»Na gut«, sagte Wagner. »Aber was dabei rauskommt, will sagen, was die Medien daraus machen, ist weder Politik noch Unterhaltung, es ist ein ziemlich ekelhafter Mischmasch.«
»Natürlich ist es das. Aber auch das nur als Resultat dessen, was die Leute wollen. Fakten und Fiktion, Unterhaltung und Information, Kunst, Wissenschaft, wirkliche Kultur und Kolportage, alles fließt zu einem Brei zusammen, an dem alle widerwillig mitköcheln. Ist das in Deutschland so wesentlich anders? Natürlich lassen sich demokratische Monarchien wie England und Holland mittlerweile mit der US-Präsidentenfamilie vergleichen. Monarchie ist Boulevardthema. Wer will schon etwas über irgendeinen langweiligen Ministerpräsidenten erfahren? Die Amerikaner haben ihre Politiker eben zu Monarchen gemacht. Clintons Privatkram beliefert den Boulevardjournalismus. Dank dessen wissen wir jetzt zum Beispiel, dass unser Präsident das Peyronie’sche Leiden hat…«
»Das was?«, fragte Wagner.
»’ne krumm gewachsene Zigarre«, sagte Kuhn. »Andere haben einen Steifen, Clinton hat einen Schiefen.«
»Besten Dank. Könnten Sie bitte fortfahren, Mr. Silberman?«
»Ach, es ist kein Thema, das man beim Frühstück erörtern sollte. Ich will nur sagen, dass Medien und Volk einander einfach bedingen. Das muss nicht gut sein und sollte uns auch nicht daran hindern, uns alle zu bessern. Aber was wollen Sie? Amerika, die Moral und die Medien – vor eineinhalb Jahren hat der Papst Kuba besucht, das war nun wirklich eine ziemliche Sensation. Castro und der alte Schulmeister aus Rom. Im Zuge dessen hat sich Kuba erstmals ausländischen Medien geöffnet. Wir konnten berichten nach Herzenslust. Aber was passierte? Nach dem ersten ›live‹-Bericht von der Ankunft des Papstes erging der Ruf aus Washington, und plötzlich wurden alle Journalisten von einer Berichterstattungswelle hinweggeschwemmt, hinter der sich ein Castro und ein Wojtyla wie Randfiguren der Geschichte ausnahmen. Der Grund war, dass sich Slick Willie einen hatte blasen lassen. Selbst Anschläge auf amerikanische Botschaften mit Hunderten von Toten spielten da eine nebensächliche Rolle. Ich weiß noch, dass wir mit unserem Team gern in Kuba geblieben wären, aber man hat uns ziemlich unmissverständlich klar gemacht, dass wir dann raus wären aus der größten Geschichte aller Zeiten. Also haben wir die Zelte abgebrochen. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn die überwiegende Mehrheit der amerikanischen
Bürger es nicht so gewollt hätte. So viel zu den bösen Medien.«
»Clinton hat eben ein tiefer gehendes Verhältnis zu Zigarren als Castro«, bemerkte Wagner. »Vielleicht liegt’s daran.«
»Wojtyla ist auch schon lange nicht mehr Ski gelaufen«, schob Kuhn nach. »Und vögeln tut er schon mal gar nicht.«
»Na, na. Spricht so der brave Journalist?«
»Bullshit!« Kuhn spuckte das Wort zusammen mit Krümeln seines Brötchens aus und fuchtelte mit den Händen. »Es ist die Wahrheit. Bei Schröder haben sie sich doch auch geraume Zeit mehr für sein Liebesleben interessiert als für eventuelle politische Pläne, und trotzdem ist er Kanzler geworden. Nein, genau darum ist er Kanzler geworden, der eitle Hund! Alles eine Frage der richtigen Inszenierung.«
»Was? Weil er’s mit Doris Köpf getrieben hat?«
»Weil Politik über Personen funktioniert. Das ist mehr als eine Marketingstrategie. Das ist System. Die Medien haben sich darauf verlegt, Menschen und Charaktere zu verkaufen, das kommt besser an als die Analyse komplexer Sachverhalte.«
»Das ist übrigens nicht ausschließlich amerikanisch«, fügte Silberman hinzu.
»Das ist Amerikanisierung«, trompetete Kuhn. »Überall, wo wir eine Infrastruktur der Massenmedien haben, findet das statt. Bei Blair war das auch nicht anders, der ist wegen seines netten Grinsens an die Macht gekommen, ‘ne leeve Jung, würde man hier in Köln wohl sagen. Schröder hat sich von seiner Ollen getrennt, was die Hälfte aller Männer in seinem Alter gern täte, da hat er schon mal gut dagestanden gegen den Fettsack aus Oggersheim mit seinem Saumagen und seiner Hannelore. Dann das dialektische Gerangel mit Lafontaine. Alles Show. Glaubt wirklich noch einer, Person und Thema ließen sich voneinander trennen?«
»Was aber sagt uns das, o Sokrates?«
Kuhn hob erstaunt die Brauen.
