»Ich bin Rechtsanwalt, zugelassen im Staat von New York und einigen anderen Staaten im ganzen Land.«
»Wie lange üben Sie diesen Beruf schon aus?«
»Über fünfunddreißig Jahre.«
»Haben Sie eine öffentliche Praxis?«
»Nein, Sir. Ich habe nur einen Mandanten.«
»Wer ist dieser Mandant?«
»Den größten Teil der fünfunddreißig Jahre handelte es sich um Antonio Granelli, der jetzt tot ist. Seinen Platz hat Michael Moretti eingenommen. Ich vertrete ihn und seine Organisation.«
»Beziehen Sie sich auf das organisierte Verbrechen?«
»So ist es, Sir.«
»Könnte man aufgrund der Position, die Sie so lange Jahre eingenommen haben, davon ausgehen, daß Sie einen einzigartigen Einblick in die Mechanismen dessen hatten, was wir die Organisation nennen wollen?«
»Es geschah nicht viel, wovon ich nichts wußte.«
»Und das umfaßt auch kriminelle Aktivitäten?«
»Ja, Senator.«
»Würden Sie uns etwas über diese Aktivitäten erzählen?«
Thomas Colfax redete zwei Stunden lang ununterbrochen. Seine Stimme war fest und sicher. Er nannte Namen, Orte un d Daten, und zeitweise war sein Vortrag so faszinierend, daß die im Raum Anwesenden vergaßen, wo sie sich befanden, in Bann geschlagen von den Horrorgeschichten, die Colfax erzählte.
Er sprach von Mordaufträgen, von getöteten Zeugen, von Brandstiftungen, Vergewaltigungen, weißem Sklavenhandel -und vor der Augen der Anwesenden entstand ein Gemälde wie von Hieronymus Bosch. Zum erstenmal wurden die geheimsten Operationen des größten Verbrechersyndikats der Welt vor aller Augen bloßgelegt. Gelegentlich stellten Adam oder Robert Di Silva eine Frage, soufflierten Colfax, hakten nach, wo immer es notwendig wurde, um die eine oder andere Lücke zu schließen. Die Sitzung lief wesentlich besser, als Adam gehofft hatte. Da passierte plötzlich, kurz vor Schluß, die Katastrophe. Einer der Männer in der Grand Jury hatte eine Frage gestellt. Es ging darum, wie die Organisation schmutziges Geld gewaschen hatte.
»Das geschah vor ungefähr zwei Jahren. Von einigen der späteren Unternehmungen hat Michael mich ferngehalten. Das war Jennifer Parkers Ressort.« Adam erstarrte.
Robert Di Silva fragte: »Jennifer Parker?« Seine Frage hatte eine geradezu explosive Intensität.
»Ja, Sir.« Thomas Colfax' Stimme hatte plötzlich einen rachsüchtigen Klang. »Sie ist jetzt die Chefanwältin der Organisation.«
Adam wünschte sich verzweifelt, ihn zum Schweigen bringen zu können, seine weiteren Worte aus dem Protokoll herauszuhalten, aber es war zu spät. Di Silva hatte die Schlagader anvisiert, und nichts konnte ihn mehr zurückhalten. »Erzählen Sie uns mehr über sie«, sagte Di Silva gespannt. Thomas Colfax fuhr fort: »Jennifer Parkers Gebiete sind Briefkastenfirmen, neue Möglichkeiten, Geld weißzuwaschen...« Adam versuchte, ihn zu unterbrechen. »Ich glaube nicht...«
»... Mord.« Das Wort hing im Raum.
Adam brach das Schweigen. »Wir - wir müssen uns an die Tatsachen halten, Mr. Colfax. Sie wollen doch wohl nicht behaupten, daß Jennifer Parker an einem Mord beteiligt war?«
»Genau das wollte ich sagen. Sie hat einem Mann den Bleistift schicken lassen, der ihren Sohn gekidnappt hatte. Der Name des Mannes war Frank Jackson. Sie bat Michael Moretti, ihn zu töten, und er hat es getan.« Erstauntes Stimmengemurmel erhob sich. Ihr Sohn! Adam dachte: Irgendwo muß da ein Fehler liegen. Er sagte stockend: »Ich glaube - ich glaube, wir haben auch ohne Gerüchte genug Beweise. Wir...«
»Das ist kein Hörensagen«, versicherte Thomas Colfax ihm. »Ich war im selben Zimmer wie Moretti, als sie anrief.« Adams Hände preßten sich unter dem Tisch so heftig gegeneinander, daß alles Blut aus ihnen wich. »Der Zeuge sieht müde aus. Ich glaube, für heute haben wir genug.« Robert Di Silva sagte zu der Grand Jury: »Ich möchte einen Vorschlag zur Verfahrensweise machen...« Adam hörte nicht zu. Er fragte sich, wo Jennifer sein mochte. Sie war schon wieder verschwunden. Er hatte wiederholt versucht, sie aufzuspüren, aber jetzt war er zu allem, entschlossen. Er mußte sie erreichen, und zwar schnell.
