Matthias tippte ihr sanft auf die Schulter. »Das ist ja alles wahnsinnig interessant, aber ich glaube, du solltest dich mal umdrehen und gucken, wer gerade reingekommen ist.«
Dóra schaute zum Foyer, wandte ihren Blick aber sofort wieder ab. »Was will die denn hier? Glaubst du, sie hat mich gesehen?«
»Ob sie dich zusammenschlagen will?«, flüsterte Matthias ihr ins Ohr. »Aber ich glaube, du bist ihr überlegen.«
Dóra reagierte nicht darauf, sondern schaute sich verstohlen um. Sie beobachtete, wie Jökull, Kellner und Rasenmäher, auf die Bäuerin von Tunga zuging, die unschlüssig vor der verlassenen Rezeption stand. Er trug Anorak und feste Schuhe und umarmte Rósa herzlich, bevor sie zusammen hinausgingen. Beide schienen Matthias und Dóra nicht weiter zu beachten. »Was zum Teufel haben die denn miteinander zu tun?«
»Ich weiß, dass du gleich Feierabend hast, Bella«, sagte Dóra beschwichtigend in den Hörer. »Ich bitte dich ja auch nicht darum, das heute Nacht für mich zu erledigen. Du kannst es morgen früh tun.« Demonstrativ schüttelte Dóra den Kopf, während sie dem Jammern der Sekretärin lauschte. »Bella, ich dachte doch nur, das wäre für dich als Pferdenärrin eine perfekte Aufgabe.« Dóra wunderte sich schon lange darüber, wie Bella mit ihrem gewaltigen Körperumfang auf ein Pferd steigen konnte. »Du musst nur rausfinden, ob es irgendeine Verbindung zwischen Pferden und Füchsen oder zwischen Füchsen und Morden gibt.« Sie seufzte und schloss die Augen, als Bella ihr ins Wort fiel. »Bella, ich weiß nicht, wonach du suchen musst. Versuch einfach, rauszukriegen, ob Füchse und Pferde, besonders Hengste, irgendwelche Gemeinsamkeiten haben.« Dóra merkte, dass sie die Sache näher erläutern musste. »Also, es ist so: In einem Pferdestall wurde ein Mann gefunden, von einem Hengst zu Tode getreten. An der Leiche war ein toter Fuchs festgebunden. Ich gehe davon aus, dass das einem bestimmten Zweck dienen sollte.«
Matthias zwinkerte Dóra zu und grinste. Er genoss es, das Gespräch mitzuverfolgen, obwohl er kein Wort verstand. »Bestell ihr viele Grüße von mir«, warf er ein.
Dóra schnitt eine Grimasse. »Ja, ja, Bella. Du wirst es schon rausfinden. Mit dem Friedhof ist es ja hervorragend gelaufen, und ich bin mir sicher, dass es diesmal auch nicht anders sein wird. Matthias lässt grüßen.« Sie warf Matthias einen Blick zu und grinste. »Er würde gerne mal mit dir zu den Pferden fahren, wenn wir wieder in der Stadt sind. Wir waren eben auf einem Pferdehof, und er war total begeistert. Sein größter Traum ist es, mal zum Füttern und Ausmisten mitzukommen. Du weißt ja, wie verrückt die Deutschen nach Islandpferden sind.« Sie verabschiedete sich. »Bella würde dich gerne mal mit zum Stall nehmen, wenn wir wieder in der Stadt sind«, sagte sie mit breitem Grinsen zu Matthias. »Sie grüßt herzlich zurück.«
»Ha, ha«, sagte Matthias. »Witzig. Hast du ihr auch erzählt, wie freudig du eben im Pferdestall aufgenommen wurdest? Du konntest ganze drei Worte sagen, bevor Rósa ausgerastet ist.«
»Du musst zugeben, dass sie sehr merkwürdig reagiert hat. Ob die Frage nun geschmacklos war oder nicht. Ich muss unbedingt rauskriegen, in welcher Verbindung sie zu Jökull steht.«
»Ihre Reaktion im Stall war wirklich ein wenig übertrieben«, sagte Matthias. »Aber ich hab dich gewarnt, in der Geschichte herumzuschnüffeln.«
»Das Komische ist, dass ich nur versucht habe, nett zu ihr zu sein, weil ich fand, dass Bergur sie schlecht behandelt hat«, erklärte Dóra. »Das mit dem jungen Mann im Rollstuhl war das Einzige, was mir eingefallen ist.«
»Bedauerlicherweise«, sagte Matthias. »Lassen sich darüber keine Infos im Internet finden? Er ist schwerverletzt und bestimmt nicht so auf die Welt gekommen. Er muss in einen Brand geraten sein, und über Brandunglücke wird doch oft in den Nachrichten berichtet. Vor allem, wenn es Verletzte gab«, fügte er hinzu. »Ältere Meldungen stehen doch bestimmt im elektronischen Archiv, auf den Websites der Zeitungen.«
