»Salbach ist ebenso dem Gesetz verantwortlich wie du, Grella. Es gibt ein paar Fragen, die du zu beantworten hast, und zwar sofort. Du wußtest, daß dein früherer Mann Dacan mit einer besonderen Absicht nach Ros Ailithir gekommen war?«
»Wieviel weißt du wirklich?« fragte Grella ein wenig ängstlich.
»Ich weiß, daß du einmal mit Dacan verheiratet warst.«
»Das muß dir Mugron erzählt haben. Es war ein blöder Zufall, daß er mich in Cuan Doir gesehen hat.«
»Er sah dich dort mit Schwester Eisten«, sagte Fidelma ruhig. Grella ging nicht darauf ein.
»Was spielt das für eine Rolle? Ich habe dir mein Verhältnis zu Salbach erklärt.«
»Warum hast du Schwester Eisten zu Salbachs Burg mitgenommen?«
»Salbach hat mich darum gebeten. Er hatte gehört, daß Eisten ein Waisenhaus in Rae na Scrine führte. Er wollte sie und die Kinder kennenlernen. Er wußte, daß ich mit ihr befreundet war.«
»Und hat sie die Kinder mitgebracht?« fragte Fidelma.
»Nein, sie begleitete mich nach Cuan Doir, weigerte sich aber, die Kinder mitzunehmen, wegen der Gelben Pest.«
»War Salbach verärgert, als sie ohne die Kinder kam?«
Grella sah sie neugierig an.
»Weshalb hätte er sich darüber ärgern sollen?«
Fidelma lehnte sich zurück und schwieg einen Moment.
»Weißt du, daß Eisten ermordet worden ist?«
Grellas Gesicht wurde plötzlich zu einer starren Maske. Es war offensichtlich, daß sie es erfahren hatte, und Fidelma merkte, daß die Bibliothekarin hinter der Maske sichtlich erschüttert war.
»Ich habe es erst vor ein paar Tagen gehört.«
»Nicht früher?«
Sie schüttelte den Kopf, und irgendwie spürte Fidelma, daß sie die Wahrheit sagte.
»Es scheint dir nahezugehen. Du sagtest, ihr wart befreundet. Wie eng?«
»Seit Eisten zu Anfang des Jahres bei mir in der Bibliothek Studien trieb, waren wir Seelenfreundinnen.«
Seelenfreundinnen! Ja, Eisten hatte Fidelma erzählt, daß sie eine Seelenfreundin in der Abtei besaß. Was hatte Eisten Fidelma gefragt, als sie sich zum letztenmal sahen? Kann eine Seelenfreundin das Vertrauen brechen?
»Ihr hattet also kaum ein Geheimnis vor einander?«
»Du weißt, was eine anamchara bedeutet«, erwiderte Grella kühl. Fidelma sah ihrem Gesicht an, daß sie dazu nichts weiter erfahren würde. Sie wechselte also das Thema. »Du hast mir, als ich bei dir in der Bibliothek war, schon gesagt, daß du wußtest, woran Dacan arbeitete. Aber du hast mir nicht gesagt, daß er auf der Suche nach den Nachkommen des ursprünglichen Königshauses von Osraige war.«
Grella warf Fidelma einen beunruhigten Blick zu.
»Woher weißt du das?« fragte sie.
»Ich habe Dacans Aufzeichnungen gelesen.«
Grella hob die Hand, als wolle sie sich an die Kehle fassen.
»Du ... du hast sie gesehen?«
Fidelma schaute sie prüfend an.
»Ich habe dein Zimmer durchsucht, Grella. Es war dumm von dir, anzunehmen, du könntest die Pergamente verstecken oder mir die Texte der Ogham-Stäbe falsch deuten.«
Sie hatte gedacht, Grella werde alles heftig abstreiten, doch zu ihrem Erstaunen zuckte sie nur die Achseln.
»Ich dachte, niemand würde die Pergamente und die Stäbe finden. Ich glaubte, ich hätte sie gut versteckt. Ich wollte sie vernichten.«
»Du wußtest nicht, daß ich sie schon vor einer Woche an mich genommen hatte?«
»Ich habe dir doch bereits gesagt, daß ich seitdem nicht mehr in der Abtei war.«
Fidelma beließ es für den Augenblick dabei. »Nun, du wußtest also, daß Dacan den Erben Illans suchte, der Anspruch erheben konnte, der rechtmäßige Anwärter auf das Kleinkönigtum von Osraige zu sein?«
»Das habe ich bereits zugegeben«, bestätigte Grella.
»Und du hast Salbach davon erzählt?«
Sie zuckte verlegen die Schultern, gab aber keine Antwort.
