. Darauf waren unglaublich kleine Chips und Schaltkreise zu sehen, außerdem etwas, das wie eine Batterie aussah, eine Antriebswelle, ein Getriebe …
»Das Ding ist ja perfekt auseinandergeschnitten worden. Wie haben Sie denn das geschafft, Dorothy?«
»Das war einfach. Ich habe ihn wie eine Gewebeprobe in einen Epoxidharzblock eingeschlossen. Den habe ich dann mit einem Mikrotom in feinste Scheiben geschnitten. So wie ich es sonst mit Gewebeproben mache.« Dorothys Mikrotom hatte mit seiner ultrascharfen Klinge den Mikroroboter mittendurch geschnitten. »Sehen Sie sich das hier an, Dan.«
Er beugte sich über das Foto und folgte mit den Augen ihrem Finger bis zu einem kastenförmigen Gegenstand im Inneren des Roboters. Auf dieses Kästchen war ein kleines n aufgedruckt.
»Also doch«, sagte er. »Der Firmenchef hat mich angelogen.« Er wollte gerade Dorothy auf den Rücken klopfen, sah jedoch im letzten Moment davon ab. Dorothy Girt schien kein Mensch zu sein, der eine solche Geste schätzen würde. Stattdessen nickte er ihr als Anerkennung nach japanischer Art ganz leicht zu – eine Familienangewohnheit. »Ausgezeichnete Arbeit, Dorothy.«
»Hmp«, schnaubte sie. Ihre Arbeit war bekanntlich immer ausgezeichnet.
Kapitel 36
TANTALUS-KRATER
31. OKTOBER, 13:00 UHR
Mutter Natur, am Arsch«, murmelte Danny Minot. »Nichts als Monster mit unersättlichem Appetit.« Er trottete langsam vorwärts, schleifte seine mit Gras umwickelten Füße über den Boden und hielt sich schützend seinen geschwollenen Arm. Der schien sogar noch dicker geworden zu sein, so dick, dass sein Hemdsärmel bereits die ersten kleinen Risse zeigte. Rick Hutter und Karen King gingen neben ihm her. Rick trug den Rucksack, und Karen hielt eine Machete kampfbereit in der Hand. Sie waren die letzten drei Überlebenden. Sie stapften über ein riesiges Stück Land, das mit Sand und Geröll bedeckt war. Der Rand des Tantalus-Kraters. Das offene Land erstreckte sich bis zu einer buschigen Bambusreihe, die sich in einiger Entfernung zu ungeheurer Höhe auftürmte. Durch eine Lücke im Bambus war ein einzelner Felsbrocken von der Größe eines Bergs zu erkennen, der mit Moos bedeckt und von unzähligen Rinnen zerfurcht war. Der Felsen schien zumindest für Menschen ihrer Größe noch etliche Kilometer entfernt zu sein.
Die Sonne brannte auf sie nieder. Seit vielen Stunden hatte es über dem Tantalus nicht mehr geregnet. Sie wurden immer durstiger. Ihre kleinen Körper verloren sehr schnell Feuchtigkeit.
Karen fühlte sich ziemlich schutzlos. Sie gaben leichte Ziele ab. Sie bewegten sich über ein Ödland, in dem es keinerlei Deckung gab. Als ein Vogel über sie hinwegflog, zuckte sie zusammen und umklammerte ihre Machete. Diesmal war es jedoch kein Maina, sondern ein Habicht, der über dem Tantalus seine Kreise zog. Mikromenschen waren für eine anständige Habichtmahlzeit viel zu klein – zumindest hofften sie das.
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