»Hast du erfahren, auf welche Weise?«
»Auf welche Weise?« Mul schien einen Augenblick verwirrt. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Man sagte, Cild würde sich wie ein Besessener gebärden, habe die Mönche vertrieben, die an die ursprünglichen Regeln ihres Ordens glaubten, und sich den neuen Ideen der römischen Regel von Canterbury zugewandt. Er brachte viele um, die sich nicht mit ihm ändern wollten. Er trennte die verheirateten Geistlichen und verkaufte die Frauen in die Sklaverei. Die Abtei wurden allen Frauen verschlossen.«
»Davor hättest du uns warnen können«, schaltete sich Eadulf ein. »An dem Abend, als du uns zur Abtei fuhrst, hättest du uns warnen können.«
»Ihr wart Geistliche, die unbedingt zur Abtei wollten«, erwiderte Mul. »Weshalb sollte ich euch warnen? Ich bin kein Christ und habe kein Verlangen danach, einer zu werden, wenn ihr weiter nichts tut, als euch untereinander zu streiten und zu bekämpfen. Jedenfalls, wollte ich sagen, bewies Cild, daß er immer noch ein Kriegsherr war. Vor ein paar Monaten lockte er eine Schar von jungen Kriegern in die Abtei, die in die Kutten gekleidet wurden, die ihr Christen eingeführt habt, und die ganze Gegend nach Beute absuchen. Sie überfielen meinen Hof, und seitdem weiß ich, daß Böses in der Abtei haust.«
Er schwieg eine Weile, in Erinnerungen verloren.
»Was ist passiert?« fragte Fidelma leise.
Mul nahm den Faden wieder auf und sprach wie eingeübt, als müsse er seine Gefühle bezähmen.
»Ich war weit weg auf dem Markt, als sie kamen. Sie waren auf Beute aus. Meine Frau und die beiden Jungen waren hier. Als meine Frau versuchte, das bißchen, was wir besaßen, zu schützen, wurde sie erschlagen und die beiden Kinder mit ihr. Ich fand ihre Leichen da draußen, als ich zurückkehrte. Sie liegen gleich hinter der Scheune begraben.«
Eadulf hüstelte verlegen. »Woher wußtest du, daß die Männer des Abts sie erschlagen hatten?«
Mul stand auf und ging zu einem Schrank. Er öffnete ihn, nahm etwas heraus. Nach kurzem Zögern legte er es auf den Tisch. Es war ein Stück blutgetränkter Wollstoff und ein kleines metallenes Kruzifix an einer silbernen Kette.
»Das steckte in der geballten Faust meiner Frau. Sie hatte es ihrem Mörder abgerissen«, sagte Mul ruhig. »Da wußte ich, daß es die Mönche aus Aldreds Abtei waren, die mir an jenem Tag einen Besuch abgestattet hatten. Ich werde an Cild Rache nehmen, und wenn ich zehn Jahre oder zehnmal zehn Jahre darauf warten muß. Das habe ich beim Schwert Wotans geschworen.«
»Wann hat sich das alles ereignet?« wollte Eadulf wissen.
»Vor weniger als sechs Monaten. Gerade zu der Zeit waren die Männer in der Abtei erschienen, die jungen Krieger.«
Fidelma hatte das kleine Kruzifix in die Hand genommen, drehte es hin und her und zog die Brauen zusammen.
»Das ist eine irische Arbeit, keine sächsische«, stellte sie leise fest.
Mul zuckte die Achseln. »Viele Christen werden von deinem Volk ausgebildet, Frau. Cild hat sich im Königreich Connacht aufgehalten. Die Herkunft des Kreuzes bestätigt nur, was ich gesagt habe.«
Ohne weitere Bemerkungen reichte sie das Kreuz an Eadulf weiter. Es war ein kleines, reich emailliertes Stück auf Silbergrund. So etwas Kostbares trugen eher Damen des Laienstandes als Nonnen.
»Du sagst, das geschah vor ungefähr sechs Monaten?« erkundigte sich Fidelma.
»Am Fest der Sommersonnenwende«, brummte Mul.
»Sag mal«, fuhr Fidelma fort und schien wieder das Thema zu wechseln, »hast du Gelgeis, die Frau des Abts, einmal gesehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich wüßte. Vielleicht habe ich sie mal aus der Ferne gesehen. Ich hätte sie auch nicht erkannt, wenn sie mir gegenübergestanden hätte. Sie soll hübsch gewesen sein, mit blondem Haar und schönem Gesicht.«
»Hast du mal gehört, welche Art von Frau sie war?«
»Welche Art ...?« Er hielt inne und zog dann eine verächtliche Miene. »Sie war mit Cild verheiratet. Sagt das nicht genug? Man erkennt einen Menschen daran, mit wem er umgeht, und das gilt auch für den Ehepartner.«
»Du urteilst hart, Mul.« Eadulf seufzte. »Manchmal lernt man einen Menschen erst nach der Heirat richtig kennen.«
»Hast du jemals von dem Gerücht gehört, Cild habe seine Frau ermordet?« fragte Fidelma.
