Adelaide Jefferson kam mit Hugo McLean angelaufen. Lächelnd entschuldigte sie sich für die Verspätung und ging dann auf den Platz. McLean setzte sich auf die Bank. Er erkundigte sich höflich, ob es Miss Marple störe, wenn er rauche, zündete seine Pfeife an und paffte eine Weile schweigend vor sich hin. Kritisch verfolgte er das Spiel der beiden und sagte schließlich: «Möchte wissen, wozu Addie Stunden nimmt. Ein Match, ja. Niemand hat mehr Spaß dran als ich. Aber Stunden?»
«Sie will ihren Stil verbessern», sagte Sir Henry.
«Spielt doch nicht schlecht. Gut genug jedenfalls. Wird ja nicht gleich in Wimbledon antreten wollen, in Dreiteufelsnamen.»
Er schwieg ein paar Minuten und sagte dann: «Wer ist dieser Raymond eigentlich? Wo kommen diese Tennistrainer überhaupt her? Wirkt irgendwie südländisch.»
«Er ist einer von den Starrs in Devonshire.»
«Wie bitte? Im Ernst?»
Sir Henry nickte. Hugo McLean schien unangenehm berührt. Er blickte finsterer drein denn je.
«Möchte wissen, wieso Addie mich hat kommen lassen. Die Sache scheint sie doch gar nicht zu berühren. Sieht besser aus denn je. Was soll ich hier?»
«Wann hat sie Sie denn verständigt?», fragte Sir Henry nicht ohne Neugier.
«Ach – äh, nachdem es passiert war.»
«Und wie? Telefonisch oder telegrafisch?»
«Telegrafisch.»
«Darf ich ganz neugierig fragen, wann das Telegramm aufgegeben wurde?»
«Hm – das kann ich nicht genau sagen.»
«Wann haben Sie es denn bekommen?»
«Ich hab es nicht direkt bekommen. Es wurde telefonisch durchgegeben.»
«Wieso, wo waren Sie denn?»
«Ich war am Nachmittag zuvor aus London weggefahren. Nach Danebury Head.»
«Ach! Das ist ja ganz in der Nähe.»
«Ja, komisch, was? Erhielt die Nachricht, als ich vom Golfspielen zurückkam, und hab mich gleich auf den Weg gemacht.»
Miss Marple betrachtete ihn nachdenklich. Er schwitzte und schien sich unbehaglich zu fühlen. «Es soll sehr hübsch sein in Danebury Head und gar nicht teuer», sagte sie.
«Richtig, sonst könnte ich mir’s auch nicht leisten. Netter kleiner Ort.»
«Wir müssen einmal hinfahren.»
«Ah, wie bitte? Ach so, ja, äh, unbedingt.» Er stand auf. «Muss mir noch etwas Bewegung verschaffen – regt den Appetit an.»
Steif ging er davon.
«Schlimm», sagte Sir Henry, «wie Frauen ihre treu ergebenen Verehrer behandeln.»
Miss Marple lächelte, gab aber keine Antwort.
«Ein ziemlicher Langweiler, finden Sie nicht? Ihre Meinung würde mich interessieren.»
«Ein wenig einseitig in seinen Ansichten vielleicht», erwiderte Miss Marple, «aber nicht ohne Möglichkeiten, nein, durchaus nicht.»
Sir Henry erhob sich ebenfalls.
«Es wird Zeit für mich – muss wieder an die Arbeit. Ah, da kommt ja Mrs. Bantry. Sie wird Ihnen Gesellschaft leisten.»
IV
Mrs. Bantry war ganz außer Atem. Ächzend ließ sie sich nieder und sagte: «Ich habe mich mit ein paar Zimmermädchen unterhalten, aber das führt auch nicht weiter. Gar nichts ist dabei herausgekommen! Meinst du wirklich, das Mädchen hätte einen Freund haben können, ohne dass das ganze Hotel davon wusste?»
«Eine interessante Frage, meine Liebe, die ich entschieden verneinen würde. Verlass dich drauf: Wenn es so war, dann hat es auch jemand gewusst! Aber sie muss sehr geschickt vorgegangen sein.»
Mrs. Bantrys Aufmerksamkeit war abgeschweift. Sie sah zum Tennisplatz hinüber. «Addie wird immer besser», sagte sie anerkennend. «Attraktiver junger Mann, dieser Trainer. Und Addie sieht auch sehr hübsch aus. Sie ist immer noch eine reizvolle Frau. Es würde mich kein bisschen überraschen, wenn sie irgendwann wieder heiraten würde.»
«Und reich ist sie außerdem, wenn Mr. Jefferson stirbt.»
«An was du immer denkst, Jane! Warum hast du den Fall eigentlich noch nicht gelöst? Wir kommen keinen Schritt voran. Ich dachte, du würdest sofort Bescheid wissen!», sagte Mrs. Bantry vorwurfsvoll.
