»Mach’s nicht. Oder du gehst drauf.«, rief Danny vom Hexapod herunter.
»Weit und breit nichts Gefährliches, Danny«, sagte Karen.
Rick war sich da nicht so sicher. Er nahm die Harpune, ging mit ihr um den ganzen Tümpel herum, stieß sie immer wieder in dessen Grund hinunter und rührte das Wasser durch. Sollten in diesem Teich irgendwelche Biester leben, würde sie das aufschrecken, hoffte er. Im Wasser wimmelte es zwar von dahintreibenden oder sich dahinschlängelnden Einzellern, aber keiner dieser Kleinstorganismen stellte eine Gefahr dar.
Der Tümpel war so klein und seicht, dass sie ihn gut überblicken konnten. Alles schien harmlos.
»Ich gehe jetzt schwimmen«, sagte Erika.
»Ich nicht«, sagte Danny.
Rick und Karen schauten einander an.
Erika verschwand hinter einem Moosbüschel und kehrte kurz darauf nackt zurück. »Ist irgendwas?«, fragte sie die anderen, während Danny sie fassungslos anstarrte. »Wir sind doch alles Biologen hier.« Sie betrat die Oberfläche des Tümpels. Das Wasser kräuselte sich zwar unter ihren Zehen, aber es trug ihr Gewicht. Sie drückte die Füße härter nach unten. Plötzlich brach sie ein und stand bis zum Hals im Wasser. Sie watete zum Wasserfall hinüber und stellte sich darunter. Die Tröpfchen fielen auf ihren Kopf und zerplatzten, sodass ihr fast der Atem wegblieb. »Das ist großartig. Kommt rein!«
Karen begann mit großer Selbstverständlichkeit ihre Kleider auszuziehen. Rick Hutter war sich nicht sicher, was er tun sollte. Es machte ihn verlegen, Karen beim Ausziehen zuzusehen, es machte ihn aber noch verlegener, gemeinsam mit ihr und Erika nackt zu schwimmen. Er riss sich die Kleider vom Leib und sprang ins Wasser.
»Willkommen im Garten Eden«, sagte Erika.
»Ein gefährliches Eden.« Rick ging in die Hocke und schrubbte sich den Kopf.
Als Karen den Tümpel erkundete, merkte sie, dass er wie ein Aquarium voller Lebewesen war. Nur waren das hier keine Fische, sondern einzellige Organismen. Die kleinen Wesen trudelten oder huschten durch das Wasser, oder sie ließen sich treiben. Ein torpedoförmiges Geschöpf schwamm plötzlich direkt auf sie zu und stieß mit ihr zusammen.
Es war ein Pantoffeltierchen, ein Protozoon, das nur aus einer einzigen Zelle bestand und dessen Oberfläche mit Wimpern bedeckt war, deren Bewegungen das Wesen durch das Wasser beförderten. Es fing an, sich an Karens Arm entlangzubewegen und dabei ihre Haut zu kitzeln. Sie machte eine hohle Hand und schöpfte das Tierchen mit etwas Wasser hinein. Sie konnte fühlen, wie die Wimpern an ihre Handfläche stießen und die Zelle sich wand und drehte. Der Einzeller erinnerte sie an eine Katze, die nicht festgehalten werden wollte. Er wollte nur entfliehen. »Ich tu dir nichts«, sagte sie zu der Zelle und streichelte sie sanft mit einer Fingerspitze. Als sie die Wimpern berührte, änderte das Tierchen sofort seine Richtung und begann, gegen ihren Finger zu stoßen. Es war, als streichelte man ein samtenes Tuch, das sich wehrt.
Warum rede ich überhaupt mit einer Zelle?, dachte Karen. Das ist doch albern. Eine Zelle ist eine Maschine, sagte sie zu sich selbst. Sie ist nur ein Uhrwerk aus Proteinen in einem Wassersack. Und doch … sie wurde das Gefühl nicht los, dass die Zelle ein kleines Lebewesen mit seinen eigenen Absichten und Wünschen war. Natürlich war eine Zelle nicht intelligent im menschlichen Sinn. Eine Zelle konnte sich keine Galaxien vorstellen oder Symphonien komponieren. Trotzdem war sie ein ausgeklügeltes biologisches System, das an ein Überleben in dieser Umgebung perfekt angepasst war und das darauf aus war, so viele Kopien von sich herzustellen wie möglich. »Viel Glück«, sagte sie laut, öffnete ihre Hand und ließ die Zelle frei. Sie sah ihr zu, wie sie davoneilte und sich beim Schwimmen immer wieder schraubenförmig um ihre Längsachse drehte. »Eigentlich unterscheiden wir uns gar nicht so sehr von diesen Protozoen«, sagte sie.
