»Sehr schlechte Manieren, eine unmögliche Person! Und dann ruft sie: ›Gehn Sie nicht fort mit dem Schlüssel in Ihrer Hand.‹ Ich war sehr ärgerlich. Wie ich die Tür aufmache, der Schlüssel fällt heraus. Ich bücke mich und hebe ihn auf, und ich vergesse ihn zurückzutun, weil die mich hat beleidigt. Und dann schreit sie mir noch nach, ob ich wollte stehlen den Schlüssel. Ihr Schlüssel und ihre Turnhalle!«
»Sonderbar, dass sie die Turnhalle als ihr Privateigentum zu betrachten schien…« Kommissar Kelsey versuchte vorsichtig seine Fühler weiter auszustrecken. »Vielleicht hatte sie dort etwas versteckt und fürchtete, dass es jemand finden könnte?«
»Was soll sie haben versteckt? Liebesbriefe vielleicht?« Mademoiselle Angele lachte verächtlich. »Der hat bestimmt niemand geschrieben einen Liebesbrief… Die anderen Lehrerinnen sind wenigstens höflich. Miss Chadwick ist altmodisch – wie sagt man? – umständlich. Miss Vansittart ist sehr nett und sympathisch – grande dame.
Miss Rich mag sein etwas verrückt, aber freundlich. Und die jüngeren Lehrerinnen sind ganz nett.«
Nach einigen weiteren unwichtigen Fragen wurde Mademoiselle Blanche entlassen.
»Überempfindlich, wie alle Franzosen«, bemerkte Bond.
»Aber nicht uninteressant«, erwiderte Kelsey. »Miss Springer mochte es also nicht, wenn andere sich in ihrer Turnhalle umsahen. Aber warum?«
»Vielleicht glaubte sie, dass die Französin ihr nachspionierte«, sagte Bond.
»Aber weshalb? Das würde ihr doch nur dann etwas ausgemacht haben, wenn sie wirklich etwas zu verbergen hatte… Wen haben wir sonst noch zu verhören?«, fügte Kelsey hinzu.
»Miss Blake und Miss Rowan, die beiden jungen Lehrerinnen, und Miss Bulstrodes Sekretärin.«
Miss Blake war jung und ernst. Sie hatte ein rundes, gutmütiges Gesicht. Ihre Fächer waren Physik und Naturkunde. Viel zu sagen hatte sie nicht. Sie hatte mit Miss Springer kaum Kontakt gehabt und auch keine Ahnung, was zu ihrer Ermordung geführt haben mochte.
Miss Rowan hatte ihre eigenen Ansichten über den Fall, wie es sich für eine Psychologin gehörte. Sie hielt es für sehr wahrscheinlich, dass Miss Springer Selbstmord verübt hatte.
Kommissar Kelsey hob die Augenbrauen.
»Warum sollte sie? War sie besonders unglücklich?«
»Sie war aggressiv«, behauptete Miss Rowan und sah Kelsey durch ihre dicken Brillengläser aufmerksam an. »Sehr aggressiv, und das halte ich für einen äußerst wichtigen Faktor. Es war ein unbewusster Versuch, ihr Minderwertigkeitsgefühl zu verbergen.«
»Nach allem, was ich bisher gehört habe, war sie sehr von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugt«, meinte Kelsey.
»Zu sehr«, erklärte Miss Rowan bedeutungsvoll. »Verschiedene Dinge, die sie sagte, bestätigen meine Vermutung.«
»Zum Beispiel?«
»Sie machte gewisse Anspielungen; sie sagte, es gäbe Leute, die nicht das wären, was sie zu sein schienen. Sie erwähnte, dass sie in der Schule, an der sie vorher angestellt war, jemanden ›entlarvt‹ hätte. Allerdings habe die Leiterin etwas gegen sie gehabt und sich deshalb geweigert, Miss Springers Enthüllungen ernst zu nehmen. Auch einige der Lehrerinnen sollen gegen sie gewesen sein. Wissen Sie, was das bedeutet, Kommissar?« Miss Rowan beugte sich so erregt vor, dass sie fast vom Stuhl fiel. Eine glatte dunkle Haarsträhne hing ihr ins Gesicht. »Die ersten Anzeichen von Verfolgungswahn.«
Kommissar Kelsey räumte höflich ein, dass Miss Rowan in vielen Punkten Recht haben mochte. Jedoch könne er ihre Theorie eines Selbstmordes nur dann teilen, wenn sie ihm erklärte, wie Miss Springer es fertiggebracht habe, sich aus einer Entfernung von gut einem Meter zu erschießen. Auch das Verschwinden der Mordwaffe bedürfe einer Erklärung.
Miss Rowan stellte beleidigt fest, dass das Vorurteil der Polizei gegen psychologische Methoden ja nur zu bekannt sei.