»Das wisst ihr nicht? Daraus folgt, dass die Inszenierung den Inhalt killt. Wenn in einer Demokratie die schönsten blauen Augen gewählt werden, kann man sie auch gleich abschaffen. Warum ist der Kaffee alle, Kika?«
Wagner gähnte und gab der Bedienung ein Zeichen.
»Wäre es etwas Neues, zu erfahren«, warf O’Connor ein, »dass Demokratie schon immer der Triumph der Dummen war?«
»Kommen Sie, Liam, wenn eine Nation soziale Ungleichheit, Diskriminierung von Minderheiten und so weiter untern Teppich kehrt, aber die Sexualmoral ihrer Führer als öffentliche Angelegenheit betrachtet, ist das schlimmer als Dummheit. Eine solche Gesellschaft fällt zurück in Primitivität und Unterdrückung.«
»Franz, Sie sind unbezahlbar«, sagte O’Connor. »Man sollte Ihnen also auch nichts geben für den Klang der hehren Worte. Jetzt habt ihr euren Gipfel, und alle wollen sehen, wie Clinton und Jelzin von links nach rechts gehen. Personenkult ist so alt wie die Welt. Gestern war ich das Äffchen. Warum sprechen wir nicht über nette Dinge?«
Wagner sah auf die Uhr.
»Wir sprechen über gar nichts mehr, weil wir jetzt rausfahren werden zum Golfspielen.«
»Oh«, sagte Silberman. »Wie schön. Sie spielen Golf, Dr. O’Connor?«
»Ja, es ist so angenehm.« O’Connor faltete artig seine Serviette zusammen und erhob sich. »Man kann mit wichtigen Leuten spazieren gehen und komische Schuhe tragen. Es war sehr nett, Sie kennen zu lernen, Mr. Silberman. Sehen wir uns noch?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Dann grüßen Sie Ihren Präsidenten. Sagen Sie ihm, er soll es halten wie Bart Simpson: Ich war’s nicht, ich hab nix gemacht! Der ist damit zum beliebtesten Amerikaner geworden und verdankt seine Berühmtheit auch nur einem Pinsel.« »Das war gemein von dir«, sagte O’Connor, als Wagner ihn in ihrem Golf nach Pulheim fuhr.
»Was?«
»Das, was du zu Silberman gesagt hast. Ich würde mittendrin aufstehen und den Raum verlassen. Die Wahrheit ist, ich würde nie einen Raum verlassen, in dem du dich gerade befindest.«
»Ja, weil du mir dann erklären müsstest, warum.« Wagner lachte. »Komm, du hast es verdient, das musst du zugeben.«
»Was ich immer alles zugeben muss.« O’Connor reckte sich und legte den Kopf in den Nacken. »Mit wem spiele ich denn Golf?«
»Das weißt du doch. Mit dem Vorstand der Stadtsparkasse.«
»Dem von gestern Abend? Ach richtig.« Er seufzte. »Das heißt, sie werden mich herumreichen. Bin ich ordentlich gekleidet? Mein Gott, hoffentlich habe ich genügend geistreiche Bemerkungen eingepackt.«
Wagner sah zu ihm hinüber und grinste spöttisch. »Du hast deinen Oscar Wilde ganz gut im Griff.«
»Oh, ich bin nicht halb so geistvoll wie Wilde. Das ist ein Segen, weil es mich vor Inhaftierung und Kerker bewahrt. Kommt Kuhn auch zu diesem Mittagessen?«
»Ja.«
»Wie furchtbar. Er ist langweilig. Er weiß so viel, dass es keinen Menschen interessiert. Halt mal da.«
»Was?« Wagner suchte verwirrt das Band der Straße ab. Nichts Signifikantes war zu sehen. »Wo denn? Ich bin froh, dass ich mit dem ganzen Restalkohol überhaupt fahren kann.«
»Da irgendwo auf dem Seitenstreifen«, sagte O’Connor. Sie waren mittlerweile auf der Landstraße außerhalb des Stadtgebiets angelangt. Ringsum lagen Felder, in der Ferne sah man die weißen Wolkenberge eines Wasserkraftwerks. Wagner suchte nach einem geeigneten Platz, entdeckte einen Feldweg und parkte den Wagen zwischen zwei Ackerflächen.
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