»Wir haben gerade begonnen, uns zu beschnuppern«, sagte Lee Browning leichthin. »Du bist etwas zu früh aufgetaucht.«
»Oder gerade rechtzeitig.« Adam nahm Jennifers Arm. »Mehr Glück beim nächstenmal, Lee.«
Der Oberkellner näherte sich Adam. »Wollen Sie gleich zu Ihrem Tisch, Mr. Warner, oder möchten Sie erst einen Drink an der Bar?«
»Wir nehmen den Tisch, Henri.«
Als sie saßen, blickte Jennifer sich im Raum um und erkannte ein ha lbes Dutzend Berühmtheiten. »Dieses Lokal ist wie das Who's Who«, meinte sie. Adam blickte sie an. »Ja, aber erst, seit Sie hier sind.« Jennifer fühlte, daß sie wieder rot wurde. Aufhören, dumme Gans! Sie fragte sich, wie viele andere Mädchen Adam Warner hierher geführt hatte, während seine Frau zu Hause saß und auf ihn wartete. Sie fragte sich, ob eins von ihnen jemals erfahren hatte, daß er verheiratet war, oder ob er es immer geheimzuhalten verstand. Nun, sie jedenfalls war im Vorteil. Du wirst eine Überraschung erleben, Mr. Warner, dachte sie. Sie bestellten die Getränke, das Essen und unterhielten sich über Belanglosigkeiten. Jennifer überließ Adam die Konversationsführung. Er war witzig und charmant, aber sie war gegen seinen Charme gewappnet. Es war dennoch nicht leicht. Sie ertappte sich dabei, wie sie über seine Anekdoten lächelte und seine Geschichten zum Lachen fand.
Es wird ihm nichts nützen, redete sie sich ein. Sie war nicht auf der Suche nach einem Abenteuer. Der Geist ihrer Mutter ließ ihr keine Ruhe. In ihr ruhte tiefe Leidenschaftlichkeit, aber sie hatte Angst, sie zu erforschen, sie zu befreien.
Sie waren bereits beim Dessert, und noch immer hatte Adam kein einziges mißverständliches Wort gesagt. Jennifer hatte ihren Schutzwall umsonst errichtet, sich gegen eine Attacke zur Wehr gesetzt, die niemand führte, und sie kam sich vor wie ein Dummkopf. Sie überlegte, was Adam gesagt haben würde, wenn er gewußt hätte, woran sie den ganzen Abend gedacht hatte. Jennifer lächelte über ihre nutzlosen Anstrengungen. »Ich hatte nie die Gelegenheit, Ihnen für die Mandanten zu danken, die Sie mir geschickt haben«, sagte sie. »Ich habe ein paarmal versucht, Sie anzurufen, aber...«
»Ich weiß.« Adam zögerte, dann fügte er verlegen hinzu: »Ich wollte Sie nicht zurückrufen.« Jennifer blickte ihn erstaunt an. »Ich hatte Angst«, sagte er schließlich. Da war es. Er hatte sie durch einen Überraschungsangriff genommen, sie in einem unachtsamen Moment gepackt. Seine Worte waren unmißverständlich. Sie wußte, was als nächstes folgen würde. Und sie wollte nicht, daß er es sagte. Sie wollte nicht, daß er wie all die anderen war, diese verheirateten Männer, die vorgaben, Junggesellen zu sein. Sie verachtete sie, und sie wollte diesen Mann auf der anderen Seite des Tisches nicht auch verachten müssen.
Adam sagte ruhig: »Jennifer, ich möchte, daß Sie wissen, daß ich verheiratet bin.« Sie saß da und starrte ihn mit offenem Mund an.
»Es tut mir leid. Ich hätte es Ihnen eher sagen müssen.« Er lächelte trocken. »Es gab bloß keine Gelegenheit dazu, oder?« Jennifer fühlte sich verwirrt. »Warum - warum haben Sie mich zum Essen eingeladen, Adam?«
»Weil ich Sie wiedersehen mußte.«
Alles schien unwirklich. Jennifer fühlte sich, als schlüge eine riesige Flutwelle über ihr zusammen. Sie saß da und hörte, wie Adam all die Dinge ansprach, die er fühlte, und sie wußte, daß jedes Wort stimmte. Sie wußte es, weil sie genauso fühlte. Sie wollte, daß er aufhörte, bevor er zuviel sagte. Sie wollte, daß er weitersprach und noch mehr sagte.
»Ich hoffe, ich bin Ihnen jetzt nicht zu nahe getreten«, sagte er plötzlich, und seine Schüchternheit rührte Jennifer. »Adam - ich - ich...«
Er sah sie an, und obwohl sie sich nicht berührten, war es, als läge sie in seinen Armen.