Dann räumte sie das Feld für Ann Shapland.
»Nun, Miss Shapland, was können Sie uns zu dieser Angelegenheit mitteilen?«, fragte Kommissar Kelsey mit einem wohlgefälligen Blick auf die gepflegte, adrette Sekretärin.
»Leider nicht das Geringste. Ich habe mein eigenes Wohnzimmer und sehe die Lehrerinnen nur selten. Das Ganze erscheint mir noch immer einfach unglaublich.«
»Unglaublich? Inwiefern?«
»Weil ich mir nicht vorstellen kann, wer ein Interesse daran haben konnte, Miss Springer zu erschießen. Nehmen wir an, sie hätte einen Einbrecher überrascht – aber warum eigentlich sollte jemand auf den Gedanken kommen, in die Turnhalle einzubrechen?«
»Vielleicht ein paar Dorfjungen, die es auf irgendwelche Sportgeräte abgesehen hatten oder sich auch nur einen Jux machen wollten.«
»In diesem Fall hätte Miss Springer einfach gesagt: ›Was wollt ihr denn hier? Macht, dass ihr wegkommt!‹ Und sicher hätten die Jungen so schnell wie möglich das Weite gesucht.«
»Ist Ihnen jemals aufgefallen, dass Miss Springer eine besondere Einstellung zur Turnhalle hatte?«
»Eine besondere Einstellung?«, fragte Ann Shapland erstaunt.
»Hielt sie sie sozusagen für ihr Privateigentum? Passte es ihr nicht, dass andere hineingingen?«
Ann schüttelte den Kopf.
»Mir ist nichts Derartiges aufgefallen; allerdings bin ich selbst nur zweimal dort gewesen, als Miss Bulstrode mich beauftragte, bestimmten Schülerinnen etwas auszurichten.«
»Wussten Sie nicht, dass Miss Springer einmal sehr ärgerlich wurde, als Mademoiselle Blanche dort war?«
»Nein, das wusste ich nicht… oder doch… ich hörte irgendwann mal, dass Mademoiselle Blanche sich über Miss Springer beklagte. Allerdings ist sie so leicht beleidigt, dass das niemand sehr ernst nimmt. Auch über die Zeichenlehrerin soll sie sich neulich beschwert haben. Vielleicht hat sie zu viel freie Zeit. Sie gibt nur Französisch.« Ann Shapland zögerte, bevor sie hinzufügte: »Ich halte sie für ziemlich neugierig.«
»Glauben Sie, dass sie in den Schließfächern herumgestöbert hat?«
»Möglich wär’s, dass sie sich damit die Zeit vertreiben wollte«, erwiderte Ann.
»Hatte Miss Springer selbst ebenfalls ein Schließfach?«
»Ja, natürlich.«
»Wenn Miss Springer Mademoiselle Blanche dabei ertappt hätte, wie diese in ihrem eigenen Fach herumkramte, wäre sie natürlich mit Recht ärgerlich gewesen.«
»Allerdings.«
»Ist Ihnen etwas über Miss Springers Privatleben bekannt?«
»Ich glaube nicht, dass irgendjemand darüber Bescheid weiß. Ich frage mich, ob sie überhaupt eins hatte.«
»Haben Sie mir sonst nichts zu sagen? Irgendetwas, das mit der Turnhalle in Verbindung stehen könnte?«
Ann zögerte.
»Ich weiß nicht, ob das von Bedeutung ist«, sagte sie schließlich. »Neulich sah ich den jungen Gärtner aus der Turnhalle kommen, und der hatte dort bestimmt nichts zu suchen. Wahrscheinlich wollte er sich nur vor der Arbeit drücken – er war gerade damit beschäftigt, den Drahtzaun bei den Tennisplätzen zu reparieren. Aber das ist wohl ganz unwichtig.«
»Immerhin haben Sie sich daran erinnert«, meinte Kelsey. »Warum wohl?«
»Vielleicht nur deshalb, weil er eine so trotzige Miene zur Schau trug«, erwiderte Ann stirnrunzelnd. »Außerdem bemerkte er in verächtlichem Ton, dass für die verwöhnten Schülerinnen hier wohl ein Haufen Geld ausgegeben werde.«
»Ach so«, meinte Kelsey, »diese Einstellung… ich verstehe.«
Ann nickte. »Aber bestimmt ist das alles völlig belanglos«, schloss sie.
»Höchstwahrscheinlich. Immerhin werde ich mir eine Notiz machen.«
»Ringel-, Ringelreihen. Immer im Kreis herum«, seufzte Sergeant Bond, als Ann Shapland gegangen war. »Hoffentlich erfahren wir wenigstens von den Dienstboten etwas Neues.«
Aber auch die Dienstboten hatten wenig zu berichten.
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