»Mein Leben gehört niemandem!«, schrie Jana.
Kuhn schluckte. Es war, als hätte eine andere Frau durch ihren Mund gesprochen.
Ihre Augen funkelten ihn hasserfüllt an.
Jetzt, dachte er. Jetzt wird sie es tun.
»Es gibt nur einen Menschen, der den Preis für mein Leben festsetzt«, sagte Jana sehr leise und akzentuiert. »Das bin ich selbst, hast du verstanden? Ich! Und den für deines mache ich gleich mit.«
»Zu spät. Du gehörst schon jemand anderem.«
»Was redest du?«
»Die Holding heißt irgendwas mit Nato, Milosevic und so. Du kannst mir mein Leben nehmen, aber ich werd’s nicht verkaufen. Wenn ich sterbe, sterbe ich wenigstens als freier Mann. Deines ist längst verkauft. Komm mir nicht mit einsamen Entscheidungen, für dich ist schon entschieden worden.«
Einen Moment lang sah Jana aus, als wolle sie doch noch zuschlagen. Dann seufzte sie und lehnte sich neben ihn an die Wand.
Eine Weile war nur Kuhns keuchender Atem zu hören, der sich allmählich wieder verflachte. Dann sagte Jana:
»So viel Pathos, Kuhn. Warum machst du uns beiden das Leben dermaßen schwer?«
»Ich?« Kuhn schüttelte in bitterer Verwunderung den Kopf.
»Mein Leben war nicht schwer, bevor du dich eingemischt hast.«
Er spürte einen Schmerz in seinem Oberarm und merkte, dass er vom Griff seiner eigenen Finger herrührte. Immer noch hielt er sich selbst umklammert. Langsam ließ er den Arm sinken, und das Gefühl der Schutzlosigkeit überkam ihn noch heftiger als zuvor. Sein Handgelenk war wund gescheuert von der Handschelle.
Schutzlosigkeit und Einsamkeit.
Jana hatte Recht.
Er war einsam. Er war immer einsam gewesen. Sie standen hier und sagten sich Wahrheiten, und am Ende würde die Frau zwei Morde begehen. Zwei weitere zuzüglich zu denen, die sie wahrscheinlich schon begangen hatte.
»Man hat wenig Gelegenheit für ein vernünftiges Gespräch«, sagte Jana in die Stille hinein. »Das ist bedauerlich. Ich meine, man kann in meiner Lage über alles Mögliche sprechen, nur nicht über das, worauf es ankommt. Man unterhält sich mit seinem Echo, und jeden, der anderer Meinung ist, muss man leider töten.«
»Was für Sorgen«, sagte Kuhn.
»Willst du einen Kaffee?«
Er wandte den Kopf und sah sie an. Ihr Gesicht war wieder ohne Ausdruck, so wie meistens. Wie ein Testgelände für Gefühle. Testen, Abbruch. Testen, Abbruch. Wie eine Wüste. Nicht traurig, nicht glücklich, einfach nur ein Gesicht.
»Gern«, sagte er.
Die eine ging, der andere kam.
Wenige Minuten, nachdem Wagner zurück in die Stadt gefahren war, traf Aaron Silberman ein. Lavallier hatte sich unterdessen auf das Vorfeld Fracht West begeben, um wenigstens bei der Landung der Kanadier dabei zu sein. O’Connor wusste, dass weder der Hauptkommissar noch Bär begeistert von der Idee waren, einem Berichterstatter des White House Einblick in den Fall zu gewähren. Bär stellte Silberman dennoch ein paar Fragen, aber auch der Journalist hatte von Kuhn nichts mehr gehört oder gesehen seit dem gemeinsamen Frühstück am Tag zuvor.
Danach zeigte sich Silberman neugierig und Bär sehr beschäftigt. Er verbot dem Korrespondenten, ein Wort über die Sache verlauten zu lassen, und überantwortete ihn der Gesellschaft O’Connors, der ihn nach kurzem Überlegen in die Bar des Holiday Inn schleppte.
Während sie die wenigen Schritte hinübergingen, vorbei am Gebäude der Verwaltung, kämpfte O’Connor seinen Missmut herunter. Er war es gewohnt, dass man ihn des Zynismus, der Gleichgültigkeit und diverser schlechter Angewohnheiten bezichtigte. Aber nicht eines profanen Verbrechens! Es war einfach ungehörig, ihm Schlimmeres zu unterstellen als degoutantes Verhalten. Man mochte ihn einen Chauvinisten nennen, gut. Man hatte ihn als manirierten Parvenü, als dekadentes Arschloch und versoffenen Bastard tituliert, besten Dank! Rüpel, Schwätzer, Weiberheld, alles in Ordnung! Was immer den Ruf des Parkettschurken förderte, wurde unter Hochziehen der linken Braue als Kompliment verbucht.
