»Und wen willst du jetzt fragen?«
O’Connor zuckte die Achseln.
»Sag du es mir. Du bist meine Presseagentin. Solltest du auf die Marotten deiner Schutzbefohlenen nicht vorbereitet sein?«
»Auf dich kann keiner vorbereitet sein.«
»Seltsam. Das hat meine Mutter auch gesagt, als man mich ihr in den Arm legte.«
»Im Ernst? Was hattest du angestellt?«
»Ich? Nichts. Ich habe mich einfach nur zwölf Stunden lang bitten lassen. Es war gemütlich da drin, weißt du. Dunkelrot und mollig wie in einem Hafenpuff. Als sie mich zwingen wollten rauszukommen, muss ich wild um mich getreten haben!«
»Du hast dich danebenbenommen. Wie immer.«
»Ich habe meine Zeit genutzt. Aus der Rolle fallen darfst du als Kind und wenn du alt bist. Ich will ja nichts Despektierliches über mein Elternhaus sagen, aber es dürfte der einzige Moment ihres Lebens gewesen sein, dass meine Mutter je wirklich von etwas erschüttert war und darüber in vernehmliches Wehklagen ausbrach. Ähnliche Gefühlswallungen habe ich nie wieder bei ihr erlebt. Aber wie ich schon sagte, du darfst nicht alles wissen – für den Augenblick jedenfalls!«
Sie gingen ins Innere und fanden sich in einem Atrium wieder. Die Etagen mit ihren Fluren und Zimmern zogen sich als Balustraden um einen Lichthof unter einer pyramidenförmigen Glaskuppel. Das Gebäude wirkte hell und freundlich. Auf einer großen Tafel stand zu lesen, wer in welcher Höhe residierte. Die Personalabteilung befand sich im zweiten Obergeschoss. Wagner fragte den Pförtner nach den Aufzügen.
»Warum bist du eigentlich so scharf darauf, Paddy wiederzusehen?«, fragte sie, während sie hochfuhren.
»Er hat mich daran erinnert, dass ich im Laufe der Jahre ein besserer Mensch geworden bin«, sagte er. »Komisch, nicht? Ich verspürte einen Anflug von Dankbarkeit, als ich ihn sah.«
»Ich weiß nicht. Dankbarkeit steht dir nicht.«
»Darum will ich sie ja an ihm auslassen. Vielleicht will ich auch einfach nur wissen, warum es jemand mit seinen Talenten und Geistesgaben nicht weiter gebracht hat. Wir hatten die gleichen Voraussetzungen.«
»Anteilnahme oder Neugier?«
»Für Anteilnahme reicht mein Kenntnisstand nicht aus.«
»Möglicherweise schätzt du die Situation falsch ein. Vielleicht ist er ja so was wie ein leitender Angestellter.«
»Paddy? Er konnte nicht mal sich selbst leiten.«
»Menschen ändern sich.«
»Ja, aber sie bessern sich selten.«
Der Fahrstuhl stoppte. Sie betraten das zweite Stockwerk.
»Sag mal, Liam…«, fragte sie. »Hättest du überhaupt irgendetwas für ihn tun können damals?«
»Wann?«
»Als sie ihn rausgeworfen haben.«
O’Connor blieb stehen.
»Interessante Frage.« Er machte eine Pause. »Ich sollte jetzt wohl sagen, Finger in die Wunde gelegt. Aber du hast dich vertan, da ist nichts. Keine alten Rechnungen. Kein Pakt, keine Selbstvorwürfe. Nein, ich glaube nicht, dass ich mehr für ihn hätte tun können. Ich hätte mich nicht dazu durchringen können, ihn für so wichtig zu erklären.«
»Warum jetzt?«
»Wie schon gesagt: Neugier.«
»Dann lass mich anders fragen. Gibt es überhaupt jemanden, der dir wichtig ist? Ich meine, außer dir selbst?«
»Wie inquisitorisch du sein kannst.« Er grinste. »Ich gebe mir zumindest alle Mühe, es herauszufinden. Sollte dir das nicht aufgefallen sein?«
»Ich bilde mir nicht ein, Teil einer Premiere zu sein.«
»Das bist du auch nicht – ein Teil, meine ich.«
Nachdem sie die Schilder an den Zimmern gelesen hatten, versuchten sie es schließlich im Sekretariat Personalwesen. O’Connor erklärte einer rundlichen Frau, die nicht wusste, ob sie mehr an seinen Lippen oder an seinen Augen hängen sollte, wen er suchte. Die Frau schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln, wandte sich ihrem Computer zu und rief nacheinander verschiedene Dateien auf.
»Wo soll Ihr Bekannter arbeiten?«, fragte sie.
