»Wie erklärt das das Verschwinden der Klostergemeinschaft von Llanpadern?« fragte Fidelma.
»Die Krieger von Ceredigion haben uns schon vorher angegriffen und Geiseln genommen.«
»Du meinst also, daß Artglys von Ceredigion für das Geschehene irgendwie verantwortlich ist? Daß die Mönche bei einem Überfall verschleppt wurden?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich sage nur, es ist möglich, daß die Krieger von Ceredigion Llanpadern überfallen haben, um meinen Bruder Rhun als Geisel zu nehmen.«
»Möglich, aber nicht wahrscheinlich«, fügte sein Vater hinzu. »Rhun hat seinen Anspruch auf den Thron aufgegeben, als er Mönch wurde. Warum sollten sie ihn entführen? Um mich unter Druck zu setzen? Meine Feinde wissen, daß ich so schwach nicht bin. Mein Eid als König und das Wohl meines Volkes stehen bei mir an erster Stelle. Was die Überfälle unserer Feinde betrifft, nun, sächsische Schiffe überfallen auch unsere Küsten.«
»Was erwartest du genau von uns?« fragte Fidelma rasch, um so Eadulfs Verlegenheit wegen der Erwähnung der sächsischen Angriffe zu überspielen. »Kriegerische Auseinandersetzungen sind nicht gerade unsere Stärke.«
»Ich glaube, daß diese Angelegenheit rein gar nichts mit Ceredigion oder mit den Überfällen von Artglys an unseren Grenzen zu tun hat ...«, meldete sich Abt Tryffin zu Wort. Er blickte zu Cathen.
Fidelma bemerkte, daß Cathen am liebsten einen Disput eröffnet hätte. Schnell sagte sie: »Llanpadern liegt nördlich von hier? Wie weit entfernt ist es von der Grenze zum Königreich von Ceredigion?«
»Mindestens zwanzig Meilen oder mehr.«
»Ein Überfall von so weit her in euer Gebiet hinein? Ein Feind kann eine so lange Strecke kaum unbemerkt überwinden«, gab Fidelma zu bedenken.
»Vielleicht hat Artglys von See aus angegriffen? Er könnte mit seinen Leuten nur ein paar Meilen von Llanpadern entfernt an Land gegangen sein«, erwiderte Cathen mit Nachdruck.
»Ja, könnte, aber woher wissen wir das?« stellte Fidelmanachdenklich fest.
Der Abt machte den Eindruck, als wolle er etwas sagen, sei sich aber nicht sicher, ob er seinem Prinzen widersprechen sollte. Fidelma bemerkte das.
»Ich bin der festen Überzeugung, daß deine Meinung zu dieser Sache dankbar aufgenommen wird, Abt Tryffin. Wie also denkst du darüber?«
Der Abt schien nun all seinen Mut zusammenzunehmen. »Das Kloster liegt am Fuße der westlichen Hänge von Carn Gelli. Wenn die Krieger von Ceredigion das Kloster vom Meer aus angegriffen haben, dann hätten sie nur an wenigen Stellen der Küste anlegen können. Wo auch immer sie an Land gegangen wären, stets hätten sie noch einen Fußmarsch von drei Meilen zum Kloster vor sich gehabt. An ihrem Weg liegen zwei Ortschaften, dort hätte man eine feindliche Truppe bemerkt und sofort Alarm geschlagen. Pater Clidro und seine Gemeinschaft wären so vor den Angreifern gewarnt gewesen, noch ehe diese das Kloster erreicht hätten. Bruder Cyngar hat uns beschrieben, wie ordentlich die Klostergebäude hinterlassen wurden. Ich kann deshalb nicht glauben, daß Krieger dort waren, die ihre sich zur Wehr setzenden Gefangenen weggeschleppt haben. Es gibt offenbar keine Anzeichen für einen Angriff, keine Leichen, nichts, das auf Gewalt hindeutet.«
Cathen lachte höhnisch, bis sein Vater ihm mit einer Handbewegung zu schweigen bedeutete.
Fidelma wartete einen Moment, doch als der König zu all dem schwieg, fragte sie den Abt: »Wie erklärst du dir das Verschwinden der Mönche?«
Abt Tryffins Blick wirkte gequält. »Christus ist mein Zeuge, Schwester, mir fällt nichts ein, das diesen Vorfall auf der Grundlage von Naturgesetzen deuten kann.«
Cathen johlte verächtlich. »Hexerei! Willst du damit sagen, daß alles auf Magie hinausläuft? Das gefällt mir nicht, Abt Tryffin. Es gibt keine übernatürlichen Kräfte. Du bist genauso auf dem Holzweg wie Bruder Cyngar! Die Kräfte des Bösen existieren nicht.«
»Dem würde ich nicht zustimmen.«
Alle wandten sich überrascht Fidelma zu, die leise ihren Einwand hervorgebracht hatte.
