Adam nickte zustimmend. »Dann muss es in der Schule eine Person geben, der wir unsere ungeteilte Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Eine Katze im Taubenschlag!«
»Katze im Taubenschlag? Wer hat das heute schon einmal gesagt?« Kelsey überlegte. »Ja, natürlich. Es war Miss Rich, eine der Lehrerinnen.« Nach einer weiteren Pause fuhr er fort: »Drei – Damen sind erst zu Beginn dieses Schuljahrs nach Meadowbank gekommen: Die Sekretärin Shapland, Mademoiselle Blanche und Miss Springer, die tot ist und nicht mehr infrage kommt. Wenn sich eine Katze unter den Tauben befindet, müsste es eine dieser beiden sein.« Er sah Adam an. »Was halten Sie davon?«
»Ich habe Mademoiselle Blanche neulich dabei überrascht, wie sie aus der Turnhalle kam«, sagte Adam nach kurzem Zögern. »Sie machte ein schuldbewusstes Gesicht, als wäre sie auf frischer Tat ertappt worden. Dennoch würde ich eher die Sekretärin verdächtigen. Miss Shapland ist kalt und berechnend, außerdem sehr intelligent. Ich an Ihrer Stelle würde mal ihre Vergangenheit einer gründlichen Prüfung unterziehen… Was gibt’s denn da zu lachen?«
Kelsey grinste übers ganze Gesicht.
»Miss Shapland hält Sie für ein verdächtiges Individuum. Sie hat Sie dabei ertappt, wie Sie aus der Turnhalle kamen, und fand, dass Sie einen schuldbewussten Eindruck machten!«
»Tatsächlich? So eine Unverschämtheit!«, brauste Adam auf.
Kommissar Kelsey wurde wieder ernst.
»Meadowbank spielt in dieser Gegend eine große Rolle«, sagte er. »Es ist eine hervorragende Schule, und Miss Bulstrode ist ein besonders feiner Mensch. Wir müssen diese Sache so schnell wie möglich aufklären, um dem guten Namen der Schule und ihrer Leiterin nicht unnötig zu schaden.« Er sah Adam nachdenklich an. »Ich bin der Ansicht, dass wir Miss Bulstrode mitteilen müssen, wer Sie sind. Sie wird den Mund halten, darauf können Sie sich verlassen.«
Adam stimmte ihm nach kurzem Zögern zu.
»Ja, unter diesen Umständen wird es sich kaum vermeiden lassen«, sagte er.
Miss Bulstrode unterschied sich durch eine besondere Eigenschaft vorteilhaft von den meisten Frauen. Sie konnte zuhören.
Sie hörte Kommissar Kelsey und Adam schweigend zu, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Schließlich sagte sie ein einziges Wort: »Bemerkenswert!«
Sie sind selbst bemerkenswert, dachte Adam, aber er sprach es nicht aus.
Miss Bulstrode kam, wie gewöhnlich, ohne Umschweife zur Sache. »Und was kann ich nun tun, um Ihnen zu helfen?«, fragte sie.
Kommissar Kelsey räusperte sich.
»Wir hielten es für richtig, Sie im Interesse der Schule über alles zu informieren«, sagte er.
Miss Bulstrode nickte.
»Selbstverständlich muss ich zuerst an die Schule denken«, erwiderte sie. »Ich bin für die Sicherheit meiner Schülerinnen und meiner Angestellten verantwortlich. Ich möchte hinzufügen, dass es sowohl für mich persönlich wie auch für die Schule wünschenswert ist, dass der Mord in der Öffentlichkeit möglichst wenig Aufsehen erregt. Das mag egoistisch klingen, aber ich denke wirklich nur an das Wohl der mir anvertrauten jungen Menschen. Es sei denn, dass Sie Bekanntmachungen im großen Stil für notwendig halten… sind sie notwendig, Kommissar?«
»Nein. Im Gegenteil. Je weniger über diesen Fall geschrieben und gesprochen wird, desto besser«, erklärte Kelsey. »Die Leichenschau wird vertagt werden. Wir lassen durchblicken, dass wir den Mord für das Werk jugendlicher Einbrecher halten, die zwar im Allgemeinen nur mit Messern bewaffnet sind, aber diesmal unglücklicherweise im Besitz einer Schusswaffe waren. Miss Springer hat sie überrascht und wurde erschossen. Dabei würde ich es belassen. Inzwischen können wir unsere Nachforschungen ungestört fortführen. Ich hoffe, die Presse wird uns keinen Strich durch die Rechnung machen. Meadowbank ist eine berühmte Schule. Ein Mord in Meadowbank wird die Öffentlichkeit natürlich interessieren.«
»Ich hoffe, das verhindern zu können«, sagte Miss Bulstrode sofort. »Ich habe gute Beziehungen – zu Presse, Regierung und Kirche.« Mit einem Blick auf Adam fuhr sie fort: »Sie sind doch einverstanden?«
»Selbstverständlich. Auch wir legen Wert darauf, in Ruhe arbeiten zu können«, erwiderte er.
