Erika versicherte ihnen, dass es in seinem Innern noch eine Menge Spray geben würde. Rick zog sein Verrückter-Wissenschaftler-Outfit an, die Gummischürze, die Handschuhe und die Schutzbrille, und machte sich ans Werk.
Zuerst drehte er mit Schwung den toten Käfer auf den Rücken. Als Nächstes klopfte er mit seiner Machete die Gliedersegmente des Hinterleibs ab, um eine Stelle zu finden, an der er den Käfer öffnen konnte.
Erika gab ihm einen Rat. »Schneide zwischen Segment sechs und Segment sieben hinein. Und dann hebe ganz vorsichtig die Skleritplatten ab.«
Rick stach in den Käfer hinein und bewegte die Klinge an der Verbindungsnaht zwischen den angegebenen Segmenten entlang, dann hob er mit der flachen Machete die Panzerplatten an. Schließlich sprangen sie mit einem reißenden Geräusch von der darunterliegenden Fettschicht ab. Rick begann, vorsichtig in das Fett hineinzuschneiden.
»Du musst nach einem Paar chemischer Drüsen im unteren Teil des Hinterleibs suchen«, erklärte Erika, die jetzt neben Rick kniete. »Bring diese Drüsen aber bloß nicht zum Platzen, sonst wird’s dir sehr leidtun.«
Nachdem er einen Großteil des Fetts herausgeschnitten hatte, hob Rick plötzlich ein eiförmiges Organ empor. Kurz danach fand er auch das zweite. Das waren die beiden chemischen Drüsen. Muskeln hielten sie immer noch fest verschlossen. Unter Erikas Anleitung schnitt er vorsichtig den Muskel durch. Aus dem Drüsensack tropfte eine Flüssigkeit heraus, die entsetzlich stank.
»Das ist Benzo – Benzochinon«, erklärte Erika. »Es ist mit Caprylsäure, einem Tensid, vermischt. Damit klebt die Chemikalie an Oberflächen fest, was ihre Waffenwirkung noch verstärkt. Bring das nur nicht auf deine Haut.«
Es freute Karen, dass sich Erika zur Abwechslung wieder für etwas interessierte. Sie war in letzter Zeit so still und deprimiert. Wenigstens würde sie das Ganze hier etwas ablenken.
Rick fing die Flüssigkeit in einer Flasche auf und schraubte deren Verschluss zu. Dann überreichte er sie Karen. »Hier, das ist für dich. Zu deinem Schutz.«
Karen wunderte sich über Rick. Ganz sicher hatte er eine Menge Energie. Sie hätte daran denken sollen, noch ein paar chemische Stoffe für ihre Sprühflasche zu sammeln. Rick schien in dieser Mikrowelt ausgesprochen gut zurechtzukommen, sie schien ihm sogar Spaß zu machen. Sie konnte Rick Hutter trotzdem noch nicht besser leiden. Zu ihrer Überraschung war sie aber froh, dass er bei dieser Unternehmung dabei war. »Danke«, sagte sie zu ihm und steckte die Flasche zurück in ihre Tasche.
»Keine Ursache.« Rick zog seine Wissenschaftlerkluft aus und packte sie weg. Danach setzten sie ihren Aufstieg fort.
Das Gelände wurde immer steiler. Es ging fast senkrecht nach oben. Schließlich kamen sie am Fuß einer endlos hohen Felswand an. Sie erstreckte sich nach oben, so weit das Auge reichte. Eine riesige Wand aus blasigem Vulkangestein, die von Flechten und hängendem Moos bedeckt war. Nur an einigen Stellen konnten sich Uluhe-Farne halten. Es schien keinen Weg um diesen Felsabsturz herum zu geben.
»Ach, scheiß auf den Fels. Volle Kraft voraus!«, rief Rick.
Sie hatten auch keine andere Wahl. Sie vergewisserten sich, dass alles festgezurrt war. Dann sprang Rick nach hinten neben Erika und sicherte sich selbst mit einem Seil. Karen saß am Steuer. Tatsächlich konnten sich die Füße des Roboters so fest an das Felsgestein klammern, dass der Aufstieg recht schnell voranging.
Trotzdem schien die Wand überhaupt kein Ende zu nehmen.
Der Tag ging allmählich zur Neige, und sie wussten nicht, wie weit sie schon gekommen waren und wie hoch sie noch klettern mussten. An einer Anzeige konnten sie ablesen, dass die Kraft der Batterie ständig abnahm. Dem Roboter stand nur noch ein Drittel seiner Batteriekapazität zur Verfügung.