»Ja, wahrscheinlich«, meinte Dóra. »Es wäre nur viel einfacher, wenn ich hier jemanden auftreiben würde, der es mir erzählen könnte. Ich wüsste nicht, wonach ich im Internet suchen sollte. Ich weiß ja noch nicht mal, ob es vor zehn Jahren oder vor einem Monat passiert ist. Die Zeitungen berichten nur selten detailliert über die Unfallfolgen, sondern schreiben nur, der Betreffende sei stark geschädigt, schwerverletzt, es gehe ihm den Umständen entsprechend und so weiter. Und außerdem weiß ich immer noch nicht, ob es ein Hausbrand war oder ob der Junge einfach nur in eine heiße Quelle gefallen ist.« Sie ächzte. »Vielleicht sollte ich mich lieber darauf konzentrieren, den armen Jónas von den Anschuldigungen zu befreien.«
Matthias brummelte. »Falls das möglich ist. Du musst zugeben, dass er durchaus der Schuldige sein könnte.«
»Ja, leider«, entgegnete Dóra. »Aber ich bin mir trotzdem ziemlich sicher, dass er diese Morde nicht begangen hat.«
»Aber wer dann?«, fragte Matthias. »Es wäre wirklich leichter, wenn sonst noch jemand in Frage kommen würde.«
Dóra dachte nach. »Am ehesten Bergur, aber ich habe keinen blassen Schimmer, warum er Eiríkur hätte umbringen sollen.« Sie knabberte an ihrer Unterlippe. Sie lehnten nebeneinander an Matthias’ Mietwagen auf dem Parkplatz vor dem Hotel, von wo aus Dóra Bella angerufen hatte. »Können wir nicht alle Teilnehmer der spiritistischen Sitzung ausschließen?«, fragte Dóra. »Sie fand genau zur selben Zeit statt, als Birna laut Aussage der Polizei ermordet wurde.«
»Gibt es eine genauere Angabe über die Todeszeit?«
»þórólfur nannte eine Zeit zwischen neun und zehn letzten Donnerstag«, antwortete Dóra. »Das muss er aus den Ergebnissen der Obduktion geschlossen haben. Und es stimmt auch mit der SMS überein, in der sie zu einem Treffen um neun Uhr gebeten wird.« Dóra stöhnte. »Die Sitzung fing um acht an. Wir haben ungefähr eine halbe Stunde vom Strand zum Hotel gebraucht. Wenn der Mörder heimlich die Sitzung verlassen hat, hätte er niemals vor der Pause um halb zehn zurück sein können. Der Zufahrtsweg war nicht befahrbar, also konnte auch von dort niemand kommen — es würde viel zu lange dauern, bis zur Hauptstraße hinaufzulaufen.«
»Weißt du, wer alles bei der Séance war?«, fragte Matthias. »Es bringt nichts, eine ganze Gruppe von Menschen auszuschließen, wenn du noch nicht mal weißt, wer daran teilgenommen hat.«
»Nein, aber Vigdís weiß sicherlich ungefähr, wer dort war. Sie hat den Eintritt kassiert«, sagte Dóra. »Und es haben bestimmt viele mit Kreditkarte gezahlt, sodass wir schon mal ein paar Namen hätten.«
»Aber solltest du dich nicht lieber darauf konzentrieren, wer in Frage kommt, als wer nicht in Frage kommt?«, meinte Matthias.
»Doch, aber auf diese Weise kann ich ziemlich viele ausschließen. Und habe ich eine Liste über alle, die Jónas möglicherweise in der Pause gesehen haben, und könnte ihm somit ein Alibi verschaffen.« Dóra beobachtete eine Möwe, die über sie hinwegflog. »Es sei denn, der Mörder ist zum Strand geflogen«, sagte sie nachdenklich und stieß sich dann abrupt vom Wagen ab. »Was ist mit dem Seeweg? Hätte der Mörder mit einem Motorboot in die Bucht fahren können?«
Matthias wirkte nicht halb so enthusiastisch wie sie. »Ist das nicht ziemlich unwahrscheinlich?«, gab er zu bedenken. »Wir waren doch in der Bucht, und ich hatte nicht den Eindruck, dass man dort am Strand anlegen konnte. Ein Boot würde sofort auf Grund laufen.« Dann fügte er nachdenklich hinzu: »Aber da war ein Betonpier. Das wäre vielleicht eine Möglichkeit.« Er grübelte weiter. »Das Boot hätte dann vor der Séance hier am Hotelsteg liegen müssen. Vielleicht erinnert sich da jemand daran. Lass uns hingehen und die Stelle ansehen.«
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