Nach der Arbeit trafen sie sich stets in Jennifers Wohnung, besprachen die Ereignisse des Tages, und Jennifer kochte das Essen, während Adam den Tisch deckte. Anschließend lasen sie oder sahen fern oder spielten Romme oder Schach. Jennifer kochte ausschließlich Adams Lieblingsgerichte. »Ich bin schamlos«, verriet sie Adam. »Ich schrecke vor nichts zurück.« Adam hielt sie fest. »Das hoffe ich auch.«
Es war seltsam, dachte Jennifer. Bevor ihre Affäre begann, hatten sie sich in aller Öffentlichkeit sehen lassen. Aber jetzt, da sie Liebende waren, wagten sie nicht, gemeinsam irgendwo aufzutauchen. Sie suchten Orte auf, wo es unwahrscheinlich war, daß sie Bekannte trafen: kleine, im Familienbetrieb geführte Restaurants, ein Kammermusikkonzert in der Musikhochschule, ein neues Stück im Omni- Theater-Club.
Nach einem Abendessen in der Grotta Azzurra in der Broome Street schworen sie italienischem Essen für einen Monat ab, weil sie beinahe geplatzt wären. Wir haben bloß keinen Monat mehr, dachte Jennifer. In vierzehn Tagen würde Mary Beth zurückkehren.
Einmal gingen sie in den Half-Note-Club im Village, um Avantgarde-Jazz zu hören, und bummelten anschließend an den Fenstern der kleinen Kunstgalerien vorbei. Adam war ein Sportfan. Er nahm Jennifer zu einem Footballspiel mit, und Jennifer wurde so mitgerissen, daß sie schrie, bis sie heiser war.
Sonntags faulenzten sie, frühstückten im Morgenrock, tauschten Teile der Times aus, lauschten dem Läuten der Kirchenglocken überall in Manhattan und sprachen jeder ein lautloses Gebet für den anderen.
Jennifer betrachtete Adam, der in ein Kreuzworträtsel vertieft war, und dachte: Sprich ein Gebet für mich! Sie wußte, daß das, was sie tat, falsch war. Es konnte nicht von Dauer sein. Und doch hatte sie niemals ein solches Glück, eine solche Euphorie erlebt. Liebende existieren in einer besonderen Welt, wo jedes Gefühl überhöht war, und die Freude, die Jennifer jetzt mit Adam erlebte, war jeden Preis wert, den sie später dafür bezahlen mußte. Und sie wußte, daß die Rechnung kommen würde.
Die Zeit hatte eine andere Dimension angenommen. Vorher war Jennifers Leben in Bürostunden und Treffen mit Mandanten unterteilt gewesen. Jetzt zählten nur die Minuten, die sie mit Adam verbringen konnte. Sie dachte an ihn, wenn sie bei ihm war, und sie dachte an ihn, wenn sie getrennt waren.
Sie hatte von Männern gelesen, die in den Armen ihrer Geliebten Herzattacken erlitten, deshalb notierte sie die Nummer von Adams Hausarzt in ihr privates Telefonbuch und bewahrte es unter dem Kopfkissen auf, so daß, falls etwas passierte, alles diskret ablaufen konnte und Adam nicht in Verlegenheit geriet.
Jennifer wurde von Emotionen beherrscht, deren sie sich nie für fähig gehalten hätte. Sie hatte sich nie vorstellen können, häuslich zu sein, aber für Adam wollte sie alles tun. Sie wollte für ihn kochen, die Wohnung für ihn säubern, seine Kleider für den nächsten Tag zurechtlegen. Sie wollte für ihn sorgen. Adam hatte einen Teil seiner Kleidung in ihre Wohnung geschafft, und er verbrachte die meisten Nächte mit Jennifer. Sie lag neben ihm, beobachtete ihn beim Einschlafen und versuchte, so lange wie möglich wach zu bleiben, aus Angst, eine Sekunde ihrer kostbaren gemeinsamen Zeit zu verlieren. Wenn sie ihre Augen schließlich nicht mehr länger offenhalten konnte, schmiegte sie sich in seine Arme und schlief ein, zufrieden und sicher. Die Schlaflosigkeit, die sie so lange gequält hatte, war verschwunden. Wenn sie sich in Adams Armen zusammenrollte, fand sie augenblicklich Frieden. Sie genoß es, in seinen Hemden im Appartement herumzulaufen, und nachts trug sie das Oberteil von seinem Schlafanzug. Wenn sie morgens noch im Bett blieb, nachdem er gegangen war, rollte sie sich auf seine Seite des Betts. Sie liebte seine Wärme und seinen Geruch.
Am Anfang hatte Jennifer gedacht, daß die überwältigende körperliche Anziehungskraft, die sie aufeinander ausübten, mit der Zeit verschwinden würde, aber statt dessen wurde sie immer stärker.