»Ich kann da keine Ähnlichkeit erkennen«, sagte Rick.
»Auch ein Mensch ist am Tag seiner Zeugung ein Protozoon. Wie der Biologe John Tyler Bonner zu sagen pflegt: ›Der Mensch ist ein einzelliger Organismus mit einem komplizierten Fruchtkörper.‹«
Rick grinste. »Der Fruchtkörper ist der beste Teil.«
»Krass«, stöhnte Karen. Erika feixte ihn an.
Plötzlich wanderte ein Schatten über den Tümpel, und von oben erklang ein lauter Schrei. Instinktiv duckten sie die Köpfe unter das Wasser. Als sie wieder auftauchten, schaute sich Rick um und sagte dann: »Vögel!«
»Welche Art?«
»Keine Ahnung. Sie sind jedenfalls verschwunden.« Sie wuschen ihre Kleider im Tümpel und spülten den Staub und den Schmutz heraus. Danach breiteten sie sie zum Trocknen aus und nahmen ein kleines Sonnenbad im Moos. Nach kurzer Zeit war ihre Kleidung getrocknet, und sie zogen sie wieder an.
»Wir müssen weiter«, sagte Rick Hutter, während er sein Hemd zuknöpfte.
Genau in diesem Moment wurden die Schreie wieder lauter, und dunkle Schatten schossen über ihnen durch die Luft. Die Menschen sprangen auf.
Ein Schwarm Vögel segelte an den Felsen vorbei, landete kurz und flog dann weiter. Sie waren auf Futtersuche. Ihre Schreie erschütterten die Luft.
Ein Vogel landete genau vor ihnen. Er war riesig, mit glänzendem, schwarzem Gefieder, einem gelben Schnabel und aufmerksamem Blick. Er hüpfte herum, inspizierte die ganze Gegend und stieß dann einen heiseren, dröhnenden Schrei aus. Dann flog er davon. Über ihren Köpfen tauchten jetzt immer mehr Vögel auf. Sie begannen zu kreisen und die ganze Umgebung zu studieren. Ab und zu landeten sie kurz in Bäumen, die weiter oben aus der Felswand herauswuchsen. Den Menschen wurde bewusst, dass sie von vielen Augen beobachtet wurden. Die Schreie der Vögel umgaben den Tümpel.
Rick rannte zum Hexapod hinüber, um sein Gasgewehr zu holen. »Das sind Mainas!«, rief er. »Geht in Deckung!« Mainas waren Fleischfresser.
Danny war aus der Laufmaschine gekrabbelt, um sich unter ihr zu verkriechen. Karen hatte sich hinter einen großen Stein geworfen, während Erika sich in das Moospolster hineinzwängte. Rick kniete im offenen Gelände, das Gasgewehr in der Hand, und behielt die schwarzen Gestalten im Auge, die laut schreiend an der Felswand vorbeifegten.
Die Vögel bemerkten Rick. Ein Maina glitt herbei, landete und hüpfte ihm dann entgegen. Er schoss auf den Vogel. Das Gewehr ging mit einem Zischen los und schleuderte ihn nach hinten, aber genau in diesem Moment schwang sich der Maina wieder in die Luft und segelte mit dem Wind davon. Er hatte ihn verfehlt. Schnell legte er eine neue Stahlnadel in den Verschluss. Mit dem Gewehr konnte man jeweils nur ein Projektil verschießen und musste dann nachladen.
Es muss dreißig oder vierzig von ihnen geben, dachte er. Sie sausten mit ohrenbetäubendem Geschrei an den Felsen vorbei. »Sie jagen gemeinsam in der Gruppe«, sagte Rick.
Ein weiterer Maina landete.
Rick drückte ab. Nichts passierte.
»Scheiße!«
Eine Ladehemmung. Er versuchte sie fieberhaft zu beheben. Der Vogel machte einen weiteren Hüpfer auf ihn zu und schaute ihn mit schief gelegtem Kopf an. Dann pickte er nach ihm und packte sich das Gewehr. Ein glänzender Gegenstand, der dem Vogel ins Auge stach. Der Maina schlug das Gewehr gegen einen großen Stein, zerdrückte es und warf es beiseite. Dann streckte er den Kopf in die Höhe, öffnete den Schnabel und schrie so laut, dass der ganze Boden erzitterte.
Rick hatte sich in der Zwischenzeit flach auf den Boden geworfen. Er kroch in Richtung der Harpune, die neben dem Tümpel lag.
Der Maina wandte seine Aufmerksamkeit jetzt Erika zu, die im Moos kauerte. Sie duckte sich noch weiter, als sie den Vogel sah, verlor jedoch plötzlich die Nerven. Sie stürmte mit gesenktem Kopf aus dem Moospolster und rannte wimmernd davon.
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