»War die Kleine nicht der Knebel, den du Stela verpaßt hast?« hatte Antonio Granelli gefragt.
»Richtig. Sie hat Köpfchen, Tony. Vielleicht können wir sie in absehbarer Zeit noch mal gebrauchen.«
Am Tag nach dem Urteil über Abraham Wilson klingelte das Telefon. Es war Adam Warner. »Ich rufe nur an, um Ihnen zu gratulieren.«
Jennifer erkannte seine Stimme auf Anhieb, und ihr Klang erregte sie mehr, als sie je für möglich gehalten hätte. | »Hier spricht...«
»Ich weiß.« Mein Gott, dachte Jennifer, warum habe ich das gesagt? Es gab wirklich keine Veranlassung, Adam wissen zu lassen, wie oft sie in den vergangenen Monaten an ihn gedacht hatte.
»Ich wollte Ihnen sagen, daß Sie den Fall Abraham Wilson brillant vertreten haben. Sie haben den Sieg verdient.«
»Danke schön.« Gleich hängt er auf, dachte Jennifer. Ich werde ihn nie wiedersehen. Er ist wahrscheinlich viel zu beschäftigt mit seinem Harem.
Aber Adam Warner sagte: »Hätten Sie vielleicht irgendwann einmal Zeit, mit mir zu Abend zu essen?« Männer hassen Mädchen, die zu schnell ja sagen, dachte Jennifer und fragte: »Wie wär's mit heute abend?« Jennifer hörte an seiner Stimme, daß er lächelte. »Ich fürchte, vor nächsten Freitag habe ich keinen Abend frei. Haben Sie da schon etwas vor?«
»Nein.« Beinahe hätte sie gesagt: Natürlich nicht. »Soll ich Sie von Ihrer Wohnung abholen?« Jennifer dachte an ihr trostloses kleines Appartement mit dem schäbigen Sofa und dem in die Ecke gelehnten Bügelbrett. »Es wäre einfacher, wenn wir uns irgendwo treffen.«
»Schmeckt Ihnen das Essen bei Lutèce?«
»Darf ich das beantworten, nachdem ich es probiert habe?« Er lachte. »Wie wär's mit acht Uhr?«
»Acht ist mir sehr recht.«
Jennifer legte den Hörer auf. Sie saß da und schien vor Glück zu strahlen. Das ist doch lächerlich, sagte sie sich. Wahrscheinlich ist er verheiratet und hat zwei Dutzend Kinder. Als sie mit Adam beim Essen gewesen war, hatte sie beinahe als erstes bemerkt, daß er keinen Ehering trug. Nicht sehr überzeugender Beweis, dachte sie. Es sollte wirklich ein Gesetz geben, das alle verheirateten Männer verpflichtete, Eheringe zu tragen. Ken Bailey betrat das Büro. »Wie geht's der Staranwältin?« Er betrachtet sie genauer. »Du siehst aus, als hättest du gerade einen Mandanten verspeist.«
Jennifer zögerte einen Moment, dann sagte sie: »Ken, würdest du jemanden für mich überprüfen?« Er trat an ihren Schreibtisch, ergriff Papier und Bleistift und sagte: »Schieß los. Um wen handelt es sich?«
Sie wollte Adams Namen sagen, aber dann hielt sie inne. Sie kam sich wie ein Idiot vor. Was für ein Recht hatte sie, in Adams Privatleben herumzuschnüffeln? Um Himmels willen, sagte sie sich, er hat dich nur zum Essen eingeladen, nicht dazu, mit ihm vor den Traualtar zu treten. »Vergiß es.« Ken legte den Bleistift weg. »Wie du willst.«
»Ken...«
»Ja?«
»Adam Warner. Sein Name ist Adam Warner.«
Ken blickte sie erstaunt an. »Zum Teufel, dafür benötigst du keinen Privatdetektiv. Du brauchst bloß in die Zeitungen zu schauen.«
»Was weißt du von ihm?«
Ken Bailey ließ sich in einen Stuhl vor Jennifers Schreibtisch fallen und legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Laß mich überlegen. Er ist ein Partner von Needham, Finch, Pierce und Warner; hat in Harvard Jura studiert; stammt aus einer reichen, prominenten Familie; er ist Mitte Dreißig...« Jennifer blickte ihn neugierig an. »Wie kommt es, daß du soviel über ihn weißt?«
Er blinzelte ihr zu. »Ich habe einflußreiche Freunde. Man behauptet, daß Mr. Warner für den Senat kandidieren will. Mit dem richtigen Rückenwind könnte er es sogar bis ins Weiße Haus schaffen. Er hat das, was die Leute Charisma nennen.« Das kann man wohl sagen, dachte Jennifer. Sie versuchte, die nächste Frage beiläufig klingen zu lassen. »Was weißt du über sein Privatleben?«
Ken Bailey blickte sie sonderbar an. »Er ist mit der Tochter eines verstorbenen hohen Tiers bei der Navy verheiratet. Sie ist die Nichte von Stewart Needham, einem von Warners Partnern.«
Jennifers Stimmung kippte um. Das war also geklärt. Verwirrt betrachtete Ken sie. »Woher dieses plötzliche Interesse an Adam Warner?«
»Reine Neugier.«
Noch lange, nachdem Ken Bailey gegangen war, saß Jennifer da und dachte an Adam. Er hat mich aus Höflichkeit zum Abendessen eingeladen. Er will mir gratulieren. Aber das hat er doch schon am Telefon getan. Ist ja auch egal, warum. Ich werde ihn wiedersehen. Ich frage mich, ob er daran denken wird, mir zu sagen, daß er verheiratet ist. Natürlich nicht. Wie auch immer - ich werde Freitag mit ihm zu Abend essen, und damit hat es sich.