»Möglicherweise in der Technik«, erwiderte O’Connor. »Vielleicht. Ich weiß nicht, er trug einen Overall.«
»Patrick Clohessy?«
»Ja.«
Eine Weile hörte man nur das Klacken ihrer Fingernägel auf der Tastatur. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Tut mir leid. Eine Menge Leute tragen Overalls. Kann es eine andere Abteilung sein?«
»Keine Ahnung, welche Sie sonst noch anzubieten haben. Können Sie nicht gleich den ganzen Flughafen durchchecken? Geben Sie doch einfach seinen Namen ein.«
Eine weitere Minute verstrich. Die Frau hob bedauernd die Schultern.
»Fehlanzeige.«
»Clohessy«, wiederholte O’Connor, als habe sie ihn nicht verstanden. »Patrick Clohessy.«
»Ja, ich weiß. Es gibt keinen Patrick Clohessy.«
O’Connor rieb sich das Kinn.
»Das ist komisch«, murmelte er halb zu sich selbst. »Ich irre mich nie in Gesichtern. Er war es ohne jeden Zweifel.«
Wagner beugte sich zu ihm hinüber.
»Du warst voll wie tausend Mann«, sagte sie leise. »Ich gebe es nur ungern zu bedenken, aber mir kommt das Ganze ein bisschen vor wie ›Mein Freund Harvey‹.«
»Ich weiß, dass ich voll war«, sagte O’Connor unwillig. »Ich bin grundsätzlich voll. Er ging an mir vorüber, Kika, Seite an Seite mit einem anderen Typen, und sie trugen beide die gleiche Kleidung.«
»Es ist üblich, dass die Technik hin und wieder Mitarbeiter von Fremdfirmen beschäftigt«, sagte die Frau. »Wenn er auf deren Lohnliste steht, können wir ihn lange suchen.«
»Nein.« O’Connor schüttelte den Kopf. »Auf dem Rücken stand irgendwas von Köln/Bonn oder CGN Airport.«
»Vielleicht heißt Ihr Freund ja gar nicht mehr Clohessy.«
»Was?«
»Ich meine, vielleicht hat er geheiratet.«
»Er heißt Patrick«, sagte O’Connor eine Spur zu freundlich. »Nicht Patricia.«
Wagner trat ihm auf den Fuß.
»Es soll vorkommen, dass Männer wie ihre Frauen heißen wollen. Wir schreiben das Jahr 1999. Gemeinsam mit Kika Wagner dringt Liam O’Connor in Galaxien vor, die nie zuvor ein Mann betreten hat.«
»Spock hebt eine Braue«, sagte O’Connor. »Der einzige Grund für einen Mann, den Namen seiner Frau anzunehmen, ist, wenn er von der Fremdenlegion gesucht wird. Aber gut. Können Sie bitte nachsehen, ob es jemanden in der Technik gibt, dem das Schicksal wenigstens den Vornamen Patrick gelassen hat?«
Die Frau zögerte. Offenbar begann sie sich etwas verspätet zu fragen, ob sie zu alldem überhaupt befugt war.
»Wer sind Sie denn eigentlich?«, fragte sie misstrauisch.
Wagner klärte sie in kurzen Zügen auf. Die Erwähnung der Nobelpreisnominierung schien keinen sonderlichen Eindruck auf die Frau zu machen, aber als Wagner hinzufügte, er schreibe Romane, ging ein Leuchten über ihre Züge.
»Warten Sie.«
Sie verschwand in einem angrenzenden Zimmer. Als sie kurze Zeit später zurückkam, folgte ihr ein Mann mittleren Alters, der sich als stellvertretender Personalchef auswies.
»Sie müssen verstehen, dass wir keine Auskünfte über unsere Mitarbeiter herausgeben können«, erklärte er freundlich. »Ich werde in diesem Fall eine Ausnahme machen. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, Dr. O’Connor, ich habe Ihr letztes Buch mit großem Vergnügen gelesen. Glauben Sie wirklich, Ameisen seien intelligent?«
»Der Gedanke kommt mir jedes Mal, wenn ich im Flugzeug sitze und herunterschaue«, sagte O’Connor liebenswürdig.
Der Personalchef lachte kultiviert. »Ja, mir auch. Jedenfalls, ich habe mit der Flughafensicherheit telefoniert. Dazu sind wir verpflichtet. Man hat dort keinerlei Bedenken, Ihnen zu helfen, wenngleich es den Mann, den Sie suchen, offenkundig in Köln-Bonn nicht gibt. – Andererseits haben wir tatsächlich einen Iren. Er ist Fassadentechniker. Möglich, dass der eine den anderen kennt. Sie können mit ihm sprechen, wenn Sie wollen. Er heißt Ryan O’Dea.«
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