Eadulf log nicht. Er behielt nur für sich, daß der arme Mönch gestorben war, ehe er seine Mörder benennen konnte.
Clydogs Augen verengten sich. Prinz Cathen lehnte sich auf seinem Stuhl vor.
»Streitest du immer noch alles ab, Clydog?«
Der Prinz von Ceredigion schob verächtlich das Kinn vor. »Es ist Krieg, das ist alles«, sagte er plötzlich, als wolle er alle üblen Taten damit abtun.
Auf Cathens Gesicht zeichnete sich Zorn ab. »Krieg? Die Mönche des Klosters Llanpadern sind ermordet worden! Mein eigener Bruder, Rhun, der ehrwürdige Pater Clidro, den ich sehr gut kannte, und andere sind geopfert worden von jenen, die dieses teuflische Ränkespiel ausgeheckt haben! Blutvergießen folgt auf Blutvergießen! Haben du und dein Vater Artglys wirklich geglaubt, daß dieser verworrene Plan funktionieren würde? Selbst wenn die Krieger von Ceredigion in Dyfed einmarschiert wären, meinst du etwa, daß niemand in diesem Königreich aufgestanden wäre, sobald sich Artglys zum Herrscher von Dyfed erklärt hätte?«
»Der Plan war noch ausgeklügelter«, warf Fidelma mit leiser Stimme ein.
»Noch ausgeklügelter?« fragte Cathen. »Inwiefern?«
»Der Plan benötigte jemanden innerhalb von Dyfed, um die Unterstützung der Leute hier zu gewinnen. Es gibt mehrere kleine Verräter, die bereit waren, sich an Ceredigion zu verkaufen. Zum Beispiel Iestyn.«
»Ich bin kein Verräter!« rief Iestyn von seinem Platz aus, wo ihn Cathens Männer immer noch festhielten. »Gwlyddien ist ein Schwächling. Es ist an der Zeit, daß wir einen neuen Herrscher bekommen.«
Fidelma ignorierte ihn, gab aber Cadell ein Zeichen.
Kurz darauf führte Cadell einen hochgewachsenen Mann herein; es war Corryn, der immer noch seinen Kriegshelm trug.
»Nimm den Helm ab«, befahl sie ihm.
Als Corryn zögerte, tat es Cadell selbst.
Cathen sprang von seinem Amtsstuhl auf. Er hatte eine Hand auf sein Herz gelegt und starrte Corryn an. Der Geächtete, auf dessen Kopf nun eine Tonsur sichtbar wurde, blickte ihm mit violetten Augen zynisch entgegen.
Fidelma schaute voller Genugtuung zu Eadulf, ehe sie Corryn fragte: »Und wie möchtest du vor diesem Gericht angesprochen werden? Als Corryn, die Spinne, als Bruder Rhun von Llanpadern oder als Prinz Rhun von Dyfed?«
Gleichgültig zuckte Corryn mit den Schultern. »Das spielt keine Rolle. Es sieht so aus, als seien wir bei einem Schachmatt angelangt . Zumindest vorerst.«
Fidelma wandte sich an Prinz Cathen. »Wir tappen nicht mehr im dunkeln. Das letzte Rätsel ist gelöst«, verkündete sie. »Warum beunruhigte Clydogs Erscheinen die Mönche nicht? Warum gab es keinerlei Anzeichen für eine Verteidigung im Kloster? Weil Bruder Rhun seine Macht über die Brüder ausspielte und sie überredete, sich Clydog und seinen Männern kampflos zu fügen. An seinen Händen klebt ihr Blut.«
Cathen ließ sich betroffen auf seinen Stuhl sinken. Er betrachtete seinen Bruder voller Widerwillen und Qual. »Stimmt das, Rhun? Hast du dich mit Ceredigion verbündet, dem Feind dieses Königreiches, um deinen Vater zu stürzen und an die Macht zu gelangen? Ich kann es immer noch nicht glauben. Hast du wirklich diese schreckliche Verschwörung unterstützt?«
Corryn lächelte schief. »Du warst stets so leichtgläubig, kleiner Bruder. Derjenige, der nicht in der Lage ist, für eine Weile ein Mißgeschick zu ertragen, der verdient auch kein Wohlergehen. Ich war fähig, mein Mißgeschick zu ertragen, als ich versuchte, den Preis zu erringen, den ich ersehnte. Lange habe ich diesen Anschlag vorbereitet. Deshalb habe ich den Königshof verlassen und vorgetäuscht, Mönch zu werden. Gott, wie habe ich mich in den folgenden Monaten in der Abgeschiedenheit des Klosters gelangweilt. Als ich endlich zu Clydog und dem Boten seines Vaters in den Wald von Ffynnon Druidion gerufen wurde, war ich so glücklich wie nie zuvor.«
Cathen schüttelte ungläubig den Kopf. Er konnte es nicht fassen. Dann verhärtete sich sein Gesicht. »Es heißt, daß es kein schlimmeres Verbrechen gibt als Vaterlandsverrat, Rhun. Du hast dich als Wolf im Schafspelz erwiesen. Ich muß dich vor unseren Vater bringen, damit er dich in deiner Bosheit und listigen Täuschung selbst sieht. Nur das verlängert deine Lebenszeit ein wenig. Wenn es nach mir ginge, würde man dich sofort von der nächsten Klippe ins Meer stürzen.«
Corryn schien das nicht zu beeindrucken. »Vielleicht wäre es besser für dich, wenn du das auch tätest. Dieses schwache Königreich kann sich nicht mehr lange gegen die ehrgeizigen Absichten von Ceredigion behaupten. Non semper erit aestas!«
Die Brüder funkelten sich mit ihren Blicken an, dann winkte Cathen seinen Männern zu und zeigte auf Corryn.
