Fidelma entnahm seinem Ton eine unterschwellige Bedeutung. Sie schaute ihn fest an und versuchte seinen durchdringenden Blick zu entschlüsseln.
»Warum sollte das so sein, Mul?« fragte sie leise.
Mul lehnte sich lächelnd zurück.
»Dein Gefährte, der gerefa Eadulf, ist ein Mensch, der zuerst reagiert und erst dann nachdenkt«, sagte er. »Das ist mir aufgefallen und Bragi auch.«
Bei Nennung seines Namens hob der Hund den Kopf.
Eadulfs Haltung wurde etwas steif.
»Erklär dich genauer, Mul«, forderte er.
»Ich wollte dich nur warnen, keine zu plötzlichen Bewegungen zu machen.« Mul lächelte immer noch. »Bragi mag das nicht. Er reagiert auch, doch das arme Tier hat keinen Verstand, mit dem er unterscheiden kann, ob die Bewegung in böser Absicht geschieht oder nicht. Ich möchte nicht, daß du körperlich auf das reagierst, was ich sagen will.«
Eadulfs Miene verfinsterte sich.
»Sprich weiter«, drängte ihn Fidelma. »Was willst du uns mitteilen, das uns erschrecken könnte?«
»Ein Reiter aus der Abtei hat die umliegenden Bauernhöfe und Dörfer aufgesucht und verkündet, daß der Abt eine Belohnung von drei Goldstücken auf eure Köpfe ausgesetzt hat. Er fordert jeden, der euch begegnet, auf, euch entweder gefangenzunehmen oder der Abtei euren Aufenthalt mitzuteilen. Drei Goldstücke scheinen mir ein großes Vermögen, vor allem für die armen Bauern dieser Gegend.«
Fidelma blickte Eadulf besorgt an. Er hatte mit den Händen die Tischkante gepackt, seine Kiefer waren zusammengepreßt, aber sonst hatte er sich nicht bewegt.
»Und welchen Grund gibt Abt Cild dafür an, daß er diese Belohnung aussetzt?« fragte Fidelma gelassen.
Mul erwiderte ihren ruhigen Blick.
»Das weißt du wahrscheinlich sehr gut, Frau. Du wirst der Hexerei beschuldigt und der gerefa hier als dein Helfershelfer.«
Eadulf hatte sich immer noch nicht bewegt, doch jetzt sprach er leise: »Wie du schon sagst, Mul, drei Goldstücke sind viel Geld.«
Der Bauer nickte selbstgefällig. »Mehr als ich in diesem Jahr verdienen werde und selbst noch das nächste Jahr dazugerechnet. Ja, das ist wirklich viel Geld. Mehr als ich wohl je auf einmal besitzen werde.«
»Und wir wissen, wie sehr du Geld liebst«, murmelte Eadulf. Seine Blicke schossen hin und her auf der Suche nach einem Mittel, sich zu verteidigen.
Der Hund hatte den Kopf gehoben, und seine Augen waren hellwach. Er hatte die unheimliche Fähigkeit der Hunde, in der kleinsten Veränderung des menschlichen Tonfalls die Stimmung zu erfassen.
Mul saß auf seinem Stuhl zurückgelehnt, ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht, den Becher mit Apfelwein in der Hand.
»Du scheinst sehr beunruhigt, gerefa«, sagte er milde.
»Beunruhigung ist eine vernünftige Reaktion, nachdem du zugegeben hast, daß dein Hauptinteresse dem Geld gilt und du wegen dieses Winters in tiefen finanziellen Schwierigkeiten steckst«, erwiderte Eadulf. »Ich werde dir sagen, weshalb du dieses Gold scheuen solltest ...«
Fidelma legte ihm leicht die Hand auf den Arm.
»Ich glaube nicht, daß Beredsamkeit etwas an Muls Absichten ändern kann. Publilius Syrus schrieb einmal, wenn Gold für eine Sache spricht, ist die Beredsamkeit machtlos.«
Mul kicherte anerkennend.
»Du hast Verstand und Witz, Frau. Der Fehler der Mönche und Nonnen ist, daß sie den Verhungernden Moral predigen. Halte einem Mann eine beredte Vorlesung über Gut und Böse und gib einem anderen Mann einen Penny, dann wirst du sehen, wer dich höher achtet.«
Es trat Schweigen ein, bis Fidelma ruhig fragte: »Was willst du also tun, Mul?«
Der Bauer goß sich wieder Apfelwein ein.
»Tun? Nichts.«
Einen Moment antworteten weder Eadulf noch Fidelma .
