»Worum geht es?«
»Es handelt sich um diesen Moretti-Prozeß. Anscheinend hat jemand einen von Bobby Di Silvas jungen Assistenten bestochen.«
»Ich habe davon gelesen. Der Kanarienvogel.«
»Genau. Richter Waldman und Bobby möchten ihren Namen aus der Liste unseres ehrenwerten Berufsstands getilgt haben. Ich ebenfalls. Er stinkt.«
»Was soll ich tun?«
»Nur eine schnelle Überprüfung der Sachlage, nachweisen, daß dieses Mädchen Parker sich illegal oder unethisch verhalten hat, und ihren Ausschluß empfehlen. Sie wird eine Aufforderung erhalten, ihre Gründe anzugeben, und den Rest erledigen die dann. Nur eine Routineangelegenheit.« Adam war verwirrt. »Warum ich, Stewart? Wir haben ein paar Dutzend junger Anwälte hier, die das übernehmen könnten.«
»Unser geschätzter Staatsanwalt hat speziell um dich gebeten. Er will sicher sein, daß nichts schiefläuft. Wie wir beide wissen«, fügte er trocken hinzu, »ist Bobby nicht gerade der nachsichtigste Mann der Welt. Er möchte den Skalp der Parker an seiner Wand hängen sehen.« Adam dachte an seinen vollen Terminkalender. »Wir können nicht wissen, wann wir das nächstemal einen Gefallen vom Staatsanwaltsbüro brauchen können, Adam. Quid pro quo, eine Hand wäscht die andere.«
»In Ordnung, Stewart.« Adam stand auf. »Du möchtest bestimmt keinen Tee mehr?«
»Nein, danke. Er war wie immer sehr gut.« Als Adam wieder in seinem Büro war, klingelte er nach seiner Assistentin Lucinda, einer intelligenten jungen Schwarzen. »Cindy, ich brauche alle Informationen über eine Anwältin namens Jennifer Parker.«
Sie grinste und sagte: »Der gelbe Kanarienvogel.« Jeder wußte Bescheid.
Am späten Nachmittag studierte Adam Warner die Abschrift der Verhandlung im Fall Das Volk von New York gegen Michael Moretti. Robert Di Silva hatte es ihm durch einen Kurier übermitteln lassen. Erst weit nach Mitternacht war Adam damit fertig. Er hatte Mary Beth gebeten, ohne ihn zu einer Dinnerparty zu gehen, zu der sie beide eingeladen waren, und sich ein paar Sandwiches bringen lassen. Nach der Lektüre gab es für Adam keinen Zweifel, daß Michael Moretti von der Jury für schuldig befunden worden wäre, wenn das Schicksal nicht in Gestalt von Jennifer Parker interveniert hätte. Di Silva hatte die Anklage makellos vertreten.
Adam wandte sich zu der Abschrift des Verhörs, das später in Richter Waldmans Räumen stattgefunden hatte.
Di Silva: Sie haben das College absolviert?
Parker: Ja, Sir.
Di Silva: Und die Universität?
Parker: Ja, Sir.
Di Silva: Und ein Fremder übergibt Ihnen ein Paket und bittet Sie, es dem Schlüsselzeugen in einem Mordprozeß zu übergeben, und Sie tun es auch prompt? Würden Sie mir nicht beipflichten, wenn ich sage, daß dies die Grenzen der Dummheit weit überschreitet?
Parker: So ist es nicht passiert.
Di Silva: Das haben Sie aber behauptet.
Parker: Ich meine, ich hielt ihn nicht für einen Fremden. Ich dachte, er gehöre zu Ihrem Stab.
Di Silva: Und wie sind Sie darauf gekommen?
Parker: Wie ich Ihnen schon sagte, ich sah ihn mit Ihnen sprechen, und dann kam er zu mir mit diesem Umschlag, und er nannte meinen Namen und sagte, Sie wollten, daß ich ihn dem Zeugen brächte. Es geschah alles so schnell...
Di Silva: Ich glaube nicht, daß alles so schnell ging. Ich glaube eher, daß es eine ganze Zeit gedauert hat, alles einzufädeln. Und es dauerte seine Zeit, die Frage Ihrer Bezahlung dafür zu regeln, daß Sie...
Parker: Das ist nicht wahr.
Di Silva: Was ist nicht wahr? Daß Sie nicht wußten, daß Sie den Umschlag übergaben?
Parker: Ich wußte nicht, was darin war. Di Silva: Also stimmt es, daß jemand Sie bezahlt hat. Parker: Ich lasse mir von Ihnen nicht die Worte im Mund herumdrehen. Niemand hat mir irgend etwas bezahlt. Di Silva: Sie haben es als Gefallen getan?
Parker: Nein. Ich dachte, ich handelte nach Ihren Anweisungen.
Di Silva: Sie haben gesagt, der Mann hat Sie mit Ihrem Namen angesprochen?