»Das Übernatürliche ist das Natürliche, was wir noch nicht ganz begreifen können. Und wie verhält es sich mit den Mysterien unseres Glaubens? Kommen sie uns nicht auch übernatürlich vor? Wenn wir meinen, daß es das Gute gibt, müssen wir auch das Böse akzeptieren.«
»Es gibt von Gott gestiftete Mysterien!« warf Cathen rechtfertigend ein.
»Und bist du Richter darüber, was von Gott gefügt ist und was nicht?« sagte Fidelma ruhig.
Cathen öffnete den Mund, als wolle er ihr widersprechen, doch dann machte er ihn wieder zu, da er keine Antwort parat hatte. Mit gerötetem Gesicht sagte er steif: »Verzeiht, ich muß mich wieder meinen Verpflichtungen widmen.« Damit verließ er den Raum.
Gwlyddien rutschte unruhig auf seinem Lehnstuhl hin und her, als die Tür zufiel.
»Ich bitte um Entschuldigung, offensichtlich habe ich Prinz Cathen verstimmt«, sagte Fidelma, auch wenn ihr Tonfall alles andere als entschuldigend war.
»Er ist mein jüngster Sohn und etwas hitzig«, murmelte der König. »Er wollte euch gegenüber nicht respektlos sein.«
»Dergleichen haben wir auch nicht angenommen«, erwiderte Fidelma. »Dieser rätselhafte Vorfall hat uns jedoch neugierig gemacht. Sicher werden wir erst in ein paar Tagen ein Schiff für unsere Weiterreise nach Canterbury finden, da könnten wir die Zeit bis zur Abfahrt eigentlich auch sinnvoll nutzen.«
König Gwlyddiens Gesicht hellte sich auf. »Also werdet ihr euch der Sache annehmen?«
Fidelma blickte zu Eadulf hinüber. Als der die widersprüchlichen Deutungen der Vorkommnisse durch Prinz Cathen, dessen Vater und den Abt vernommen hatte, war ihm sofort klar, daß Fidelma dem König die Bitte nicht abschlagen würde. Für Fidelma waren mysteriöse Fälle so unverzichtbar wie für andere Leute der Wein. Resigniert zuckte er mit den Schultern und hoffte, sie würde ihm seinen Unmut nicht von den Augen ablesen.
»Das werden wir«, erwiderte Fidelma, die das offensichtlich so in Ordnung fand.
»Dann habt ihr die Vollmacht des Königs«, erklärte Gwlyddien mit Erleichterung. »Alle eure Kosten werden von uns übernommen, und ganz gleich, welchen Lohn ihr verlangt, er soll euch in Gold oder Silber ausgezahlt werden, wie ihr es wünscht.«
»Sehr gut«, stimmte ihm Fidelma zu. »Aber wir benötigen eine Art Pfand, damit wir beweisen können, daß wir in deinem Auftrag handeln, etwas, das dein Siegel trägt; außerdem genügend Geld, um unsere Ausgaben während des Aufenthalts in diesem Königreich zu bestreiten. Sollten wir die Gründe für das seltsame Geschehen in Llanpadern erklären können, bekommen wir zehn Goldstücke. Falls wir keinen Erfolg haben, sind wir mit fünf Goldstücken zufrieden. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
»Dann wollen wir mit Bruder Cyngar sprechen. Außerdem müßt ihr uns einen Führer zur Verfügung stellen, der uns zum Kloster Llanpadern geleitet.«
Eadulf unterdrückte ein Stöhnen.
»Das macht uns keine Mühe«, entgegnete Abt Tryf-fin. »Könntet ihr euch schon morgen vormittag dorthin begeben?«
»Warum so rasch?« erkundigte sich Eadulf, der nichts überstürzen wollte.
»Ich erwähnte die beiden Ortschaften, die womöglich Alarm geschlagen hätten, falls man dort Krieger aus Ceredigion bemerkt hätte«, erwiderte Abt Tryffin. »Eine der beiden Ortschaften hat mich gebeten, ihnen einen barnwr, einen Richter, zu senden. Morgen wird sich Bruder Meurig, der dieses Amt innehat, dorthin auf den Weg machen. Ihr könntet ihn begleiten, er würde euch führen.«
»Eine ausgezeichnete Idee!« pflichtete ihm Gwlyd-dien bei.
Fidelma war nachdenklich geworden. »Warum hat dieser Ort ...?«
»Er heißt Llanwnda«, ergänzte der Abt.
»Warum hat Llanwnda« - ihr fiel die Aussprache ein wenig schwer - »um einen Richter gebeten? Ich vermute, ein barnwr hat die gleiche Position wie ein dalaigh in meinem Land? Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen dieser Bitte und dem Verschwinden der Mönche?«
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