»Aber …«
»Sie werden vielleicht sagen«, fuhr Knowles mit größtem Ernst fort, »daß ich früher ja nicht im Herrenhaus gearbeitet habe. Das ist wahr. Ich bin erst seit zehn Jahren hier, seit Miss Molly den verstorbenen Sir Dudley bat, mir diese Ehre zu gewähren. Doch als ich noch in Diensten von Colonel Mardale war, war der junge Mr. Johnny oft in dem großen Obstgarten, der zwischen dem Anwesen des Colonels und des Majors lag …«
»Welcher Major?«
»Major Dane, Sir, Miss Madelines Vater; er und der Colonel waren gute Freunde. Nun, der junge Mr. Johnny hatte diesen Obstgarten gern, und den Wald dahinter. Der Garten ist gleich am Hanging Chart – geht in ihn über, könnte man sagen. Er hat gespielt, er sei ein Zauberer, ein Ritter und was es sonst noch alles gewesen sein mag; manchmal tat er Dinge, die ich nicht gern sah. Jedenfalls wußte ich gestern abend, lange bevor er nach Kaninchen und dergleichen fragte, daß dieser Herr der wahre Mr. Johnny war. Und er hatte gespürt, daß ich es wußte. Deshalb rief er mich ins Zimmer. Aber was sollte ich sagen?«
Page erinnerte sich an die Befragung nur zu gut. Aber es gab auch anderes, was ihm im Gedächtnis geblieben war, und er fragte sich, ob Elliot diese Dinge wohl erfahren hatte. Er warf einen Blick hinüber zu Madeline.
Inspektor Elliot schlug sein Notizbuch auf.
»Er hat sich also umgebracht. Hm?«
»Ja, Sir.«
»Haben Sie gesehen, mit welcher Waffe er es tat?«
»Nicht wirklich, muß ich sagen.«
»Erzählen Sie mir bitte genau, was Sie gesehen haben. Sie sagen zum Beispiel, Sie seien im Grünen Zimmer gewesen, als es geschah. Wann sind Sie dorthin gegangen, und warum?«
Knowles überlegte.
»Das können zwei oder drei Minuten gewesen sein, bevor es geschah …«
»Neun Uhr siebenundzwanzig oder neun Uhr achtundzwanzig? Welches von beiden?« fragte Inspektor Elliot mit einer Leidenschaft für das exakte Detail.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Sir. Ich habe nicht auf die Uhrzeit geachtet. Ich war in der Eingangshalle in der Nähe des Speisezimmers geblieben, für den Fall, daß ich gebraucht wurde, obwohl ja niemand dort war außer Mr. Welkyn. Dann kam Mr. Nathaniel Burrows aus dem Wohnzimmer und fragte, wo er eine Taschenlampe finden könne. Ich erinnerte mich, daß der verstorbene Herr eine solche Lampe im Grünen Zimmer aufbewahrte, das er als eine Art Arbeitszimmer nutzte, und machte mich auf den Weg. Ich habe seither erfahren« – der Tonfall verriet, daß Knowles seine Auskunft nun als Zeugenaussage verstand –, »daß Mr. Burrows eine Lampe in der Schublade des Tisches in der Halle fand; ich wußte allerdings nicht, daß sie dort war.«
»Erzählen Sie weiter.«
»Ich bin nach oben und in das Grüne Zimmer gegangen …«
»Haben Sie das Licht eingeschaltet?«
»Nicht gleich«, antwortete Knowles ein wenig überrascht. »Nicht sofort. Es gibt in dem Zimmer keinen Schalter an der Tür. Das Licht wird an der Lampe angeschaltet. Der Tisch, in dem ich die Taschenlampe vermutete, steht zwischen den Fenstern. Dorthin begab ich mich, und auf dem Weg warf ich einen Blick nach draußen.«
»Durch welches Fenster?«
»Das rechte, zum Garten hin.«
»Stand das Fenster offen?«
»Jawohl, Sir. Es war folgendermaßen. Ihnen wird sicher aufgefallen sein, daß an der Rückseite der Bibliothek Bäume stehen; aber sie sind beschnitten, damit sie nicht die Sicht aus den Fenstern des oberen Stockwerks nehmen. Die meisten Räume im Herrenhaus sind fünfeinhalb Meter hoch – außer im neuen Flügel, der ja kaum mehr als ein Puppenhaus ist –, und damit hat man für die Bäume schon eine gute Höhe, ohne daß sie noch vor die Fenster des Grünen Zimmers wachsen. Deshalb heißt es überhaupt das Grüne Zimmer, weil man von dort über die Baumkronen blickt. Mit anderen Worten, ich war ein gutes Stück oberhalb des Gartens und sah von oben herab.«
Hier erhob Knowles sich von seinem Stuhl und beugte sich weit vor. Es war eine Bewegung, die ihm ungewohnt war, und bereitete ihm sichtlich Schmerzen, doch seine Stimmung war so grimmig, daß er die Haltung auch bei den folgenden Worten beibehielt.
