»Und was war damit?«
»Ich blickte hinunter. Das war es ja, was mich ablenkte. Ein Herr stand dort unten und sah durch das Fenster in die Bibliothek hinein. Ich konnte es deutlich sehen, denn die Zweige der Bäume reichen natürlich nicht bis ganz an das Fenster heran. Er stand dort und spähte hinein.«
»Wer war es?«
»Der neu hinzugekommene Gentleman, Sir. Der echte Mr. Johnny, den ich von früher kannte. Der Herr, der sich jetzt Mr. Patrick Gore nennt.«
Keiner sagte ein Wort.
Elliot legte nachdenklich seinen Bleistift ab und blickte hinüber zu Dr. Fell. Der Doktor hatte sich nicht gerührt; man hätte denken können, er schliefe, wäre nicht das Funkeln des einen halb geöffneten Auges gewesen.
»Habe ich das recht verstanden?« fragte Elliot. »Zum Zeitpunkt des Angriffs oder Mords oder Selbstmords oder wie wir es nennen wollen, konnten Sie Mr. Patrick Gore vor den Fenstern der Bibliothek stehen sehen?«
»Jawohl, Sir. Eher auf der linken Seite, nach Süden hin. Deswegen konnte ich ja sehen, wer es war.«
»Würden Sie das beschwören?«
»Aber gewiß, Sir«, antwortete Knowles mit großen Augen.
»Das war derselbe Zeitpunkt, zu dem man die Geräusche hörte, das Schlurfen, das Platschen und so weiter?«
»Jawohl, Sir.«
Elliot nickte auf eine nüchterne Art und blätterte in seinem Notizbuch. »Ich möchte Ihnen ein paar Sätze aus Mr. Gores Aussage vorlesen. Er spricht vom selben Augenblick. Hören Sie gut zu. ›Zuerst war ich auf dem vorderen Rasen und rauchte. Dann ging ich an der Südseite des Hauses entlang zum Garten hier. Ich habe keine Laute gehört außer dem Platschen, und auch das nur sehr leise. Ich glaube, es war, als ich gerade um die Hausecke kam.‹ Weiter sagt er noch, daß er sich an die abgelegenen Pfade am Südende des Gartens gehalten habe. – Nun sagen Sie uns, daß er in dem Moment, in dem das Platschen zu hören war, direkt unter Ihnen gestanden und zum Bibliotheksfenster hineingesehen habe. Seine Aussage widerspricht dem.«
»Ich kann nichts für das, was er Ihnen gesagt hat, Sir«, antwortete Knowles hilflos. »Es tut mir leid, aber so ist es. Ich habe ihn gesehen.«
»Und was tat er, nachdem Sie Sir John in den Teich fallen sahen?«
»Das kann ich nicht sagen. In dem Augenblick blickte ich ja zum Teich hinüber.«
Elliot zögerte, murmelte etwas vor sich hin, dann sah er Dr. Fell an. »Haben Sie noch Fragen, Doktor?«
»Die habe ich«, sagte Dr. Fell.
Er richtete sich auf und strahlte Madeline an. Sie lächelte zurück. Dann hob er an, wobei er auch Knowles mit einem wohlwollenden Blick bedachte.
»Es gibt da eine Reihe von kniffligen kleinen Fragen, die Ihre Theorie aufwirft, mein Lieber. Nicht zuletzt die Frage danach, wer das Heft mit den Fingerabdrücken stahl, wenn Patrick Gore der wahre Erbe ist, und warum. Aber lassen Sie uns zuerst bei dem lästigen Thema Mord kontra Selbstmord bleiben.« Er überlegte. »Sir John Farnleigh – der Tote, meine ich – war Rechtshänder, nicht wahr?«
»Rechtshänder? Ja, Sir.«
»Sie hatten den Eindruck, daß er das Messer in der rechten Hand hielt, als er sich die Kehle durchschnitt?«
»Unbedingt, Sir.«
»Ah ja. Hmpf. Jetzt möchte ich gern wissen, was er mit seinen Händen tat, nach jenem seltsamen Anfall am Teich. Machen Sie sich keine Gedanken um das Messer! Das Messer war nicht gut genug zu sehen, da kann man nichts machen. Sagen Sie mir nur, was er mit den Händen tat.«
»Nun, Sir, er hielt sie sich an den Hals – etwa so.« Knowles führte es vor. »Dann bewegte er sie ein wenig, und danach riß er sie bis hoch über den Kopf und breitete sie aus.« Auch das illustrierte Knowles und spreizte die Arme weit. »Das war, unmittelbar bevor er in den Teich fiel und sich dort zu winden begann.«
»Er hat die Arme nicht gekreuzt? Er hob die Arme lediglich und streckte sie dann zur Seite? Verstehe ich das recht?«
»So war es, Sir.«
Dr. Fell nahm seinen Krückstock vom Tisch und hievte sich auf die Füße. Er hinkte hinüber zum Tisch, nahm das Päckchen Zeitungspapier und schlug es auf und zeigte Knowles das blutbefleckte Taschenmesser.
