Eine Weile herrschte Schweigen.
»Gut, Lavallier«, sagte Gombel schließlich. Er versuchte sich an einem Lächeln. Es misslang. »Sie tun Ihr Bestes. Noch haben wir keinen Beweis für einen Anschlag auf das Leben der Staatsgäste, nicht? Schauen wir erst mal. Wir können auch später noch die Reißleine ziehen, was?«
»Ich schließe mich dem an«, knurrte Stankowski.
Schön, dachte Lavallier, dann schließ dich an. Lass Clohessy eine Bombe versteckt haben, die uns durch die Lappen gegangen ist, und dein schönes neues Terminal fliegt dir um die Ohren.
Laut sagte er: »Nein, natürlich haben wir keine Beweise. Das ist es ja, was ich eingangs meinte.« Er erhob sich und strich sein Jackett glatt. Im Moment hatte er das Gefühl, als sei es ihm in der letzten Stunde zu eng geworden. »Aber wenn sich die Anzeichen mehren, dass es doch was mit uns zu tun hat, muss ich Sie bitten, sich etwaigen Konsequenzen nicht zu verschließen.«
»Natürlich«, nickte Knott.
»Mann, wir haben Clinton«, fuhr Stankowski auf. »Glauben Sie, wir lassen uns Clinton durch die Lappen gehen?«
»Ist ja noch gar nicht raus, ob.«
»Der Secret Service hat den ganzen verdammten Flughafen umgestülpt! Hier ist nichts! In Düsseldorf, du lieber Himmel, wenn er da landet, kann er sich gleich selbst erschießen, aber wo soll denn–«
»Es sagt doch gar keiner, dass er in Düsseldorf landet«, versuchte Klapdor den aufgebrachten Verkehrsleiter zu beruhigen.
»Wo soll denn hier was versteckt sein? Lavallier, Mensch! Haben wir irgendetwas übersehen?«
Lavallier schüttelte den Kopf.
»Nein.«
»Mannomann! Verdammt!«
Knott seufzte. Klapdor sah die Bilder an. Gombel strich sich nachdenklich über die Glatze.
»Na gut«, sagte er. »Es wäre schon eine Schande, nicht? Könnte der Flughafen schlecht gebrauchen in dieser Phase. Aber was ist, das ist. Lassen wir Lavallier seine Arbeit machen, in Ordnung?«
»Ja, finden Sie den Scheißkerl«, schnaubte Stankowski. »Sie haben unsere Gebete.«
»Wir tun, was wir können«, sagte Lavallier.
Gombel brachte ihn nach draußen und schüttelte ihm die Hand.
»Sie machen das schon«, sagte er leise. »Stankowski sieht das nicht anders. Ich wäre an seiner Stelle auch sauer, aber er vertraut Ihnen ebenso wie ich. Es ist Ihre Entscheidung.«
Lavallier nickte unglücklich.
Es war eine gute Zusammenarbeit zwischen ihm, der Geschäftsleitung, Stankowski, Knott und den anderen, die in das Procedere der Landungen involviert waren. Während er die Treppen hinuntertrottete, rief er sich in Erinnerung, unter welch enormem Druck sie alle standen. Trotzdem kamen sie blendend miteinander aus, nur dass dieser Druck mit jedem Tag, den die Ankunft der Spitzenpolitiker näher rückte, immer mörderischer wurde. Jeder war ergriffen von den höheren Weihen, die dem Airport zuteil wurden, aber die Nerven lagen umso blanker.
Ohnehin war man hier in einer schwierigen Situation. Das ehrgeizige Projekt des neuen Terminals konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Köln-Bonn in der Öffentlichkeit nach wie vor eklatante Imagedefizite aufwies. Als Beamtenflughafen entstanden, klein und provinziell, im Niemandsland der Heide, hatte ihn jahrelang keiner so recht zur Kenntnis genommen. Selbst nachdem immer mehr Airlines Köln-Bonn anflogen, hatten Kölner Reisebüros Urlauber mit beharrlicher Regelmäßigkeit in Düsseldorf eingebucht. Der Schatten der Nachbarstadt hatte jahrelang auf Köln-Bonn gelastet wie ein böser Fluch. Man gab sich alle Mühe, das Angebot zu erweitern, flog auf die Seychellen und in die Karibik, aber wer vier Kilometer weiter in einem Reisebüro der Kölner Innenstadt zwei Wochen Dominikanische Republik buchte, musste sich jemanden suchen, der ihn morgens früh um fünf nach Düsseldorf fuhr.
Dann kam die Katastrophe.