»Bleiben Sie weiter unser Gärtner?«, erkundigte sich Miss Bulstrode.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, ja. Es ist die einzige Möglichkeit, die Ereignisse aus unmittelbarer Nähe zu verfolgen.«
Miss Bulstrode runzelte die Stirn.
»Ich hoffe, dass Sie nicht noch mehr Morde erwarten?«
»Nein, nein.«
»Das wäre fürchterlich. Keine Schule könnte zwei Morde in einem Schuljahr überleben.«
Sie wandte sich an Kelsey.
»Haben Ihre Leute die Durchsuchung der Turnhalle beendet? Ich wäre froh, wenn wir sie bald wieder benutzen könnten.«
»Ja, alles erledigt und in bester Ordnung. Gefunden haben wir nichts, was in irgendeinem Zusammenhang mit dem Mord stehen könnte.«
»Auch nicht in den Schließfächern der Schülerinnen?«
Kommissar Kelsey lächelte.
»Nichts von Bedeutung, nur… nur ein französisches Buch mit Illustrationen, Candide. Eine kostbare Ausgabe.«
»Aha, da hat sie es also versteckt. Es war doch in Gisèle d’Aubrays Fach, nicht wahr?«
Kelseys Respekt vor Miss Bulstrode wuchs.
»Ihnen entgeht wirklich nichts«, sagte er.
»Candide ist ein klassisches Werk, dessen Lektüre ihr nichts schaden wird«, bemerkte Miss Bulstrode. »Gewisse pornografische Bücher konfisziere ich natürlich… Aber nun möchte ich auf meine erste Frage zurückkommen: Was kann ich tun, um Ihnen zu helfen?«
»Im Augenblick gar nichts. Ich möchte nur noch eines wissen: Waren Sie eigentlich seit Beginn dieses Schuljahres über irgendetwas beunruhigt? Über einen Vorfall oder über eine Person?«
Miss Bulstrode überlegte einen Augenblick, dann sagte sie langsam: »Auf diese Frage kann ich nur mit einem ganz offenen ›Ich weiß es nicht‹ antworten.«
»Sie waren also über irgendetwas beunruhigt?«, fragte Adam sofort.
»Der Fall liegt nicht so einfach, wie Sie denken. Ich hatte einmal das Gefühl, dass mir etwas entgangen sei… ich werde es Ihnen beschreiben.«
Sie erzählte kurz von ihrem Gespräch mit Mrs Upjohn, in dessen Verlauf sie zufällig aus dem Fenster geblickt hatte und die völlig betrunkene Lady Veronica auf das Schulhaus hatte zukommen sehen.
»Darf ich das noch einmal zusammenfassen, Miss Bulstrode«, sagte Adam. »Mrs Upjohn sah zum anderen Fenster hinaus, von dem aus man die Einfahrt überblickt, und glaubte jemanden zu erkennen. Diese Tatsache ist an sich nicht erstaunlich; warum sollte sie unter den vielen Eltern und Töchtern, die an diesem Tag vorfuhren, nicht ein bekanntes Gesicht entdeckt haben? Aber Sie sind unbedingt der Meinung, dass Mrs Upjohn sehr erstaunt war, gerade dieser Person in Meadowbank zu begegnen. Stimmt das?«
»Ja, diesen Eindruck hatte ich.«
»Und Ihre Aufmerksamkeit war durch das unerwartete Erscheinen von Lady Veronica abgelenkt worden, die Sie durch das andere Fenster beobachteten, nicht wahr?«
Miss Bulstrode nickte.
»Inzwischen plauderte Mrs Upjohn über dieses und jenes. Sie hörten nur mit halbem Ohr zu, als sie Ihnen erzählte, dass sie während des Krieges – vor ihrer Heirat – für den Nachrichtendienst tätig war.«
»Ja.«
»Vielleicht erkannte sie jemanden, mit dem sie während des Krieges zu tun hatte, das wäre möglich«, sagte Adam nachdenklich.
»Ich bin dafür, dass wir uns unverzüglich mit Mrs Upjohn in Verbindung setzen«, erklärte Kelsey. »Haben Sie ihre Adresse, Miss Bulstrode?«
»Selbstverständlich, aber ich glaube, sie ist momentan im Ausland. Einen Augenblick.«
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