»Es sähe also folgendermaßen aus«, fuhr er fort, »wenn wir uns vorstellen, daß es Selbstmord war. Farnleigh hatte das Messer in der rechten Hand; er macht keine weitere Bewegung, sondern streckt nur beide Arme weit aus. Selbst wenn er mit der linken Hand die andere unterstützt hätte, hätte er den Griff in der rechten gehabt. Als er die Arme in die Höhe wirft, wirft er das Messer weit von sich. Das ist nicht unmöglich. Aber kann mir jemand erklären, wie es kommt, daß das Messer dann in der Luft seine Richtung ändert, hoch über den Teich geflogen kommt und etwa drei Meter links davon in die Hecke fällt? Und all das, nachdem er sich gerade nicht eine, sondern drei tödliche Wunden beigebracht hat? Das stimmt doch einfach nicht.«
Offenbar bemerkte er gar nicht, daß er die Zeitung mit dem gräßlichen Beweisstück Madeline fast unter die Nase hielt; er sah es nur mit gerunzelter Stirne an. Dann betrachtete er den Butler.
»Andererseits – wie können wir es wagen, dem Zeugnis eines solchen Mannes zu mißtrauen? Er sagt, Farnleigh stand allein am Teich, und es gibt einiges, was diese Aussage stützt. Nathaniel Burrows neigt zu derselben Ansicht. Lady Farnleigh, die unmittelbar nach dem Platschen auf den Balkon gelaufen kam, sah niemanden am Teich oder in der näheren Umgebung. Zwei Möglichkeiten haben wir zur Auswahl. Auf der einen Seite hätten wir einen nicht ganz glaubwürdigen Selbstmord; auf der anderen aber leider einen mehr als nur ein wenig unmöglichen Mord. Würde wohl einer von Ihnen so freundlich sein und mir einen Rat geben?«
Auch wenn Dr. Fell noch so energisch, ja geradezu heftig gesprochen hatte, war es doch ein Selbstgespräch. Er erwartete keine Antwort auf seine Frage und bekam auch keine. Eine Weile lang stand er nur da und kniepte die Bücherregale an. Er erwachte offenbar erst wieder, als Knowles ein ängstliches Hüsteln wagte.
»Bitte um Verzeihung, Sir.« Er nickte in Richtung Messer. »Ist das die …«
»Wir vermuten es. Es fand sich in der Hecke links vom Teich. Was meinen Sie, wie verträgt sich das mit Selbstmord?«
»Das weiß ich nicht, Sir.«
»Haben Sie das Messer schon einmal gesehen?«
»Ich kann mich nicht entsinnen, Sir.«
»Oder Sie, Miss Dane?«
Madeline, auch wenn sie verblüfft und ein wenig schockiert schien, verneinte mit einem ruhigen Kopfschütteln. Dann beugte sie sich vor. Wieder fiel Page auf, wie das breite Gesicht und eine gewisse Grobheit der Nase ihre Schönheit nicht minderten, sondern gar noch steigerten. Er suchte immer nach Vergleichen oder Bildern, wenn er sie sah, und er fand etwas Mittelalterliches in ihr, etwas in den schmalen Augen oder der vollen Lippe, eine innere Ruhe, die an Rosengarten oder Turmfenster denken ließ. Das Sentimentale des Vergleichs mußte man ihm nachsehen, denn er sah es tatsächlich und glaubte daran.
»Eigentlich sollte ich ja gar nicht hier sein«, sagte Madeline mit einem geradezu bittenden Unterton, »und ich mische mich in Dinge ein, die mich nichts angehen. Aber – tja, ich fürchte, es ging nicht anders.« Sie lächelte Knowles an. »Ob Sie wohl so freundlich sein und draußen im Wagen auf mich warten würden?«
Knowles verneigte sich, ein wenig bekümmert, und war fort. Unerbittlich fiel der graue Regen.
»Ganz recht«, sagte Dr. Fell, setzte sich wieder und faltete die Hände über dem Griff seines Stockes. » Sie waren es, der ich einige Fragen stellen wollte, Miss Dane. Was halten Sie von Knowles’ Ansichten? Was den echten Erben angeht, meine ich.«
»Nur daß es weit schwieriger ist, als man gedacht hätte.«
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