Unsicher sagte sie: »Erzählen Sie mir etwas von Ihrer Frau.«
»Mary Beth und ich sind fünfzehn Jahre verheiratet. Wir haben keine Kinder.«
»Ich verstehe.«
»Sie - wir haben uns gegen Kinder entschieden. Wir waren beide sehr jung, als wir heirateten. Ich hatte sie schon eine lange Zeit gekannt. Unsere Familien waren Nachbarn. Als sie achtzehn war, kamen ihre Eltern bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Mary Beth wurde fast wahnsinnig vor Schmerz. Sie war ganz allein. Ich - wir haben geheiratet.« Er hat sie aus Mitleid geheiratet und ist zu sehr Gentleman, um es zuzugeben, dachte Jennifer.
»Sie ist eine wundervolle Frau. Wir hatten immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander.«
Er erzählte Jennifer mehr, als sie wissen wollte, mehr, als sie ertragen konnte. Ihr Instinkt riet ihr, zu gehen, zu fliehen, so lange noch Zeit war. In der Vergangenheit war sie mit den verheirateten Männern, die eine Affäre mit ihr wollten, stets fertig geworden, aber sie wußte, daß es diesmal anders war. Wenn sie sich jemals in diesen Mann verliebte, würde sie nicht mehr herauskommen. Es wäre Wahnsinn, jemals etwas mit ihm anzufangen.
Sie wählte ihre Worte sorgfältig: »Adam, ich mag Sie sehr. Und ich lasse mich niemals mit verheirateten Männern ein.« Er lächelte, und seine Augen hinter der Brille waren ehrlich und warm. »Ich bin nicht auf der Suche nach einer Hintertreppenaffäre. Ich genieße es, bei Ihnen zu sein. Ich bin sehr stolz auf Sie. Ich würde mich gern hin und wieder mit Ihnen treffen.«
Jennifer wollte sagen: Was hätten wir davon?, aber tatsächlich sagte sie: »Das wäre schön.«
Also werden wir einmal im Monat zusammen essen, dachte Jennifer. Das wird niemandem weh tun.
Einer von Jennifers ersten Besuchern in ihrem neuen Büro war Pater Ryan. Er schlenderte durch die drei kleinen Räume und sagte: »Sehr nett, wirklich. Wir sind auf dem Weg nach oben, Jennifer.«
Jennifer lachte. »Das ist nicht direkt der Weg nach oben, Pater. Ich habe noch ein ganz schönes Stück vor mir.« Er sah sie scharf an. »Sie werden es schaffen. Übrigens, letzte Woche habe ich Abraham Wilson besucht.«
»Wie geht es ihm?«
»Gut. Er arbeitet jetzt in der Maschinenwerkstatt des Gefängnisses. Er bat mich, Sie zu grüßen.«
»Ich muß ihn bald einmal selber besuchen.« Pater Ryan setzte sich in einen Stuhl und blickte sie an, bis Jennifer fragte: »Kann ich irgend etwas für Sie tun, Pater?« Er strahlte. »Äh, nun, ich weiß, Sie müssen sehr beschäftigt sein, aber jetzt, wo Sie die Sprache darauf gebracht haben, nun, eine Freundin von mir hat ein kleines Problem. Sie hatte einen Unfall. Ich glaube, Sie sind der einzige, der ihr helfen könnte.«
Automatisch erwiderte Jennifer: »Sagen Sie ihr, sie soll mich aufsuchen, Pater.«
»Ich glaube, Sie müssen zu ihr gehen. Sie ist vierfach amputiert.«
Connie Garrett lebte in einem kleinen, sauberen Appartement an der Houston Street. Die Tür wurde von einer älteren, weißhaarigen Frau geöffnet, die eine Schürze trug. »Ich bin Martha Steele, Connies Tante. Ich lebe bei ihr. Bitte treten Sie ein. Sie erwartet Sie.«
Jennifer betrat ein dürftig möbliertes Wohnzimmer. Connie Garrett saß, gestützt von Kissen, in einem Armsessel. Ihre Jugend schockierte Jennifer. Irgendwie hatte sie eine ältere Frau erwartet. Connie Garrett war ungefähr vierundzwanzig, so alt wie Jennifer. Ihr Gesicht war von einem wunderbaren Glanz erfüllt, und Jennifer empfand es als obszön, daß es auf einem Torso ohne Arme und Beine saß. Sie unterdrückte ein Schaudern. Connie Garretts Lächeln war voller Wärme, als sie sagte:
»Bitte setzen Sie sich, Jennifer. Ich darf Sie doch Jennifer nennen? Pater Ryan hat mir soviel von Ihnen erzählt. Und ich habe Sie natürlich im Fernsehen gesehen. Ich bin so froh, daß Sie kommen konnten.«
Jennifer wollte sagen, Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, aber sie spürte, wie albern das geklungen hätte. Sie nahm in einem bequemen Sessel gegenüber der jungen Frau Platz. »Pater Ryan sagte, Sie hätten vor ein paar Jahren einen Unfall gehabt. Wollen Sie mir erzählen, was passiert ist?«
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