In der folgenden Woche zogen Jennifer und Ken Bailey in größere Büroräume weiter oben an der Fifth Avenue. Das neue Quartier bestand aus drei kleinen, einfach möblierten Zimmern: eins für Jennifer, eins für Ken und eins für eine Sekretärin. Die Sekretärin, die sie anstellten, war ein junges Mädchen, frisch von der New Yorker Universität. Sie hieß Cynthia Ellman.
»Am Anfang werden Sie nicht viel zu tun haben«, entschuldigte sich Jennifer, »aber mit der Zeit werden die Dinge in Gang kommen.«
»Oh, ich weiß, daß sie das werden, Miß Parker.« Ein Ton von Heldenverehrung schwang in der Stimme des Mädchens mit. Sie will wie ich sein, dachte Jennifer. Gott behüte! Ken Bailey marschierte herein und sagte: »He, ich fühle mich einsam so ganz allein in einem großen Büro. Wie wäre es mit Essen und Theater heute abend?«
»Ich fürchte, ich...« Jennifer war müde und mußte noch einige Aktennotizen lesen, aber Ken war ihr bester Freund, und sie konnte es ihm nicht abschlagen. »Gern, Ken.«
Sie sahen sich >Applause< an, und Jennifer war begeistert. Lauren Bacall in der Hauptrolle war umwerfend. Hinterher aßen sie bei Sardi's zu Abend.
Als sie bestellt hatten, sagte Ken: »Ich habe zwei Karten fürs Ballett Freitagabend. Ich dachte, wir könnten...«
»Das tut mir leid, Ken«, erwiderte Jennifer, »aber Freitag habe ich schon etwas vor.«
»Oh.« Seine Stimme war merkwürdig flach. Hin und wieder ertappte Jennifer Ken dabei, wie er sie anstarrte, wenn er sich unbeobachtet fühlte, und dann stand auf seinem Gesicht ein Ausdruck, der schwer zu definieren war, wie sie fand. Sie wußte, daß er einsam war, obwohl er nie über seine Freunde sprach oder sein Privatleben vor ihr ausbreitete. Sie konnte nicht vergessen, was Otto Wenzel ihr erzählt hatte, und sie fragte sich, ob Ken selber wußte, was er vom Leben erwartete. Sie wünschte, ihm helfen zu können.
Jennifer hatte den Eindruck, daß es nie mehr Freitag werden würde. Je näher die Verabredung zum Abendessen mit Adam Warner rückte, desto schwieriger fiel es ihr, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Sie dachte unablässig an Adam. Sie wußte, daß sie sich lächerlich aufführte. Sie hatte den Mann erst einmal im Leben gesehen, und dennoch war sie unfähig, ihn zu vergessen. Vom Verstand her sagte sie sich, daß es daran lag, daß Adam sie gerettet hatte, als es um den Ausschluß aus der Anwaltskammer ging, und daß er ihr später Mandanten geschickt hatte. Obwohl das der Wahrheit entsprach, wußte Jennifer, daß es nicht alles war. Ihr Gefühl für Adam hatte eine weitere Dimension, die sie nicht erklären konnte, nicht einmal sich selber. Es war ein Gefühl, das sie nie zuvor empfunden hatte, bei keinem anderen Mann. Sie fragte sich, wie Adams Frau wohl sein mochte. Zweifellos handelte es sich um eine dieser erwählten Frauen, die jeden Mittwoch zu einer Kopf-bisFuß-Renovierung durch die rote Tür bei Elizabeth Arden verschwanden. Sie würde glatt und weltklug sein, eingehüllt in die gepflegte Aura wohlhabender Prominenz.
Um zehn Uhr am Morgen des magischen Freitag ließ sich Jennifer einen Termin bei einem neuen italienischen Coiffeur geben, der nach Cynthias Auskunft von allen Fotomodellen frequentiert wurde. Um zehn Uhr dreißig sagte sie ihn wieder ab. Um elf ließ sie sich den Termin bestätigen. Ken Bailey lud sie zum Mittagessen ein, aber sie war zu nervös, um zu essen. Statt dessen ging sie zu Bendel's, wo sie ein kurzes, dunkelgrünes Chiffonkleid kaufte, das zu ihren Augen paßte, ein Paar schlanke braune Stiefel und eine passende Tasche. Sie wußte, daß sie ihr Budget weit überschritten hatte, aber sie konnte einfach nicht aufhören. Auf dem Weg nach draußen kam sie an der Parfumabteilung vorbei und erstand in einem Anfall von Wahnsinn eine Flasche Joy. Es war wahnsinnig, weil Adam verheiratet war.