Muls Augen weiteten sich leicht, doch dann schüttelte er den Kopf.
»Ich habe nur gehört, daß sie in Hob’s Mire geraten ist. Viele Tiere und mehrere Menschen haben sich schon in dem Stück Moor verirrt und kamen nie wieder. Vielleicht war dieses Schicksal ein Segen für sie.«
»Du sagtest, du kanntest Bruder Botulf?« fragte Fidelma , ohne auf seine Bemerkung einzugehen.
»Ja.«
»Hast du dich mal mit ihm über Cild unterhalten?«
»Nachdem er in Ungnade in die Abtei zurückgeschickt wurde, habe ich ihn kaum noch gesehen. Er durfte sich nicht weit von dort entfernen.«
»Weshalb war er in Ungnade?« fragte Eadulf.
»Er unterstützte Aldhere gegen den König.«
»Warum tat er das?«
»Das weiß ich nicht. Aldhere entstammt derselben giftigen Wurzel wie sein Bruder. Ich hörte, er habe in einer Schlacht gegen die eindringenden Mercier den Vetter des Königs geopfert. Durch seine Feigheit starb der Vetter König Ealdwulfs. Botulf verteidigte Aldhe-re, und dafür befahl ihm der König, in Aldreds Abtei zurückzukehren, wo er in früheren Jahren Mönch gewesen war, dort zu bleiben und sie bei Todesstrafe nicht zu verlassen.«
»Du deutest an, daß du Aldhere für schuldig hältst. Heißt das, du glaubst, daß Botulf ein Lügner war?« fragte Eadulf mürrisch.
»Ich weiß nicht, aus welchem Grunde er Aldhere verteidigte. Soweit ich weiß, war Botulf ein guter Mensch. Vielleicht war er einfach irregeleitet. Aber ich hatte nie die Gelegenheit, mit ihm darüber zu sprechen.«
»Woher weißt du dann, daß Aldhere schuldig ist?« fragte Eadulf.
»Aus Taten, nicht aus Worten!« antwortete Mul barsch.
»Erkläre uns das«, bat Fidelma.
»Ganz einfach. Frag jeden hier herum. Aldhere und seine Leute sind eine Räuberbande. Sie stehlen von allen. Sie haben auch viele unschuldige Menschen eingeschüchtert und ihre Häuser niedergebrannt. Sind das die Taten eines guten Mannes, der dessen nicht schuldig ist, was man ihm vorwirft?«
Fidelma lehnte sich zurück und seufzte.
»Nun, es könnten auch die Taten eines Mannes sein, der um sein Überleben kämpft. Aber das Niederbrennen von Häusern unschuldiger Menschen paßt sicherlich nicht zu dem Charakter eines Mannes mit Grundsätzen.«
»Ich sage, ein Fluch über sie beide«, knurrte Mul. »Bruder Mönch oder Bruder Krieger, weißer Hund oder schwarzer Hund, Hunde sind sie beide.«
»Da magst du wohl recht haben. Es hilft uns nur nicht, der Wahrheit näher zu kommen«, sagte Eadulf verbittert.
Mul wandte sich ihm interessiert zu.
»Welche Wahrheit suchst du denn, gerefa?«
»Die Wahrheit darüber, wer meinen Freund Botulf umgebracht hat.«
Mul lehnte sich überrascht zurück.
»Du hast mir nicht gesagt, daß Botulf tot ist!«
Natürlich, fiel es Eadulf ein, Botulf war ja erst an dem Tage getötet worden, an dem Mul sie bei der Abtei absetzte.
»Das tut mir leid. Er wurde in der Abtei erschlagen.«
»Ich nehme an, dafür ist der Abt verantwortlich«, murmelte Mul bitter. »Ich hatte den Eindruck, man steckte ein Kaninchen in einen Stall voller Frettchen ... Ich meine, als Botulf in Cilds Abtei gesteckt wurde, nachdem er Cilds Bruder verteidigt hatte. Das hatte ihm Cild offensichtlich übelgenommen.«
»Was du sagst, hat eine gewisse Logik«, meinte Fidelma . »Weißt du etwas von irischen Mönchen in dieser Gegend?«
Mul schüttelte den Kopf.
»Ich weiß, daß sich ein paar hier verbergen. Sie weigern sich, die Entscheidungen von Whitby anzuerkennen und Canterbury zu gehorchen. Regeln! Christliche Regeln!« Er machte eine Geste, als wolle er ausspucken. »Wen schert das? In diesem Land werden wir die Tagundnachtgleiche im Frühjahr auch weiter nach der Göttin Eostre benennen, mögen andere sie auch als Pascha, die Auferstehung des neuen Gottes Christus, oder gar als Pasach feiern, das jüdische Passafest ... Es ist und bleibt die FrühjahrsTagundnachtgleiche.«
Читать дальше