Die umfassendste Geheimoperation in der Geschichte der Verbrechensbekämpfung in den Vereinigten Staaten wurde in die Wege geleitet. Spezialeinheiten zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens und Bandenunwesens arbeiteten Hand in Hand mit dem FBI, den Post- und Zollbehörden, dem Finanzamt, der Rauschgiftpolizei und einem halben Dutzend anderer Regierungsstellen.
Die Bandbreite der Untersuchungen umfaßte Mord, Verschwörung zum Zweck der Begehung eines Mordes, Bandenunwesen, Erpressung, Unterschlagung von Einkommenssteuern, Gewerkschaftskorruption, Brandstiftung, Geldwucher und Drogen.
Thomas Colfax hatte der Regierung den Schlüssel zur Büchse der Pandora gegeben, einer Büchse des Verbrechens und der Korruption, und dieser Schlüssel half mit, einen großen Teil des organisierten Verbrechens auszurotten. Michael Morettis Familie wurde am schwersten getroffen, aber das Beweismaterial belastete Dutzende anderer Familien im ganzen Land.
Überall in den Vereinigten Staaten und außerhalb unterzogen Agenten der Regierung Freunde und Geschäftspartner der Männer auf ihrer Liste einer diskreten Befragung. Age nten in der Türkei, in Mexiko, San Salvador, Marseille und auf Honduras setzten sich mit ihren Anlaufstellen in Verbindung und gaben ihnen Informationen über illegale Unternehmungen in ihren Operationsgebieten. Kleine Fische, die ins Netz gingen, erhielten Straffreiheit zugesichert, wenn sie sangen und Beweismaterial gegen die Drahtzieher lieferten. Alles lief so unauffällig wie möglich ab, so daß die anvisierte Beute nicht vor dem Sturm gewarnt wurde, der sich über ihrem Kopf zusammenbraute.
Als Vorsitzender des Senatsausschusses empfing Adam Warner einen ständigen Strom von Besuchern in seinem Haus in Georgetown, und die Gespräche in seinem Arbeitsraum dauerten oft bis in die frühen Morgenstunden. Es bestanden wenig Zweifel, daß das Weiße Haus ein leichter Sieg für Adam Warner werden würde, wenn die Untersuchung vorbei und Michael Morettis Organisation zerschlagen war. Er hätte ein glücklicher Mann sein müssen. Statt dessen fühlte er sich elend angesichts der größten moralischen Krise seines Lebens. Jennifer Parker war von den Vorgängen zutiefst betroffen, und er mußte sie warnen, ihr nahelegen, zu fliehen, so lange sie noch eine Chance hatte. Nichtsdestoweniger hatte er eine andere Pflicht, eine Pflicht gegenüber dem Ausschuß, der seinen Namen trug, eine Pflicht gegenüber dem Senat der Vereinigten Staaten. Er war Jennifers Ankläger, wie konnte er ihr Beschützer sein? Wenn er sie warnte und dabei ertappt wurde, würde es die Glaubwürdigkeit seines Ausschusses und alles, was er bisher erreicht hatte, gefährden. Es würde seine Zukunft und seine Familie zerstören. Colfax' Bemerkung, daß Jennifer ein Kind hatte, war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Er wußte, daß er mit Jennifer sprechen mußte. Adam wählte ihre Büronummer, und eine Sekretärin sagte: »Es tut mir el id, Mr. Adams, Miß Parker ist nicht da.« Adam hielt sich im Arbeitszimmer auf und versuchte zum drittenmal an diesem Tag, Jennifer anzurufen, als Mary Beth in den Raum trat. Unauffällig legte Adam den Hörer wieder auf.
Mary Beth ging zu ihm und fuhr ihm mi t den Fingern durch das Haar.
»Du siehst müde aus, Darling.«
»Es geht mir gut.«
Sie ging zu einem lederbezogenen Sessel auf der anderen Seite von Adams Schreibtisch und setzte sich. »Langsam fügt sich alles zusammen, nicht, Adam?«
»Sieht so aus, ja.«
»Ich hoffe, daß bald alles vorüber ist, in deinem Interesse. Der Streß muß schrecklich sein.«
»Ich kann es aushalten, Mary Beth. Mach dir um mich keine Sorgen.«
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