»Kommt nicht in Frage, meine Liebe«, erwiderte Matthias und rümpfte die Nase. »Schrecklicher Gestank hier«, fügte er hinzu und sah in alle Richtungen, um die Ursache ausfindig zu machen.
»Ist das nicht einfach nur Landluft?«, meinte Dóra und atmete tief durch die Nase ein. »Es sei denn, der Wind kommt aus der Richtung des gestrandeten Wals. Komm mit«, sagte sie. »Ich übernehme das Reden. Wahrscheinlich ist es sowieso besser, ihnen nichts vorzumachen.« Sie klopfte leicht an die ramponierte Haustür. Daran war ein Holzschild mit den Namen der Bewohner in schnörkeliger Schrift befestigt: Bergur und Rósa. Dóra hoffte inständig, dass die Dame des Hauses nicht zur Tür kommen würde. Sie wollten zu Bergur, und Dóra war nicht bekannt, ob die Ehefrau von seinem Verhältnis mit Birna wusste. Sie wollte nicht diejenige sein, die ihr die Nachricht überbrachte, und es würde nicht viel bringen, mit Bergur zu sprechen, ohne es zu erwähnen.
Die Tür ging auf. Vor ihnen stand ein Mann zwischen dreißig und vierzig. Er war schlank, wirkte aber dennoch muskulös, mit breiten Schultern und kräftigen Unterarmen. Dóra konnte gut verstehen, dass Birna den Mann anziehend gefunden hatte. Etwas an seinen markanten Gesichtszügen und seinem dunklen lockigen Haar machte ihn sehr attraktiv. »Guten Tag«, sagte Dóra. »Bist du Bergur?«
»Ja«, antwortete der Mann und schaute die Gäste fragend an.
Dóra lächelte. »Ich heiße Dóra und bin die Anwältin von Jónas vom Hotel. Das ist Matthias aus Deutschland, der zu meiner Unterstützung hier ist, wenn man das so sagen kann.« Sie zeigte auf den höflich nickenden Matthias. »Wir würden gerne kurz mit dir reden.« Sie schaute ihm in die Augen. »Über den Mord an Birna und den neuesten Leichenfund.«
Bergur sah sie scharf an. Dóra hatte den Eindruck, dass er über den Besuch alles andere als erfreut war. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich was mit euch zu besprechen habe«, sagte er unwirsch. »Ich bin stundenlang von der Polizei verhört worden und vollkommen ausgelaugt. Könnt ihr euch nicht einfach die Zeugenaussage besorgen?«
Dóra lächelte weiter. »Ich spreche lieber mit den Leuten persönlich, als mir ihre Aussagen durchzulesen. Die Fragen, die mich interessieren, werden nicht immer gestellt.« Sie seufzte leicht. »Aber wenn du nicht mit uns reden willst, versuchen wir einfach, morgen deine Frau zu erreichen. Sie ist bestimmt nicht so ausgelaugt wie du.«
Bergur schwankte. »Sie ist mit Sicherheit genauso wenig daran interessiert, mit euch zu reden wie ich.«
»Das wird sich ja dann herausstellen, nicht wahr?«, entgegnete Dóra. »Ich rufe an und erkläre ihr unser Anliegen. Ich bin mir sicher, dass sie mich dann treffen will.« Dóra hoffte, dass das genügen würde. Sie setzte ihr coolstes Pokerface auf, damit er nicht auf die Idee kam, dass sie ihm etwas vorspielte.
Bergur warf einen Blick über die Schulter zurück ins Haus. Dann drehte er sich wieder um und schaute Dóra wütend an. Matthias ignorierte er. »In Ordnung«, meinte er griesgrämig. »Ich rede kurz mit euch, aber nicht hier. Draußen im Pferdestall ist eine kleine Kaffeestube. Da können wir uns hinsetzen.« Er ging wieder in den Flur, zog seine Schuhe an und rief laut: »Rósa! Ich bin draußen!« Dann schloss er wortlos die Tür hinter sich, obwohl seine Frau etwas zurückrief, was Dóra nicht verstehen konnte. Schweigend ging er los.
»Dieser Pferdestall …« rief Dóra ihm hinterher, während er vor ihnen her zu einem neueren wellblechverkleideten Gebäude marschierte, »… ist das der Stall, in dem Eiríkurs Leiche gefunden wurde?« Bergur antwortete nicht. Dóra warf Matthias einen Blick zu und signalisierte ihm, dass es nicht besonders gut lief. Sie wedelte mit der Hand vor ihrem Mund herum und zeigte dann auf Matthias. Sie wollte ihn dazu bringen, sich am Gespräch zu beteiligen. Er schüttelte nur den Kopf.