»Da stand ich also. Vor mir das Laub der Bäume, das von unten von den Lichtern der Bibliothek beleuchtet wurde.« Er machte eine ausholende Handbewegung. »Dann der Garten, jede Hecke und jeder Pfad deutlich zu erkennen, mit dem Teich im Mittelpunkt. Das Licht war nicht schlecht, Sir. Ich habe Leute schon bei weniger Licht Tennis spielen sehen. Unten stand Sir John – oder der Herr, der sich so nannte –; er stand am Teich, die Hände in den Taschen.«
Hier beendete Knowles seine dramatische Einlage und setzte sich wieder.
»Das ist alles«, sagte er, ein wenig außer Atem.
»Das ist alles ?« fragte Inspektor Elliot.
»Ja, Sir.«
Elliot, von diesem unerwarteten Schluß verblüfft, starrte ihn an.
»Aber was ist dann geschehen? Deswegen sind Sie doch hier – um mir das zu erzählen!«
»Es war so. Ich dachte, ich hätte eine Bewegung unten in den Bäumen gehört und sah hinunter. Als ich den Blick wieder hob …«
»Wollen Sie damit etwa sagen«, sagte Elliot sehr ruhig und beherrscht, »daß auch Sie nicht gesehen haben, was wirklich geschah?«
»Nein, Sir. Ich habe nur gesehen, wie er vornüber in den Teich fiel.«
»Ja doch; aber was sonst noch?«
»Nun, Sir, mit Sicherheit hätte die Zeit nicht gereicht, daß jemand – Sie wissen, was ich meine, Sir –, daß jemand ihm dreimal die Kehle durchschnitten hätte und dann davongelaufen wäre. Unmöglich. Er war allein, vor der Tat und auch danach. Und deshalb muß es Selbstmord gewesen sein.«
»Womit hat er sich umgebracht?«
»Mit einer Art Messer, würde ich vermuten.«
»Würden Sie vermuten. Haben Sie das Messer gesehen?«
»Nein, nicht wirklich.«
»Haben Sie es in seiner Hand gesehen?«
»Nicht wirklich. Dazu war es dann doch zu weit fort. – Sir«, entgegnete Knowles, als ermahne er sich selbst, daß er schließlich ein Mann von Würde war, und richtete sich auf, »ich versuche Ihnen so wahrheitsgetreu wie nur irgend möglich zu schildern, was ich gesehen habe …«
»Dann sagen Sie mir, was er anschließend mit dem Messer gemacht hat. Hat er es fallenlassen? Oder was sonst?«
»Ich habe es nicht bemerkt, Sir. Glauben Sie mir. Ich habe nur auf ihn geachtet, und an seiner Vorderseite schien etwas zu geschehen.«
»Könnte er das Messer fortgeworfen haben?«
»Das wäre möglich. Ich weiß es nicht.«
»Wenn er es geworfen hätte – hätten Sie es gesehen?«
Knowles überlegte lange. »Das käme darauf an, wie groß das Messer war. Und es gibt Fledermäuse in dem Garten. Und manchmal, Sir, erkennt man einen Tennisball erst, wenn er …« Nun sah man ihm an, wie alt er war. Sein Gesicht verfinsterte sich, und einen Augenblick lang fürchteten sie, er werde in Tränen ausbrechen. Doch als er wieder die Stimme erhob, sprach er mit Würde. »Ich bitte um Verzeihung, Sir. Wenn Sie mir nicht glauben, habe ich dann Ihre Erlaubnis zu gehen?«
»Ach, verdammt noch mal, darum geht es doch nicht!« rief Elliot mit der Ungezwungenheit der Jugend, und seine Ohren röteten sich ein wenig. Madeline Dane, die während der ganzen Zeit kein Wort gesagt hatte, betrachtete ihn mit dem Anflug eines Lächelns.
»Nur noch eine weitere Frage, zumindest vorerst«, fuhr Elliot nun wieder sachlich fort. »Wenn Sie einen guten Überblick über den gesamten Garten hatten, haben Sie dann noch jemand anderen dort gesehen, im Augenblick des – Angriffs?«
»Als es geschah, Sir? Nein. Unmittelbar darauf habe ich allerdings das Licht im Grünen Zimmer eingeschaltet, und bis dahin waren schon mehrere Personen hinaus in den Garten gekommen. Aber vorher, als die Tat – doch, Sir, doch; ich bitte um Verzeihung. Da war jemand!« Wieder erhob Knowles den Zeigefinger und legte die Stirn in Falten. »Es war jemand draußen, als es geschah. Ich habe ihn gesehen! Erinnern Sie sich, daß ich gesagt habe, ich hätte ein Geräusch unten in den Bäumen gehört, vor den Bibliotheksfenstern?«
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