Am späten Nachmittag erhielt Jennifer einen Anruf von Peabody & Peabody. Der Seniorpartner persönlich war am Apparat. »Ich habe schon lange vorgehabt«, sagte er, »mit Ihnen zu Mittag zu essen. Würde es Ihnen in der nächsten Zeit passen?«
Sein beiläufiger Ton konnte Jennifer nicht täuschen. Sie war sicher, die Idee, mit ihr zu essen, war ihm erst gekommen, als er den Ausgang des Abraham-Wilson-Prozesses erfahren hatte. Er wollte sie bestimmt nicht sehen, um die Zustellung von Vorladungen mit ihr zu diskutieren. »Wie wär's mit morgen?«
fragte er. »In meinem Club.«
Sie trafen sich am folgenden Tag zum Mittagessen. Der ältere Peabody war ein blasser, zimperlicher Mann, eine ergraute Version seines Sohnes. Unter seiner Weste wölbte sich ein kleiner Bauch. Jennifer mochte den Vater genauso wenig wie den Sohn.
»Wir hätten einen freien Platz für eine aufstrebende junge Prozeßanwältin, Miß Parker. Wir können Ihnen ein Anfangsgehalt von fünfzehntausend Dollar im Jahr bieten.« Jennifer saß ihm gegenüber und lauschte seinen Worten. Sie überlegte, wieviel ihr dieses Angebot vor einem Jahr bedeutet hätte, als sie verzweifelt einen Job brauchte - einen Job und jemanden, der an sie glaubte.
Peabody fuhr fort: »Ich bin sicher, daß wir in ein paar Jahren auch über eine Partnerschaft sprechen können.« Fünfzehntausend im Jahr und ein Partnerschaftsangebot. Jennifer dachte an das kleine Büro, das sie mit Ken teilte, und ihr winziges, schäbiges Appartement mit dem unechten Kamin. Mr. Peabody nahm ihr Schweigen als Einverständnis. »Gut. Wir möchten, daß Sie so früh wie möglich anfangen. Vielleicht ging es schon am Montag. Ich...«
»Nein.«
»Oh, nun, wenn Montag Ihnen nicht zusagt...«
»Ich meine, nein, ich kann Ihr Angebot nicht annehmen, Mr. Peabody«, sagte Jennifer, erstaunt über sich selber. »Ich verstehe.« Eine Pause entstand. »Vielleicht könnten wir Ihr Gehalt auf zwanzigtausend Dollar im Jahr erhöhen.« Er bemerkte den Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Fünfundzwanzigtausend. Warum denken Sie nicht in Ruhe darüber nach?«
»Ich habe schon darüber nachgedacht. Ich werde in diesem Geschäft weiterhin allein arbeiten.«
Nach und nach kamen die ersten Mandanten. Nicht allzu viele und nicht allzu wohlhabende, aber immerhin Mandanten. Das Büro wurde langsam zu klein für Jennifer. Eines Morgens, nachdem sie zwei Klienten draußen im Flur warten lassen mußte, während sie mit einem dritten beschäftigt war, sagte Ken: »So geht das nicht weiter. Du mußt hier ausziehen und dir ein anständiges Büro in einer besseren Gegend zulegen.«
Jennifer nickte. »Ich weiß. Ich habe auch schon daran gedacht.«
Ken beschäftigte sich mit einigen Papieren, um sie nicht ansehen zu müssen. »Du wirst mir fehlen.«
»Was redest du für einen Unsinn? Du mußt mit mir kommen.«
Es dauerte einen Moment, bis er ihre Worte begriff. Dann blickte er auf, und ein breites Grinsen kräuselte sein sommersprossiges Gesicht.
»Mit dir gehen?« Er sah sich in dem beengenden, fensterlosen Raum um. »Mit dir gehen und all das hier aufgeben?«
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