Sie folgten Bergur zu einer mächtigen Tür, die er mit großer Anstrengung öffnete. »Kommt rein«, sagte er.
»Danke«, sagte Dóra und musste über Matthias’ Gesichtsausdruck lachen. Der Gestank des Pferdemists traf ihn wie ein Donnerschlag. »Gut, dieser Pferdegeruch«, sagte sie zu ihm, ohne dass Bergur sie hören konnte, und blinzelte. Matthias hatte die Lippen so fest zusammengepresst, dass ein Lächeln nicht mehr möglich war. In der Kaffeestube entspannte sich sein Gesicht ein wenig.
»Ihr könnt euch da hinsetzen«, sagte Bergur und zeigte auf drei gepolsterte, um einen alten Küchentisch gruppierte Stühle. Er lehnte sich an einen kleinen Waschtisch mit einer schmutzigen Kaffeemaschine und einer Kiste Gewehrpatronen.
»Vielen Dank«, sagte Dóra und nahm Platz. Sie sah, dass Bergur angewidert beobachtete, wie Matthias sich erst auf den Stuhl setzte, nachdem er mit der flachen Hand darübergewischt hatte.
»Ich weiß nicht, ob du mich eben gehört hast«, sagte Dóra, »aber ist das der Pferdestall, in dem Eiríkurs Leiche gefunden wurde?«
Bergur nickte. »Ja.«
»Und du hast ihn gefunden, oder?«, fragte Dóra. Wieder nickte er schweigend. »Und du hast auch Birnas Leiche entdeckt. Seltsam«, fügte sie hinzu und machte ein verwundertes Gesicht.
Bergur antwortete nicht direkt, sondern starrte sie intensiv unter seinen schwarzen, dichten Augenbrauen an, bis Dóra seinem Blick ausweichen musste. Endlich ergriff er das Wort. »Willst du damit irgendwas andeuten?«, fragte er trocken. »Falls das so ist, kann ich dir nur sagen, was ich auch der Polizei gesagt habe — ich habe nichts mit diesen Todesfällen zu tun.«
»Mordfälle«, korrigierte ihn Dóra. »Sie wurden beide ermordet. Wie dem auch sei, wir wissen, dass du mit Birna eine Affäre hattest. War zwischen euch noch alles okay?«
Bergur errötete leicht. Dóra war sich nicht sicher, ob aus Wut oder aus Scham darüber, mit Unbekannten über seinen Ehebruch zu sprechen. Seine Stimme ließ eher auf Letzteres schließen. »Es lief gut«, sagte er und presste die Lippen zusammen.
»Wusste deine Frau davon? Wie heißt sie nochmal?«, sagte Dóra und fügte dann hinzu: »Ach ja, Rósa. Wusste Rósa davon?«
Seine Röte verstärkte sich. »Nein«, antwortete Bergur. »Sie wusste es nicht und ist immer noch nicht dahintergekommen, glaube ich. Jedenfalls hat sie es von mir nicht erfahren.«
»Es war also nichts Ernstes?«, fragte Dóra. »Ich frage nur, weil du es vor deiner Frau verheimlicht hast.«
»Hätte mehr draus werden können«, antwortete Bergur nervös. »Ich wollte mich von Rósa trennen. Es war nur noch eine Frage der Zeit.«
»Verstehe«, sagte Dóra. »Dann ist es jetzt vielleicht nicht mehr nötig, mit ihr darüber zu reden, oder wie?«
»Das geht dich nichts an«, antwortete Bergur mit feuerrotem Gesicht.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Dóra. Sie setzte sich auf ihrem Stuhl zurecht, der dabei fast zusammenbrach. »Ich habe heute etwas über Birna gehört, das mir merkwürdig vorkommt.« Sie verstummte, so als überlege sie, ob sie Bergur etwas anvertrauen konnte.
»Was denn?«, fragte Bergur neugierig.
»Ach, vielleicht ist es nur dummes Zeug«, sagte Dóra und musterte ihre Fingernägel. Dann sah sie auf und schaute Bergur direkt in die Augen. »An dem Tag, an dem Birna ermordet wurde, hatte sie mit zwei Männern Geschlechtsverkehr. Mit dir, nehme ich an, und mit einem anderen. Vielleicht mit dem Mörder — vielleicht auch nicht. Ist es möglich, dass euer Verhältnis in ihren Augen nur ein Zeitvertreib war?«
Bergur richtete sich auf und stieß kräftig Luft aus. »Ich weiß ja nicht, woher du deine Informationen hast, aber mir wurde gesagt, sie sei vergewaltigt worden. Ich denke, man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass dieser Verkehr gegen ihren Willen stattgefunden hat«, stieß er hervor.
»Du warst also einer der beiden?«
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