»Schröder?«
»Der Kanzler?« Silberman spitzte nachdenklich die Lippen. »Nein. Entschieden nein! Er kommt nicht mit dem Flieger. Außerdem werden Attentate auf deutsche Politiker immer nur von Deutschen verübt. Sie mögen sich selbst am wenigsten. Nein, ich glaube nicht, dass wir es hier mit Deutschen zu tun haben.« Silberman machte eine Pause und nippte an seinem Tonic Water. »Sofern wir es überhaupt mit jemandem zu tun haben. Es ist und bleibt pure Spekulation.«
Plötzlich schien es O’Connor, als stehe der Berichterstatter kurz davor, einen Rückzieher zu machen.
»Diesmal kann ich Sie nicht schonen, Aaron«, sagte er. »Gut möglich, dass jemand Blair oder Chirac ans Leder will, aber glauben Sie das wirklich?«
Silberman schüttelte stumm den Kopf.
»Wer also könnte einen Anschlag auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten verüben wollen?«
Silberman sah ihn an. Dann lachte er kurz auf.
»Alle! Jeder! Russland. Serbien. Libyen. China. Kolumbien. Der Irak. Nordkorea. Du meine Güte.« Er winkte dem Barmann. »Geben Sie mir einen Bourbon, schnell!«
»Welchen Bourbon?«, fragte der Barmann vorsichtig.
»Irgendwas.«
»Und – für Sie?«
»Ich ziehe es vor, stilvoll unterzugehen«, sagte O’Connor. »Was bietet die Abteilung Portwein?«
Der Barmann strahlte. Nacheinander stellte er eine ansehnliche Kollektion älterer Jahrgänge auf den Tresen.
O’Connor studierte mit Wohlwollen die Etiketten.
»Gut, gehen wir systematisch vor. Clinton gilt als treibende Kraft der Nato-Intervention. Die Serben zum Beispiel dürften einigermaßen sauer auf ihn sein. – Geben Sie mir den Achtundsiebziger Dela- force und eine Hand voll Nüsse.«
»Sie sind viel saurer auf Blair und Schröder«, bemerkte Silberman. »Von den Amerikanern haben sie nichts anderes erwartet als Krawall, aber schon wieder von Deutschland angegriffen zu werden, warum auch immer, das hat sie regelrecht traumatisiert.«
»Diesmal war’s aber nicht die Wehrmacht.«
»Na und? Sie verkennen den serbischen Opfermythos. Wenn Sie sich im Recht fühlen, ist es Ihnen verdammt egal, warum Sie jemand angreift, derjenige ist immer im Unrecht. Sie werden es kaum glauben, aber Clinton war ursprünglich wenig begeistert davon, sich überhaupt einzumischen. Man muss der moralischen Attitüde der Intervention nicht unbedingt misstrauen, aber verschiedenes relativieren. Mit diplomatischem Gewicht haben sich die USA erst engagiert, als die Übergriffe Belgrads gegen die albanische Zivilbevölkerung überhand nahmen. Um die Wahrheit zu sagen, es gibt Gerüchte, wonach die Großoffensive Serbiens gegen die UQK im letzten Jahr mit stillschweigender Billigung Washingtons geschah. Clinton hat die Spaltung der UQK betrieben, sie war ihm suspekt. Ebenso wie man drüben die Idee verwarf, dem Kosovo den Status einer dritten Republik im restjugoslawischen Verbund zu geben. Und zwar gleichberechtigt mit Serbien und Montenegro!«
»Das konnte ja nicht klappen.«
»Oh, es hätte klappen können! Es waren ja nicht mal so sehr die Serben, die am lautesten dagegen protestierten. Interveniert hat Montenegro. Aber die Vereinigten Staaten haben es damals möglicherweise für gut befunden, nicht ganz mit dem Belgrader Regime zu brechen. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, hatte Clinton nicht das mindeste Interesse an diesem Krieg. Er ist ein großer Harmonizer, unser Willie, kein Feldherr.«
»Ich dachte, Holbrooke hätte schon letzten Sommer mit Bomben gedroht.«
»Hat er. Weil Amerika davon ausging, mit dem Bluff durchzukommen. Gelang ja auch. Wir hatten dieses schöne Abkommen, Milosevic rief ein paar Truppen zurück, und die OSZE richtete eine feine Mission im Kosovo ein. So weit, so gut.«
»Verstehe. Oder auch nicht.« O’Connor schüttelte den Kopf. »Vielleicht würden Sie mir mal was erklären, Aaron.«
»Wenn ich kann.«
»Warum hofiert man ein Arschloch wie Milosevic?«
Silberman nahm einen Schluck Bourbon und ließ ihn einige Sekunden in der Mundhöhle. »Eine schöne Frage«, sagte er. »Ich will versuchen, eine Antwort darauf zu finden. Nein, es gibt eine Antwort! Sie ist denkbar einfach. Wir hofieren ihn, weil wir so sind, wie wir sind.«
»Oh.«
Silberman lächelte.