Um fünf verließ Jennifer das Büro und ging nach Hause, um sich umzuziehen. Sie verbrachte zwei Stunden damit, zu baden und sich für Adam anzuziehen, und als sie fertig war, betrachtete sie sich kritisch im Spiegel. Dann kämmte sie sich trotzig das sorgfältig frisierte Haar aus und faßte es mit einem grünen Band hinter dem Kopf zusammen. So ist es besser, dachte sie. Ich bin ein Anwalt, der sich mit einem andern Anwalt zum Essen trifft. Aber als sie die Tür hinter sich schloß, ließ sie einen schwachen Duft nach Rosen und Jasmin zurück.
Lutèce war ganz anders, als Jennifer erwartet hatte. Die Trikolore flatterte über dem Eingang des unscheinbaren Hauses. Innen führte ein schmaler Gang zu einer kleinen Bar, und jenseits befand sich ein sonnenlichterfüllter Eßraum, hell und heiter, mit Korbstühlen und buntkarierten Tischdecken. Jennifer wurde am Eingang von Andre Soltner, dem Eigentümer, empfangen. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich bin mit Mr. Adam Warner verabredet. Ich glaube, ich bin etwas früh dran.«
Er führte Jennifer zu der kleinen Bar. »Warum trinken Sie nicht eine Kleinigkeit, während Sie warten, Miß Parker?«
»Gern«, sagte Jennifer. »Danke.«
»Ich schicke Ihnen einen Kellner.«
Jennifer nahm Platz und vertrieb sich die Zeit damit, die neu eintreffenden, mit Juwelen und Pelzen behängten Frauen und ihre Begleiter zu beobachten. Jennifer hatte schon von Lutèce gehört und gelesen. Es hieß, daß es Jacqueline Kennedys Lieblingsrestaurant sei und hervorragendes Essen biete. Ein distinguiert aussehender, grauhaariger Herr trat auf Jennifer zu und sagte: »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mich für einen Moment zu Ihnen setzen würde?« Jennifer versteifte sich. »Ich erwarte jemanden«, begann sie. »Er müßte jeden Augenblick hier...«
Er lächelte und setzte sich. »Dies ist kein Aufreißschuppen, Miß Parker.« Jennifer blickte ihn erstaunt an, unsicher, wo sie ihn einordnen sollte. »Ich bin Lee Browning, von Holland und Browning.« Holland und Browning war eine der angesehensten Kanzleien von New York. »Ich wollte Ihnen nur zu der Art gratulieren, wie Sie den Abraham-Wilson-Prozeß gehandhabt haben.«
»Danke schön, Mr. Browning.«
»Sie haben sich auf ein großes Risiko eingelassen. Es war ein aussichtsloser Fall.« Einen Augenblick lang studierte er ihr Gesicht. »Sie kennen ja die Regel in unserem Gewerbe: Wenn du auf der falschen Seite eines aussichtslosen Falles stehst, achte darauf, daß es keiner ist, um den viel Wirbel gemacht wird. Der Trick besteht darin, die Sieger herauszustellen und die Verlierer unter den Teppich zu kehren. Sie haben uns alle ganz schön hereingelegt. Haben Sie schon einen Drink bestellt?«
»Nein...«
»Darf ich?« Er winkte den Kellner herbei. »Victor, würden Sie uns bitte eine Flasche Champagner bringen? Dom Perignon.«
»Sofort, Mr. Browning.«
Jennifer lächelte. »Versuchen Sie, mich zu beeindrucken?« Er lachte laut. »Ich versuche, Sie zu engagieren. Ich kann mir vorstellen, daß Sie eine ganze Menge Angebote in der letzten Zeit bekommen haben.«
»Ein paar.«
»Unsere Firma beschäftigte sich hauptsächlich mit Wirtschaftsrecht, Miß Parker, aber einige unserer etwas wohlhabenderen Klienten gehen manchmal etwas zu weit und brauchen dann einen Strafverteidiger. Ich glaube, wir könnten Ihnen einen recht attraktiven Vorschlag unterbreiten. Würde es Ihnen etwas ausmachen, gelegentlich einmal bei mir im Büro vorbeizuschauen und mit mir darüber zu sprechen?«
»Danke, Mr. Browning, ich fühle mich wirklich geschmeichelt, aber ich habe gerade meine eigene Kanzlei eröffnet. Ich hoffe, es rentiert sich.«
Er musterte sie mit einem langen Blick. »Es wird sich rentieren.« Er blickte auf, weil jemand zu ihnen getreten war, erhob sich dann und streckte seine Hand aus. »Adam, wie geht's?« Jennifer sah auf, und da stand Adam Warner und schüttelte Lee Browning die Hand. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und sie fühlte, wie sie errötete. Idiotisches Schulmädchen! Adam Warner blickte auf Jennifer und Browning und sagte: »Ihr beide kennt euch?«
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