»Schafft mir ... den aus den Augen.«
Als der ehemalige Mönch zur Tür geführt wurde, rief Cathen ihm plötzlich hinterher: »Vielleicht solltest du dir, Rhun, diese Zeile von Seneca zu Herzen nehmen, die du eben zitiert hast. Sicher, es wird nicht immer Sommer sein. Der Tag der Abrechnung für dich kommt in Kürze. Sollen deine Freunde aus Ceredigion nur versuchen, uns jetzt anzugreifen. Wir sind gerüstet. Sie werden vertrieben werden, wie wir sie in der Vergangenheit immer vertrieben haben; wie Rauch im Wind werden sie vergehen.«
»Ich finde, du hast den Fall ausgezeichnet dargelegt, Eadulf«, lobte Fidelma ihren Gefährten.
Die Küste von Dyfed verschwand in der Ferne, als sie sich gegen die Heckreling des fränkischen Handelsschiffes lehnten, das nach Süden über die Bucht von St. Brides segelte. Es war ein beruhigendes Gefühl, zu spüren, wie die Wellen dumpf gegen den Schiffsrumpf schlugen, wie sich die verschwindende Küstenlinie mit den Wellen immer auf und ab bewegte, wie die dünnen Ledersegel knarrten, die für ihre Reise aufgezogen worden waren, wenn der wechselhafte Wind in sie fuhr. Der Kapitän hatte ihnen versprochen, daß sie erst wieder an der Insel Tanatos vor der Küste von Kent anlegen würden. So brauchten sie die nächsten Tage die Reise einfach nur zu genießen. Sie waren entspannt und glücklich.
»Du hattest ja die Fäden in der Hand«, gestand Eadulf. »Dir war die Ähnlichkeit zwischen Corryn und Cathen aufgefallen. Weshalb hast du vermutet, daß Corryn der Klosterbruder Rhun war? Wegen der Ähnlichkeit der beiden?«
»Nicht nur deswegen. Ich war mir sicher, Corryns Gesicht schon einmal gesehen zu haben. Diese irisierenden beinahe violetten Augen hätten mich schon früher darauf bringen können. Aber warum trug er stets diesen Helm? Offensichtlich um seine Tonsur zu verbergen.
Und dann die Art, wie er auftrat. Entsinnst du dich, er gab vor, Clydogs Stellvertreter zu sein, doch oftmals schien er die Entscheidungen zu treffen. Er war Clydog zumindest ebenbürtig. Meine Vermutung wurde bestätigt, als du mir die Worte des sterbenden Mönchs am Strand mitteiltest.«
Eadulf versuchte sich zu erinnern. »Ich dachte, der arme Kerl redete nur wirres Zeug.«
»Nein, er wollte dir sagen, daß sich das Böse in ihrer Mitte aufhielt. Die böse Spinne. Bruder Rhun war das Böse in ihrer Mitte. Er hatte den Spitznamen Cor-ryn angenommen, und was bedeutet der?«
»Spinne.«
»Genau«, sagte Fidelma. »Zum Glück hast du Sual-da wieder gesund gemacht. Er lieferte das noch fehlende Glied in der Kette der Beweise; denn ohne ihn hätten wir vielleicht nie erfahren, was mit dem Krieger der Hwicce geschah.«
»Ah, Thaec. Zumindest scheint er tapfer gestorben zu sein, und er konnte glauben, daß er in Walhall Einzug halten darf. Ich schätze, du hast recht. Ohne Sual-da hätte Clydog geschwiegen oder alles abgestritten. Wie hast du erraten, daß Clydog der Sohn von Art-glys ist?«
»Er konnte kein gewöhnlicher Geächteter sein. Wie Corryn war auch er belesen und gebildet. Dann erinnerte ich mich daran, daß Cathen erwähnte, Artglys hätte einen Sohn. Ich habe nur geraten, doch häufig trifft man damit die Wahrheit.«
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