»Wir sind westlich. Das ist überhaupt das Problem dieses ganzen Krieges. Wir können uns darüber streiten, ob wir schon früher oder überhaupt hätten eingreifen sollen, aber fest steht, dass alles, was wir getan haben, unserer westlichen Denkart entspricht. Sehen Sie, zu Beginn der Neunziger wurde das Kosovo schon auf die Tagesordnung der Verhandlungen gesetzt. Sie erinnern sich, die JugoslawienKonferenz. EU und UNO in hübscher Eintracht. Übrigens auch ein Beispiel für den Unwillen Washingtons, die europäischen Probleme zu amerikanischen zu machen. Die Parole hieß damals: ›We got no dog in this fight‹. Ende ’95 hatten wir dann die Bosnien-Konferenz.«
»Dayton.«
»Richtig. Spätestens dort ist auch dem Letzten klar geworden, dass der Krieg ins Kosovo zurückkehren würde, nur weil die Serben da vor über sechshundert Jahren eine Schlacht verloren haben. Ach was, ‘89 war das schon klar, als Milosevic die Autonomie des Kosovo aufhob! Scharen von Experten, Journalisten und Menschenrechtlern haben vorausgesagt, was jetzt passiert ist. Auch die westlichen Geheimdienste wussten das. Sie trugen dieses akademische Wissen mit sich herum, und zugleich gingen sie ihrer eigenen Mentalität auf den Leim. Wollen Sie wissen, was in Dayton passiert ist? Ein Mann trat auf, weltgewandt, jovial und kompromissbereit. Ein rational kalkulierender Staatsmann, der mit Marodeuren vom Schlage eines Karadzic oder Mladic nichts gemein hatte. Slobodan Milosevic. Sofort rastete das typische Wahrnehmungsmuster ein, das unseren westlichen
Demokratien so eigentümlich ist. Man hatte im Haufen der Fundamentalisten den Vernünftigen erkannt! Man war stolz darauf! Mit diesem Mann konnte man reden, der war zivilisiert. Wissen Sie, speziell wir Amerikaner sehen alles Fundamentalistische, was sich jenseits der Balkangrenze bewegt, als geifernden Fanatiker mit schwarzem Bart, glühenden Augen, erhobener Kalaschnikow und einem religiös bis nationalistisch verblendeten Rudiment von Verstand. Aber dieser Mann war anders. Darum haben wir ihn hofiert. Weil er sich als westlicher Staatsmann verkleidet hat. Milosevic war sein eigenes Trojanisches Pferd, und wir haben ihn aufs diplomatische Parkett gerollt, anstatt ihm rechtzeitig ein paar Backpfeifen zu verpassen und ihn gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Dummer, dummer Westen. Dumme, dumme Psychologie.«
O’Connor lächelte. Silbermans Charakterisierung war nach seinem Geschmack. Der Korrespondent hatte Recht. Und wiederum hatte er Unrecht.
»Glauben Sie nicht, dass es gar nicht so sehr darum geht, ob Clinton den Krieg gewollt hat?«, sagte er. »Mir kommt es manchmal so vor, als habe der Westen jahrzehntelang an einem Symbol seiner selbst gebaut, und merkwürdigerweise kam dabei der Präsident der Vereinigten Staaten heraus. Ich meine, den POTUS zu töten, ist für jemanden, der dem Westen eine verpassen will, immer richtig, oder?«
Silberman schwenkte seinen Bourbon.
»Da haben Sie leider Recht. Aber da ist der Westen selbst schuld. Wer sich heute darüber beklagt, Amerika habe die Nato-Intervention dominiert, sollte sich in Erinnerung rufen, wie erbärmlich die EU in Bosnien versagt hat.« Er machte eine Pause. »Sie haben Recht, und vielleicht will ich es einfach nicht wahrhaben. Aber wenn uns die Pferde nicht durchgegangen sind und Köln-Bonn wirklich Gefahr läuft, Schauplatz eines Anschlags zu werden, dann gilt er mit einiger
Sicherheit Clinton.« Er sah auf die Uhr und verzog das Gesicht. »Und zwar in ziemlich genau zweieinhalb Stunden.«
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