Sie teilte Adam Dinge über sich mit, die sie noch nie einem anderen menschlichen Wesen erzählt hatte. Bei Adam und ihr gab es keine Masken. Sie war Jennifer Parker, entblößt bis aufs Mark, und er liebte sie immer noch. Es war ein Wunder. Obwohl es unmöglich schien, liebte sie Adam jeden Tag mehr. Sie wünschte, daß ihr Glück niemals enden möge. Aber sie wußte, es würde enden. Zum erstenmal in ihrem Leben wurde sie abergläubisch. Adam bevorzugte eine spezielle Mischung Kenya-Kaffee. Alle paar Tage kaufte Jennifer sie für ihn. Aber sie kaufte immer nur eine kleine Dose. Eine von Jennifers Schreckensvisionen war, daß Adam etwas zustoßen könnte, wenn sie nicht bei ihm war, und sie würde es nicht erfahren, bis sie davon las oder es in den Nachrichten hörte. Sie weihte Adam nie in ihre Ängste ein. Jedesmal wenn Adam später kam, versteckte er vorher überall in der Wohnung kleine Nachrichten für Jennifer, auf die sie an den unerwartetsten Stellen stieß. Sie fand sie in der Brotdose, im Kühlschrank oder in ihren Schuhen, freute sich darüber und hob jede einzelne auf.
Die letzten gemeinsamen Tage rasten in einem Strudel glücklicher Aktivitäten vorbei. Schließlich war der Vorabend von Mary Beths Rückkehr da. Jennifer und Adam aßen in ihrer Wohnung zu Abend, hörten Musik und liebten sich. Jennifer lag die ga nze Nacht wach und hielt Adam in den Armen. Sie dachte an all das Glück, das sie miteinander geteilt hatten. Der Schmerz würde später kommen.
Beim Frühstück sagte Adam: »Was immer auch geschieht, du darfst nie vergessen - du bist die einzige Frau, die ich jemals wirklich geliebt habe.« Der Schmerz war da.
Das Betäubungsmittel war Arbeit, und Jennifer lud sich immer mehr auf, damit sie keine Zeit zum Nachdenken hatte. Sie war der Liebling der Presse geworden, und ihre Erfolge im Gerichtssaal beherrschten die Schlagzeilen. Sie hatte mehr Mandanten, als sie vertreten konnte, und obwohl ihr Hauptinteresse auf dem Strafrecht lag, nahm sie auf Kens Drängen auch die verschiedensten anderen Fälle an. Ken Bailey war für sie wichtiger denn je. Er kümmerte sich um die Ermittlungsarbeiten in ihren Fällen, und er war hervorragend. Aber sie konnte auch andere Probleme mit ihm besprechen, und sie lernte seinen Rat schätzen. Sie zogen erneut um, diesmal in eine große Bürosuite an der Park Avenue. Jennifer engagierte zwei intelligente junge Anwälte, Dan Martin und Ted Harris, beide aus Robert Di Silvas Büro, sowie zwei weitere Sekretärinnen. Dan Martin war ein ehemaliger Football-Spieler von der Northwestern-Universität. Er hatte die Figur eines Athleten und den Verstand eines Gelehrten. Ted Harris war ein schmächtiger, schüchterner junger Mann, der eine Brille mit milchflaschendicken Gläsern trug und außerdem ein Genie war. Martin und Harris übernahmen die Beinarbeit, während Jennifer vor Gericht auftrat. Das Schild an der Tür lautete:
Jennifer Parker & Partner.
Die Fälle, die die Kanzlei vertrat, reichten von der Verteidigung eines großen Industriekonzerns gegen die Anklage der Umweltverschmutzung bis zur Vertretung eines Säufers, der sich verletzt hatte, als er aus einer Kneipe geworfen wurde. Der Säufer war natürlich ein Geschenk von Pater Ryan. »Er hat ein kleines Problem«, teilte Pater Ryan Jennifer mit. »Er ist wirklich ein anständiger Familienvater, aber der arme Kerl steht so sehr unter Druck, daß er manchmal einen Tropfen zuviel trinkt.«
Jennifer konnte nicht anders, sie mußte lächeln. Was Pater Ryan betraf, so war keines seiner Schäfchen je schuldig, und seine ganze Sorge bestand darin, ihnen aus den Schwierigkeiten zu helfen, in die sie unachtsamerweise geraten waren. Einer der Gründe, warum Jennifer den Priester so gut verstehen konnte, war, daß sie im Grunde ganz ähnlich fühlte wie er. Sie hatten es mit Menschen zu tun, die niemanden hatten, der ihnen aus ihren Schwierigkeiten half, die weder über genügend Geld noch Macht verfügten, um sich gegen die Mächtigen zur Wehr zu setzen, die sie am Ende zerschmetterten. Das Wort Gerechtigkeit spielte nur im Lexikon eine Rolle. Im Gerichtssaal suchte der Ankläger genausowenig wie der Verteidiger nach Gerechtigkeit. Jeder wollte nur gewinnen. Von Zeit zu Zeit sprachen Jennifer und Pater Ryan von Connie Garrett, aber dieses Thema ließ Jennifer regelmäßig deprimiert zurück. Sie wußte, daß Connie nicht gerecht behandelt worden war, und das nagte an ihr.
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