»Das verstehe ich nicht«, sagte Fidelma schließlich. »Willst du damit sagen, daß die drei Goldstücke keine Versuchung für dich sind?«
»Ach, eine Versuchung sind sie schon. Aber ich wäre nicht sicher, ob Abt Cild sie wirklich bezahlt, wenn er erreicht hat, was er will. Ich bezeichne ihn als Teufel. Lieber würde ich erfrieren, als mit ihm zu tun haben.«
Eadulf lehnte sich zurück und entspannte sich etwas.
»Treibst du ein Spiel mit uns, Mul?«
»Du, gerefa, hast selbst einen voreiligen Schluß gezogen. Du glaubtest, am Gold läge mir mehr als an meinen eigenen Grundsätzen. Warum sollte ich deine Irrtümer korrigieren?«
»Nun, nachdem du jetzt unsere Irrtümer korrigiert hast«, schaltete sich Fidelma ein, »sollte ich dir vielleicht erklären, wieso die Beschuldigungen des Abts falsch sind.«
Mul zuckte die Achseln. »Das wäre mir so oder so egal. Es gab Böses in der Abtei, bevor ihr dorthin kamt, und zweifellos wird es noch da sein, wenn ihr fort seid.«
»Bewirtschaftest du den Hof hier schon lange, Mul?« fragte Fidelma, worauf Eadulf sie ansah, überrascht von dem anscheinend plötzlichen Wechsel des Themas.
»Mein ganzes Leben lang. Frag deinen Gefährten, den jungen gerefa hier.« Er zeigte heiter auf Eadulf. »Mein Vater und sein Vater zogen einmal gemeinsam in den Krieg.«
»Dann hast du also viele Veränderungen in der Abtei erlebt?« vermutete Fidelma.
»Nicht so viele«, erwiderte Mul. »Ich war noch ein Junge, als die irischen Missionare in unser Land kamen und die Leute zum neuen Glauben bekehrten. Ich sah, wie sich die Abtei auf den Mauern der alten Burg erhob, die dort früher stand.«
»Und du kanntest die Mönche, die dort lebten, bevor Cild kam, Männer wie Botulf?«
Mul blinzelte einen Moment.
»Die meisten Leute in dieser Gegend kannten Bo-tulf.« Er schaute Eadulf an. »Du kanntest ihn besser als die anderen. Ich weiß noch, daß ihr als Jungs zusammen wart, wenn du dich wahrscheinlich auch nicht mehr an mich erinnerst.«
Fidelma beugte sich vor.
»Siehst du, Mul, ich würde gern etwas mehr darüber wissen, was Cild für ein Mensch ist und auch sein Bruder Aldhere. Ich möchte herausbekommen, was das Böse ist, das auf dieser Gegend lastet.«
Muls Miene verriet seinen Widerwillen.
»Von den beiden ist einer so schlimm wie der andere. Der eine ist ein Geächteter, der mordet und raubt außerhalb des Gesetzes. Der andere ist ein Tyrann und mordet und raubt im Namen des Gesetzes. Ein Fluch über alle beide.«
Eadulf wollte den Mund öffnen, doch ein Blick von Fidelma gebot ihm Schweigen.
»Ich meine, du solltest uns deine Geschichte erzählen, Mul, denn ich habe das Gefühl, du hast etwas zu berichten.«
Mul sah sie einen Moment fest an, dann zuckte er die Achseln.
»Du hast einen scharfen Verstand, wie ich schon gesagt habe. Ich erbte diesen Hof von meinem Vater. Als er vor ein paar Jahren starb, war ich verheiratet und hatte zwei prächtige Jungen. Es war ein guter Hof, und es war ein gutes Leben, wenn auch das Klima oft hart war. Dann änderte sich alles.«
»Wodurch änderte es sich?« fragte Fidelma, als er innehielt.
»Wodurch? Cild kam hier an. Vorher hatte ich noch nie von Cild gehört, aber als ich bald danach zum Markt nach Seaxmund’s Ham fuhr, erzählte mir jemand, er sei früher Kriegsherr an der Grenze zu Mercia gewesen. Es hieß, sein Vater habe ihn enterbt, deshalb sei er in ein Land namens Connacht jenseits des Meeres im Westen gegangen. Er kam mit einer Ehefrau zurück, die aus deinem Volk stammte.« Er nickte zu Fidelma hin.
»Du meinst Gelgeis?«
»Das war ihr Name. Cild und Gelgeis kamen zur Abtei, als Cild dort Abt wurde. Kurz darauf erzählte man mir, daß Cilds Bruder, ein Than, in Ungnade gefallen war. Es hieß, König Ealdwulf habe sich geweigert, dem Abt die Titel und Ländereien von Cilds Vater zu übergeben.«
»Sprich weiter.«
»Ein paar Monate blieb alles ruhig, und dann hörte ich, daß Gelgeis im Moor nahe der Abtei umgekommen sei .«
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