Wagner ließ sich das Zimmer zeigen. Es war behaglich und großzügig eingerichtet und gewährte einen phantastischen Blick auf das gegenüberliegende Rheinufer mit dem Hyatt. Zufrieden fuhr sie mit dem Aufzug in die Lobby und fragte an der Rezeption nach einem guten Whisky, schottischem oder irischem, aber keinesfalls Bourbon. Es war nicht an ihr, O’Connor am Trinken zu hindern. Er konnte sich Alkohol verschaffen, wann und wo immer er wollte. Wenn er schon so viel Wert darauf legte, sollte er sich ruhig über eine Flasche auf seinem Zimmer freuen.
Die Rezeptionistin verstand von Whisky offenbar ebenso wenig wie Wagner selbst. Ein Kollege wurde hinzugezogen, der wissend die Mundwinkel hob und versprach, sich darum zu kümmern. Den Namen, den er erwähnte, hatte Wagner schon gehört. Er fügte noch etwas von Special Old Reserve hinzu und erwähnte die Worte Pure Single Malt. Das erschien ihr hinreichend exotisch, um sich der Kennerschaft des Mannes anzuvertrauen. Sie dankte ihm und ließ ihren Blick die Hotelhalle durchschweifen.
Auch hier war man im Gipfelfieber. Der Anblick breitschultriger Bodyguards fehlte, dafür sah sie Männer und Frauen in geschäftsmäßigem Grau das Basement durchqueren, in Gruppen zusammenstehen oder die Tische der Sitzgruppen mit Schnellheftern und Laptops belegen.
Zum zweiten Mal an diesem Tag machte sie es sich in einer Hotelhalle bequem, bestellte einen Capuccino und wartete. Die Sitzgruppen in der Lobby des Maritim waren von gleicher Eleganz und Bequemlichkeit wie die im Hyatt und ebenso wie diese nicht geschaffen für Frauen wie Kika Wagner. Sie lehnte sich zurück, zog die Knie an, ließ sie sacht nach rechts kippen, versuchte das Gleiche zur linken Seite hin und streckte sie schließlich aus. Zwei Männer, die etwas sprachen, das möglicherweise Russisch war, gingen vorbei und starrten.
Auch gut.
Eine Viertelstunde später trafen Kuhn und O’Connor ein. Der Lektor grinste mit hochgerecktem Daumen, was wohl heißen sollte, dass O’Connor sich in der Buchhandlung manierlich betragen hatte. Er zupfte an seiner Jacke herum und begab sich an die Rezeption. Wagner erhob sich, strich ihren Rock glatt, ärgerte sich im selben Moment über die Öffentlichkeit der Geste und trat dem Physiker entgegen.
»Hallo, Ki-Ka!«, sagte O’Connor und sah sie an.
Größere Mengen Atome in ihrem Bauch und Brustkorb wechselten auf ein höheres Energieniveau und schossen wild durcheinander. Sie lächelte. Er schien zu überlegen. Dann erhellte sich seine Miene. Er ging zu einem der Blumengestecke, die überall in der Lobby verteilt waren, riss eine Rose heraus und kehrte damit zu Wagner zurück.
Auch das noch.
Sie bereitete sich darauf vor, einen Dank von angemessener Kühle zu formulieren. Dann ging ihr auf, dass er keinerlei Anstalten machte, ihr die Rose zu überreichen. Er drehte sie hin und her, roch daran und nickte befriedigt.
»Ich liebe Rosen«, sagte er.
»Ja«, bemerkte Wagner trocken. »Das sieht man.«
»Werde sie mit aufs Zimmer nehmen und jedes Gewächs, das ich stattdessen vorfinde, in den Müllschlucker werfen. Ist Ihnen das mal aufgefallen, Gaby? Hotels verunstalten die besseren Zimmer immer mit den grauenhaftesten Pflanzenarrangements. Wie Grabgestecke. Man legt sich ins Bett und wundert sich, wo der Priester bleibt.«
»Sie haben Suite 108«, mischte sich Kuhn ein und wedelte mit einem Schlüssel.
»Und?«, fragte O’Connor ernst. »Was soll ich da?«
»Nichts«, sagte Wagner. »Wir können auf den Dom klettern. Er ist direkt um die Ecke.«
»Ich selbst«, fügte Kuhn hastig hinzu, »bewohne die 344. Wenn Sie irgendetwas brauchen, ich werde die nächste Viertelstunde dort sein und mich frisch machen. Rufen Sie einfach an.«
O’Connor holte aus und schlug ihm jovial auf die Schultern.
»Das würde ich, Kuhn, alter Junge, wenn Sie rote Locken und die Titten von Lollo Ferrari hätten.«
Kuhn bekam knallrote Ohren.