»Ich glaube, wir sollten in dieser Wand biwakieren«, sagte Rick schließlich. »Hier ist es wahrscheinlich sogar sicherer als irgendwo sonst.«
Kurz vor Sonnenuntergang fanden sie einen breiten Felsvorsprung, auf dem sie ihre Laufmaschine abstellen konnten. Es war ein wunderschöner Platz, von dem aus man eine weite Sicht über das Tal hatte. Sie aßen ihr letztes Heuschreckensteak.
Danny legte ein paar Tücher im hinteren Teil des Hexapods aus, wo er die Nacht zu verbringen gedachte. Sein Arm war noch weiter angeschwollen. Er fühlte sich schwer, aufgebläht und leblos an. Er schien ihm nicht mehr zu gehören, sondern war zu einem toten Anhängsel geworden.
»Oooh«, jammerte er leise vor sich hin. Er griff sich an den Arm und verzog das Gesicht.
»Was ist passiert?«, fragte ihn Rick.
»Mir war gerade, als ob in meinem Arm etwas geplatzt wäre.«
»Wie, geplatzt?«
»Vergiss es. War nur ein Geräusch.«
»Lass mich mal sehen«, sagte Rick und beugte sich über Danny.
»Nein.«
»Hab dich nicht so. Roll deinen Hemdsärmel hoch!«
»Es ist alles in Ordnung, okay?«
Dannys linker Arm war immer noch gelähmt und hing wie tot in der Schlinge – inzwischen so angeschwollen, dass er die Schlinge vollkommen ausfüllte. Außerdem war das Hemd völlig verschmutzt. »Du solltest deinen Ärmel aufrollen, damit deine Haut etwas Luft abbekommt«, schlug Rick vor. »Der Arm könnte sich sonst entzünden.«
»Hau ab! Du bist nicht meine Mutter.« Danny stopfte sich ein zusammengerolltes Tuch als Kissen unter den Hals und rollte sich zusammen.
Über den Pali brach die Dunkelheit herein. Überall waren jetzt wieder die Töne der Nacht, vor allem die geheimnisvollen Geräusche der Insekten, zu hören.
Rick machte es sich auf seinem Sitz bequem. »Du schläfst, Karen, und ich bleibe wach.«
»Schon in Ordnung. Aber warum schläfst du nicht eine Weile, Rick? Ich übernehme die erste Wache.«
Am Ende blieben beide hellwach. Sie saßen nebeneinander im Vorderteil des Hexapods und lauschten in die unheimliche, gärende Stille hinaus. Sie hatten sich nichts zu sagen, wachten nur über Erikas und Dannys Schlaf. Jetzt kamen auch die Fledermäuse heraus. Von nah und fern waren schrille Schreie und deren Echo zu hören, sie bewegten sich im Zickzack über den Himmel, während die Fledermäuse Nachtfalter und andere Fluginsekten aus der Luft pflückten.
Danny ruckte unruhig hin und her. »Die Fledermäuse halten mich wach«, klagte er. Kurz darauf war sein Schnarchen zu hören.
Der Mond stieg über dem Manoa-Tal auf und verwandelte die Wasserfälle in Silberfäden, die ins Nichts hinunterfielen. Um einen der Wasserfälle funkelte ein seltsamer Lichtbogen. Rick schaute fasziniert hinüber und fragte sich, was für ein Schimmern das war, das sich ständig zu wandeln schien.
Auch Karen hatte es bemerkt. Sie deutete mit der Harpune in dessen Richtung. »Du weißt doch, was das ist, oder?«
»Keine Ahnung.«
»Das ist ein Mondregenbogen, Rick.« Sie berührte seinen Arm. »Schau doch! Es ist ein doppelter Mondregenbogen!«
Er hatte nicht einmal gewusst, dass es Mondregenbögen überhaupt gab. Und hier waren sie nun, Reisende in einem gefährlichen Eden. Und es war nun einmal sein Schicksal, ausgerechnet mit Karen King im Garten Eden festzusitzen. Er schaute sie verstohlen von der Seite an. Na gut, sie war schön, vor allem jetzt im Mondlicht. Von nichts ließ sie sich unterkriegen, nichts schien sie besiegen zu können. Karen King war ein guter Partner für eine solche Expedition, selbst wenn sie nicht gut miteinander auskamen. Mut hatte sie ja, das stand fest. Schade nur, dass sie immer so widerborstig und querköpfig war. Er schlummerte ein und wachte einige Zeit später auf. Karen war im Schlaf gegen ihn gefallen. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter, und sie atmete leise und sanft.
Kapitel 31
BERETARIA STREET
30. OKTOBER, 16:30 UHR
Das Ganze ist wirklich seltsam.« Dorothy Girt, die leitende forensische Wissenschaftlerin des Honolulu Police Department, schaute konzentriert durch die Okulare ihres Zeiss-Stereomikroskops. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
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