»Der gegenwärtige König von Osraige, Scandlan, ist Salbachs Vetter, nicht wahr? Also müßte Salbach ein Interesse daran haben, dafür zu sorgen, daß man den Sohn Illans nicht findet.«
»Ich dachte nur, Salbach sollte es wissen, daß jemand nach Illans Nachkommen forscht«, antwortete Grella. »Ich wollte weitere Kriege in Osraige verhindern. Als Illan versuchte, Scandlan zu stürzen, wurde viel Blut vergossen.«
»Also hast du Salbach von Dacan erzählt. Salbach begriff, daß Laigin wieder die Herrschaft über Osrai-ge gewinnen könnte und vielleicht einen König einsetzen würde, der auf Laigin hörte statt auf Muman.«
»Wenn du meinst«, bemerkte Grella gleichgültig.
»Dacan stellte also eine Gefahr dar für Salbachs Familie in Osraige. War das der Grund, warum du deinen früheren Gatten ermordet hast?«
Einen Augenblick schien Grella zutiefst betroffen.
»Wer beschuldigt mich, ihn getötet zu haben?« fragte sie.
»Die Fesseln, die man ihm angelegt hatte, bestanden aus blaurotem Leinen. Besitzt du einen blaurot gestreiften Rock?«
»Natürlich nicht.« Das klang nicht gerade überzeugend.
»Wenn ich dir nun sage, daß ich bei der Durchsuchung deines Zimmers einen blauroten Leinenrock gefunden habe, von dem ein Stück abgerissen war, das genau den Fesseln entsprach, mit denen man Dacan gebunden hatte, bevor er getötet wurde, behauptest du dann immer noch, daß er dir nicht gehört?«
Grella lief rot an.
»Hast du so einen Rock?« drang Fidelma in sie. »Sag lieber die Wahrheit.«
Grella ließ resigniert die Schultern sinken.
»Das ist schon mein Rock, aber ich habe ihn nicht getragen, seit ich nach Ros Ailithir kam. Ich wollte ihn den Armen geben, aber . « Sie schaute Fidelma fest in die Augen. »Ich habe vielleicht das Vertrauen des alten Dacan gebrochen und Salbach verraten, wonach er forschte, denn ich glaubte, dazu wäre ich berechtigt, aber ich habe ihn nicht getötet. Warum sollte man Dacan ermorden? Er hätte Salbach zu Illans Erben geführt, und das war es, was Salbach wollte.«
Fidelma erkannte die Logik ihrer Argumente. Trotzdem fuhr sie fort: »Du streitest ab, daß du in den letzten Tagen noch einmal in die Abtei zurückgekehrt und in das Zimmer des Abts gegangen bist, um Beweismaterial aus seiner Truhe zu entwenden?«
Grella starrte sie verständnislos an.
Fidelma hatte darauf vertraut, daß Grella vielleicht nicht die Schuldige sei, aber genug wissen müßte, um erkennen zu lassen, wer es war, und daß sie auf die Beschuldigung, verstärkt durch das Beweismaterial, über das Fidelma verfügte, mit einem Geständnis reagieren würde. Das schien jedoch nicht zum Ziel zu führen.
»Du hattest erfahren, daß ich einen Beutel mit Beweismaterial in der Truhe des Abts zurückgelassen hatte?« setzte sie sie dennoch weiter unter Druck.
»Auf keinen Fall«, antwortete Grella. »Wie sollte ich denn, wenn ich nicht einmal wußte, daß du etwas aus meinem Zimmer mitgenommen hattest? Ich habe dir doch schon gesagt, daß ich in der letzten Woche nicht mehr in der Abtei war.«
»Du hast einen merkwürdigen Zeitpunkt gewählt, die Abtei zu verlassen. Das erweckt irgendwie Verdacht, meinst du nicht auch?«
»Es war Salbachs Vorschlag, daß ich an dem Abend mit ihm gehen sollte. Zu lange schon hatte ich meine Liebe zu ihm verheimlicht. Es wurde Zeit, daß wir uns offen dazu bekannten.«
»Entschuldige, wenn ich mich wiederhole, aber die Wahl des Zeitpunkts ist seltsam.«
»Ich habe Dacan nicht ermordet«, erwiderte Grella fest.
»Dann erkläre mir, warum du Dacans Aufzeichnungen versteckt hast.«
»Das ist nicht so schwierig. Ich wollte nicht, daß jemand anders erfährt, woran Dacan arbeitete. Es wäre besser, wenn die Leute von Laigin den Sohn Illans nicht fänden. Dann können sie ihn nicht dazu benutzen, Salbachs Vetter zu stürzen.«
»Und Salbach war dir dankbar?«
»Ich liebe Salbach.«
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