Der Brand am Düsseldorfer Flughafen änderte alles. Über Nacht platzte der ehemalige Heideflughafen Köln plötzlich aus allen Nähten. Der ohnehin geplante Ausbau war damit beschlossene Sache. In halsbrecherischem Tempo entstanden zwei neue Parkhäuser. Neue Touristiker, neue Airlines kamen hinzu, ein erweitertes Linienangebot. Jede nur erdenkliche Kurve tendierte nach oben und schuf ein Klima der Zerreißprobe zwischen den Bewahrern und den Visionären in Köln-Bonn. Mittlerweile fehlte kaum eine namhafte Fluggesellschaft mehr auf den Anschlagtafeln, kaum ein Reiseveranstalter, der etwas auf sich hielt, kaum ein Ziel, das nicht angeflogen wurde. Augenblicklich traten sich im ehemals beschaulichen Terminal 1 die Fluggäste gegenseitig auf die Füße. Das neue Terminal würde sechs weitere Millionen Menschen jährlich fassen – was die Frage aufwarf, ob sich die Propheten des Wachstums zuletzt nicht doch fürchterlich verschätzt hatten.
Hier lag die Angst.
Lavallier wusste, dass immer noch zu wenig Menschen eine ungefähre Ahnung davon hatten, was im Heideland wirklich passierte. Die Presse erwies sich dabei als wenig hilfreich. Sie schürte Ressentiments, indem sie mit nervtötender Regelmäßigkeit die Nachtflugfrage in den Fokus rückte und das neu entstehende Terminal eher ignorierte. Nun jedoch stand der Köln-Bonn Airport im Mittelpunkt eines Interesses, das über Köln oder Nordrhein-Westfalen weit hinausging. Die Landungen der weltpolitischen Elite schienen zu bestätigen, was man im Herzen immer schon gewusst hatte. Dieser Flughafen hatte Weltformat. Nichts hätte gelegener kommen können als solch illustre Publicity.
Und nichts war katastrophaler als ein terroristischer Anschlag!
Niemand wollte einen Anschlag. Aber genauso wenig wollte man eine verpatzte Sternstunde!
Während Lavallier zurück zum Revier ging, fragte er sich, wie sie wohl reagieren würden, wenn er ernsthaft darauf bestand, die Flüge umzuleiten. Seine vorgesetzte Dienststelle, der Leiter Secret Service für den Bereich Ankunft, sie alle vertrauten ihm. Er konnte lediglich die Empfehlung aussprechen, aber sie würden der Empfehlung aller Wahrscheinlichkeit nach folgen. Dennoch wünschte sich Lavallier in diesem Moment, ohne jeden Einfluss zu sein. Er hasste es, darüber nachzudenken, wie er allen den Spaß verdarb, um am Ende vielleicht festzustellen, dass er sich geirrt hatte.
Mit zusammengebissenen Zähnen stieß er die Tür zur Wache auf.
Stankowski hatte Recht. Sie hatten Clinton. Sie hatten sich abgerackert dafür, dass der mächtigste Mann der Welt hier landen konnte.
Er schwor sich, alles zu unternehmen, damit es auch geschah!
Lavallier war sich nicht sicher, ob er Wagner und O’Connor noch antreffen würde nach seinem Gespräch mit der Geschäftsleitung. Statt dessen fand Lavallier sein Büro im Belagerungszustand vor.
Überall standen Kaffeetassen herum. Bär war da und O’Connor, Wagner, Mahder sowie jemand, der einen Overall trug und den er nicht kannte. Sie hatten sich vor dem Fenster versammelt, und jeder schien sich mit jedem zu unterhalten.
»Peter«, zischte er.
Bär wandte den Kopf, erblickte Lavallier und kam zu ihm herüber.
»Dieser O’Connor ist ein Phänomen«, sagte er leise. »Er hat mir die ganze Geschichte erzählt, ich muss schon sagen…«
»Ich weiß, dass er ein Phänomen ist«, antwortete Lavallier. »Mich würde interessieren, was das Phänomen gerade tut. Leitet er schon die Ermittlungen, oder haben wir noch eine Chance?«
»Warte.« Bär senkte seine Stimme noch mehr. »Ich habe ihn überprüft, er scheint sauber zu sein. Sehr prominent. Er ist tatsächlich für den Physik-Nobelpreis nominiert und hat sieben Bücher geschrieben, die sich allesamt verkaufen wie blöde. Auf der ganzen Linie beneidenswert, ich meine, er sieht ja weiß Gott nicht schlecht aus .«
»Ja, ja, ja«, unterbrach ihn Lavallier.
Bär lächelte geheimnisvoll. »Das ist aber noch nicht alles.«
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