»Ich kann… äh… sehen, was sich machen lässt. Habe ich Sie richtig verstanden, dass .«
O’Connor beugte sich zu ihm vor, wankte leicht und schnüffelte.
»Was ist das für ein Aftershave? Irish Moos? Wollen Sie sich beliebt machen?«
»Hey, Liam! Das reicht nun wirklich!«
»Ich bin Ihr Zugpferd. Was reicht, überlassen Sie bitte mir. Du lieber Gott, wie Sie stinken! Ich werde mich wohl heute Nachmittag im Bett aufhalten müssen. Gaby, will sagen, Kika… wo sind Sie denn? Ah! Ich glaube, Ihr Freund Kuhn hatte ein paar Gläser zu viel. Er kann kaum gerade stehen. Bringen Sie mich aufs Zimmer?«
»Wenn Sie in den ersten Stock fahren –«, begann Wagner.
»Wenn Sie in den ersten Stock fahren«, unterbrach sie O’Connor, »komme ich vielleicht mit. Ansonsten gehe ich an die Bar.«
Wagner registrierte etwas in ihrem Innern, das hochdrängte und sich Luft machen wollte. Sie zwang es zurück und nickte.
»Gut. Gehen wir.«
Kuhn holte den Aufzug. Sie fuhren nach oben und schritten den Gang entlang, der zu O’Connors Suite führte.
»Wie groß sind Sie denn?«, wollte O’Connor wissen.
»Zu groß für Sie«, gab sie mit zuckrigem Lächeln zurück.
»Das würde ich nicht sagen!«, protestierte O’Connor, zog den Kopf ein und sah mit Hundeblick zu ihr auf. »Ich bin eins vierundachtzig. Eigentlich bin ich sogar eins sechsundachtzig. Ich war immer eins sechsundachtzig.«
»Und warum sind Sie jetzt zwei Zentimeter kleiner?«
»Letztes Jahr hat mein Arzt behauptet, ich sei eins achtzig. Ich war längere Zeit nicht bei ihm. Wir haben sehr über das Thema gestritten und uns dann auf eins vierundachtzig geeinigt. Glauben Sie die Geschichte?«
»Nein.«
»Sie ist aber wahr. Der Mensch wird kleiner im Alter. Es gibt noch Hoffnung für Sie, Kika.«
Kuhn schloss Zimmer 108 auf und bugsierte O’Connor hinein.
»Sie sollten sich ein bisschen ausruhen«, schlug Wagner vor. »Um sieben sind Sie im Physikalischen Institut.«
»Ach, das.« O’Connor drehte seine Rose hin und her, tappte unentschlossen zu seinem Gepäck, zupfte an seiner Golftasche und bemerkte den Whisky auf der Anrichte unter dem Spiegel. Seine Augen weiteten sich.
»Glenfiddich«, sagte er.
Kuhn warf Wagner einen giftigen Blick zu. Sie fühlte sich unbehaglich. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, ihm die Flasche aufs Zimmer zu stellen. Wenn O’Connor auf die Idee kam, das Zeug jetzt in Angriff zu nehmen, konnten sie das Physikalische Institut gleich absagen.
Immerhin, dachte sie. Volltreffer. Er ist ehrlich ergriffen.
»Glenfiddich«, wiederholte O’Connor leise. Er legte die Rose auf die Anrichte, nahm die Flasche in beide Hände und schüttelte den Kopf. »Ich werde diese Flasche unverzüglich leeren müssen.«
»Ich würde das keinesfalls tun!«, rief Kuhn entsetzt.
»Doch. Genau das werde ich.«
Er drehte den Verschluss auf und schlurfte ins Bad. Sie hörten ein gluckerndes Geräusch. Wagner fragte sich, was er da machte. Sie ging ihm hinterher und sah, dass er den kompletten Inhalt in den Ausguss leerte.
»Diese Schwachköpfe«, fluchte O’Connor leise. »Was glauben die, wer ich bin? Wollen die mich beleidigen? Kaufhausplärre! Exportpisse! Die mieseste Brühe, die sich je von Schottland in die Welt verirrt hat, und mir stellen die so was hin. Vor nicht ganz hundert Jahren hätte man den Überbringer darin ersäuft, für nichts anderes ist der Fusel gut.«
Kuhn betrachtete Wagner mit anzüglichem Grinsen.
»Danebengegriffen, Frau Kollegin?«
»Halten Sie bloß die Klappe.«
O’Connor kehrte aus dem Bad zurück und gähnte. Er sah aus, als würde er jeden Moment zu Boden gehen.
»Ich werde mich hinlegen. Manchmal ist die Realität einfach viel zu realistisch. Wann müssen wir in dieses lächerliche Institut?«
»Kuhn holt Sie um halb sieben ab«, sagte Wagner.
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