Ihn jedoch wie einen Kleingauner zu verhören und terroristischer Handlungen zu verdächtigen – indiskutabel! Und es außerdem zu schaffen, dass er sich zu persönlichen Äußerungen hatte hinreißen lassen, allein dafür gehörte Lavallier geohrfeigt!
Mit vor Wut steifen Schritten stakste er vor Silberman dahin. Das Spiel nahm Züge an, die ihm nicht gefielen. Dennoch hätte er leben können mit seiner verletzten Eitelkeit, wäre da nicht noch etwas anderes gewesen. Etwas, das ihn zutiefst beunruhigte. Eine lauernde Vermutung, die plötzlich zur Gewissheit wurde.
Jemand hatte ihn ausgetrickst.
Dass er am Morgen den Finger auf ein mögliches Verbrechen gerichtet hatte, um sich nun als Verdächtiger wiederzufinden, war absurd. O’Connor bezweifelte nicht, dass man in Paddys Wohnung das ominöse Schreiben gefunden hatte. Dass es von Paddy stammte, schon eher. Paddy hatte keinen Grund, ihn auf diese Weise in Misskredit zu bringen. Bis gestern hatte er nicht einmal ahnen können, dass O’Connor ihm über den Weg laufen würde. Warum sollte er einen derartigen Unsinn verfasst haben?
Um O’Connors Glaubwürdigkeit zu untergraben?
Das war es! Hinter Paddys Verschwinden und der Entführung Kuhns steckte mehr als die Vergangenheit eines untergetauchten IRA-Aktivisten. Aber genauso sollte es aussehen. Wie eine Fehde im innersten Kreis des irischen Separatismus, die den Flughafen nur zufällig betraf.
Und ihn benutzten sie dazu!
Zielstrebig steuerte O’Connor den Tresen an und brachte zwei Hocker in Stellung.
»Was möchten Sie trinken, Aaron? Irischer Whisky empfiehlt sich eigentlich immer, wenn man ein Problem zu lösen hat. Und wir haben mehr als eines, wie mir scheint.«
Vom Moment der Begrüßung an, als Silberman mit bestürzter Miene die Polizeiwache betreten hatte, waren sie automatisch zum Vornamen übergegangen. Es war die amerikanische Art, vertraulich zu werden, ohne dass es der Vertrautheit bedurfte. Nichts Verbindliches, aber praktisch, wenn es etwa darum ging, gemeinsam eine Bar aufzusuchen und Dinge wie Entführungen oder Terroranschläge zu diskutieren.
Silberman sah skeptisch drein.
»Ein bisschen früh für Whisky, würde ich sagen.«
»Alles, was jenseits der Ein-Uhr-Marke liegt, ist als Abend zu betrachten«, sagte O’Connor. »Wir sind eigentlich spät dran. Ich kenne Gegenden in Sligo, da geht der eine Abend in den anderen über.«
»Ich bin wohl eher Amerikaner«, lächelte Silberman. »Die irische Form von Glück ist mir, fürchte ich, zu strapaziös.«
»Das haben Sie falsch verstanden«, sagte O’Connor geduldig. »Die Iren sind nicht glücklich. Sie haben sich für den Genuss entschieden. Er hält länger vor. Nebenbei, kommen die Amerikaner nicht alle irgendwie aus Irland?«
»Nicht die schwarzen.«
»Ach ja. Umso mehr ein Grund. Zwei Jamesons.«
Der Barmann wirkte verwirrt. Dann erhellte sich seine Miene. Er griff hinter sich und förderte eine Flasche Tullamore Dew zutage.
»Stopp«, sagte O’Connor.
»Das ist irischer Whisky«, sagte der Barmann schüchtern.
»Das tut man in den Kaffee, Sie Wasserspeier. Gut, versuchen wir’s mit Schottischem. Was haben Sie an Single Malts?«
»Glenfiddich?«
Es war deprimierend.
»Für mich ein Tonic Water«, sagte Silberman und putzte seine Brille. »Ich glaube übrigens nicht«, fügte er zu O’Connor gewandt hinzu, »dass Sie hier fündig werden. Es sei denn, Sie steigen auf Bourbon um.«
»Das wäre mein Ende. Geben Sie mir ein Bier.«
»Jedenfalls bin ich Ihnen dankbar, dass Sie mich angerufen haben.« Silberman hielt die Brille prüfend gegen das Licht und setzte sie wieder auf. »Kuhn ist ein guter Freund. Diese Geschichte macht mir große Sorgen. Ich fürchte nur, ich werde Ihnen kaum weiterhelfen können.«
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