«Aber woher denn, meine Liebe, sofort nicht. Es hat schon seine Zeit gedauert.»
Mrs. Bantry sah sie ungläubig und erschrocken an. «Du meinst, jetzt weißt du, wer Ruby Keene umgebracht hat?»
«O ja», sagte Miss Marple, «das schon!»
«Ja, und wer ist es? Nun sag schon!»
Miss Marple schüttelte energisch den Kopf und spitzte die Lippen. «Tut mir Leid, Dolly, aber das wäre ganz sicher nicht das Richtige.»
«Warum denn nicht?»
«Du bist zu indiskret. Du würdest es überall herumerzählen – oder zumindest Andeutungen machen.»
«Aber nein, keiner Menschenseele würde ich was erzählen!»
«Leute, die das sagen, sind immer die letzten, die sich daran halten. Nein, nein, meine Liebe. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. So vieles ist noch völlig unklar. Weißt du noch, damals, als ich so dagegen war, dass Mrs. Partridge fürs Rote Kreuz sammelt, und nicht sagen konnte, warum? Der Grund war, dass ihre Nase auf genau die gleiche Art gezuckt hat wie die von meinem Dienstmädchen Alice, wenn sie die wöchentlichen Rechnungen in den Geschäften bezahlte. Hat jedes Mal einen Shilling zurückbehalten und gesagt ‹Das kommt auf die nächste Rechnung›, und genau das hat Mrs. Partridge auch getan, nur in viel größerem Maßstab. Fünfundsiebzig Pfund hat sie veruntreut.»
«Reden wir nicht von Mrs. Partridge.»
«Ich wollte es dir nur erklären. Wenn es dir so wichtig ist, kann ich dir ja einen Wink geben. Alle waren viel zu leichtgläubig – das macht den Fall so schwierig. Man kann es sich einfach nicht leisten, alles zu glauben, was einem jemand sagt. Sobald mir etwas spanisch vorkommt, glaube ich überhaupt nichts mehr! Dafür kenne ich die menschliche Natur einfach zu gut.»
Mrs. Bantry schwieg eine Weile und sagte dann in verändertem Tonfall: «Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht einsehe, wieso ich mich nicht über den Fall freuen sollte. Ein richtiger Mord in meinem eigenen Haus! So etwas kommt nie wieder!»
«Das wollen wir auch nicht hoffen.»
«Du hast ja Recht. Einmal genügt. Aber es ist mein Mord, Jane, und ich möchte meinen Spaß daran haben.»
Miss Marple warf ihr einen Blick zu.
«Du glaubst mir nicht?», fragte Mrs. Bantry herausfordernd.
«Doch, Dolly, natürlich, wenn du’s sagst», erwiderte Miss Marple nachgiebig.
«Aber du hast doch eben gesagt, du glaubst überhaupt nichts. Na ja, es stimmt ja.» Mrs. Bantrys Stimme klang plötzlich bitter. «Ich bin ja nicht ganz dumm. Du denkst vielleicht, ich weiß nicht, wie die Leute in St. Mary Mead reden. Und nicht nur dort – in der ganzen Grafschaft! Kein Rauch ohne Feuer, sagen sie, einer wie der andere, und dass Arthur garantiert etwas weiß, weil die Tote in seiner Bibliothek gefunden wurde. Dass sie Arthurs Geliebte war, dass sie eine uneheliche Tochter von ihm war, dass sie ihn erpresst hat. Alles, was ihnen so in den Sinn kommt! Und das wird immer so weitergehen! Arthur wird erst nichts merken, und dann wird er sich’s nicht erklären können. Er ist ja so ein lieber alter Dummkopf, er käme gar nicht auf die Idee, dass man so etwas von ihm denken könnte. Die Leute werden ihm die kalte Schulter zeigen und ihn schief ansehen (was immer das heißen mag!), und ganz allmählich wird es ihm aufgehen, und er wird entsetzt sein und bis ins Mark getroffen, er wird sich in sein Schneckenhaus zurückziehen und nur noch in seinem Elend ausharren, Tag für Tag.
Und damit das nicht geschieht, bin ich hierher gekommen. Ich will so viel herauskriegen, wie ich nur irgend kann, und wenn es noch so unbedeutend ist! Dieser Mord muss aufgeklärt werden! Wenn nicht, dann ist Arthur verloren, und das lasse ich nicht zu. Das lasse ich nicht zu!»
Sie hielt einen Moment inne und fuhr dann fort: «Ich lasse nicht zu, dass der Gute Höllenqualen leidet für etwas, das er gar nicht getan hat. Nur deshalb habe ich ihn allein gelassen und bin hierher gefahren – um die Wahrheit zu finden.»
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