Parker: Ja.
Di Silva: Woher kannte er den?
Parker: Ich weiß nicht.
Di Silva: Na, hören Sie, Sie müssen doch irgendwelche Vorstellungen haben. Vielleicht hat er bloß geraten? Vielleicht hat er sich im Gerichtssaal umgesehen und gedacht, da ist jemand, der sieht aus, als könnte er Jennifer Parker heißen. Glauben Sie, so könnte es gewesen sein?
Parker: Ich habe Ihnen schon gesagt, ich weiß es nicht.
Di Silva: Seit wann stecken Sie und Moretti unter einer Decke?
Parker: Mr. Di Silva, das haben wir doch alles schon einmal durchgekaut. Sie verhören mich jetzt seit fünf Stunden. Ich bin müde. Ich habe nichts mehr zu sagen. Lassen Sie mich gehen.
Di Silva: Wenn Sie den Stuhl da verlassen, lasse ich Sie verhaften. Sie stecken im Dreck, Miß Parker, und es gibt nur eine Möglichkeit für Sie, da herauszukommen. Hören Sie auf zu lügen und sagen Sie endlich die Wahrheit.
Parker: Ich sage nichts als die Wahrheit, die ganze Zeit schon. Ich habe Ihnen alles erzählt, was ich weiß.
Di Silva: Abgesehen von dem Namen des Mannes, der Ihnen den Umschlag gegeben hat. Ich will diesen Namen, und ich will wissen, wieviel er Ihnen bezahlt hat.
Die Abschrift umfaßte noch dreißig weitere Seiten. Robert Di Silva hatte ungefähr jedes Mittel angewandt, außer das Mädchen mit einem Gummischlauch zu bearbeiten. Sie war nicht einen Millimeter von ihrer Geschichte abgewichen. Adam legte die Abschrift beiseite und rieb sich müde die Augen. Es war zwei Uhr morgens. Morgen würde er diese leidige Angelegenheit abschließen.
Zu Adam Warners Überraschung ließ sich der Fall Jennifer Parker aber nicht so leicht erledigen. Da Adam ein methodischer Mann war, überprüfte er auch Jennifer Parkers Vergangenheit. Soweit er feststellen konnte, hatte sie keine Kontakte zur Unterwelt, und nichts stellte eine Verbindung zwischen ihr und Michael Moretti her.
Irgend etwas an dem Fall störte Adam. Jennifer Parkers Verteidigung war zu dürftig. Hätte sie für Moretti gearbeitet, hätte er zu ihrem Schutz eine vernünftigere Geschichte erfunden. So wie die Dinge standen, war ihre Geschichte aber so naiv, daß sie nur wahr sein konnte.
Gegen Mittag erhielt Adam einen Anruf vom Staatsanwalt. »Wie kommen Sie voran, Adam?«
»Gut, Robert.«
»Wie ich höre, haben Sie die Rolle des Scharfrichters in der Angelegenheit Jennifer Parker übernommen.« Adam Warner zuckte zusammen. »Ich habe zugestimmt, eine Empfehlung abzugeben, ja.«
»Ich werde sie für eine ganze Weile aus dem Verkehr ziehen.« Adam war abgestoßen von dem Haß in der Stimme des Staatsanwalts.
»Immer mit der Ruhe, Robert. Noch ist sie nicht ausgeschlossen.«
Di Silva lachte vergnügt in sich hinein. »Da habe ich volles Vertrauen zu Ihnen, mein Freund.« Sein Tonfall änderte sich. »Man munkelt, daß Sie vielleicht bald nach Washington gehen. Ich möchte, daß Sie wissen, daß Sie auf meine volle Unterstützung zählen können.«
Und die war beträchtlich, wie Adam wußte. Der Staatsanwalt war schon eine ganze Weile im Geschäft. Er wußte, in welchen Kellern die Leichen lagen und wie man aus diesem Wissen das Beste machen konnte. »Danke, Robert. Ich weiß das zu schätzen.«
»Nichts zu danken, Adam. Ich höre ja dann von Ihnen.« Das war auf Jennifer Parker gemünzt. Das quid pro quo, das Stewart Needham erwähnt hatte. Adam Warner dachte an Robert Di Silvas Worte: Ich werde sie für eine ganze Weile aus dem Verkehr ziehen. Nach der Lektüre der Abschrift zu urteilen, gab es keinen richtigen Beweis gegen Jennifer Parker. Wenn sie nicht gestand oder wenn nicht jemand mit Informationen auftauchte, die ihre Komplizenschaft bewiesen, konnte Di Silva dem Mädchen nichts anhaben... Adam sollte ihm nun als Werkzeug seiner Rache dienen.
Die kalten, schroffen Worte der Abschrift waren eindeutig, und doch wünschte Adam, er hätte den Klang von Jennifer Parkers Stimme gehört, als sie ihre Schuld bestritt.
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