Neben mir schauderte Bethesda, aber ich war im stillen ganz froh über den Nebel. Wenn er sich bis zum Sonnenaufgang hielt, konnte ich die Stadt vielleicht unbeobachtet verlassen, unbemerkt selbst von Augen, die dazu engagiert waren, mich zu beobachten.
Der Stallmeister schlief noch, als wir eintrafen, aber ein Sklave erklärte sich bereit, ihn zu wecken. Zunächst war der Mann mürrisch; ich war eine Stunde früher gekommen als erwartet, und der Sklave hätte meine Abreise auch regeln können, ohne seinen Herrn zu wecken. Aber als ich ihm mein Ansinnen erläuterte und mein Angebot machte, war er plötzlich hellwach und zuvorkommend.
Für die nächsten beiden Tage würde er Bethesda in seinem Haus aufnehmen. Ich warnte ihn, sie nicht zu hart arbeiten zu lassen, da sie ihren eigenen Rhythmus habe und schwere Arbeit nicht gewohnt sei. (Das war eine Lüge, aber ich hatte nicht die Absicht, Bethesda für ihn bis an ihre Grenzen schuften zu lassen.) Wenn er sie zum Beispiel etwas nähen ließe, würde sie ihm mehr einbringen als ihre Unterbringung kostete.
Für diese Zeit wollte ich zwei kräftige Sklaven zur Bewachung meines Hauses. Er beharrte jedoch darauf, lediglich einen entbehren zu können. Ich war skeptisch, bis er den Jungen aus dem Bett scheuchte. Einen häßlicheren und größeren jungen Mann hatte ich noch nie gesehen. Ich hatte keine Ahnung, wo er wohl herkommen mochte. Er hörte auf den seltsamen Namen Scaldus. Sein Gesicht war wund und rot, von der heißen Sonne der vergangenen Woche verbrannt; sein Haar stand in strähnigen Büscheln von seinem Kopf ab und war von der gleichen Beschaffenheit und Farbe wie die Strohhalme, die daran hingen. Wenn seine schiere Größe nicht ausreichte, jeden Besucher einzuschüchtern, dann bestimmt sein Gesicht. Er sollte seinen Posten vor meiner Tür beziehen und ihn bis zu meiner Rückkehr nicht verlassen; eine Frau aus dem Stall würde ihm tagsüber Nahrung und Wasser bringen. Selbst wenn er ein Feigling oder nicht so stark war, wie er aussah, konnte er zumindest Alarm schlagen, wenn Einbrecher sich meinem Haus näherten. Was die Bezahlung anging, willigte der Stallmeister ein, meinen Kreditrahmen zu erweitern. Die Mehrkosten würde ich Cicero belasten.
Es bestand keine Notwendigkeit, zum Haus zurückzukehren. Ich hatte alles mitgebracht, was ich für die Reise brauchte. Ein Sklave holte Vespa aus dem Stall. Ich stieg auf, drehte mich um und sah, daß Bethesda mich mit verschränkten Armen anstarrte. Sie war mit dem getroffenen Arrangement offensichtlich nicht glücklich, wie ich an ihren dünnen Lippen und dem wütenden Flackern in ihren Augen erkennen konnte. Ich lächelte erleichtert. Sie begann sich bereits von dem Schock des vergangenen Abends zu erholen.
Ich verspürte den Drang, mich hinabzubeugen und sie zu küssen, selbst vor dem Stallmeister und seinen Sklaven; statt dessen wandte ich meine Aufmerksamkeit Vespa zu, suchte ihre frühmorgendliche Verspieltheit zu dämpfen und führte sie im ruhigen Trott durch die Straßen. Ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, daß die Geste, mit der ein Herr öffentlich seine Zuneigung für seinen Sklaven bekundet, stets mißlingt. Egal wie ehrlich er sie meint, sie gerät ihm immer herablassend und peinlich, eine Parodie seiner wahren Gefühle. Trotzdem packte mich plötzlich die Angst, daß ich es auf ewig bereuen könnte, mir diesen Abschiedskuß versagt zu haben.
Der Nebel war so dicht, daß ich mich verirrt hätte, wenn ich den Weg nicht auch mit verbundenen Augen gefunden hätte. Dicke Schwaden wirbelten um uns herum, verschluckten das Getrappel von Vespas Hufen und verbargen uns vor der Million römischer Augenpaare. Um uns schien die Stadt zu erwachen, aber das war eine Illusion; die Stadt war nie ganz eingeschlafen. Die ganze Nacht hindurch kommen und gehen Männer und Pferde und Wagen durch die in tiefem Schatten liegenden Straßen. Ich passierte die Porta Fontinalis. Als ich die Abstimmungshalle am Marsfeld hinter mir gelassen hatte, verfiel ich in einen leichten Trab und nahm die große Via Flaminia in nördlicher Richtung.
Hinter mir verschwand Rom, unsichtbar, in der Ferne. Der verhaltene Gestank der Stadt wurde von dem Geruch bestellter Äcker und frischen Taus abgelöst. Im Nebel verborgen, schien die Welt offen und grenzenlos, ein Ort ohne Mauern oder selbst Menschen. Dann ging die Sonne über den schwarzen und grünen Feldern auf und vertrieb den sanften Dunstschleier, der sie umfing. Als ich den breiten, sich nach Norden windenden Arm des Tibers erreicht hatte, war der Himmel bereits wieder hart wie Kristall, wolkenlos und hitzeschwanger.
16
Wenn die Reichen sich aus der Stadt zu ihrer Villa auf dem Land begeben (und zurück), machen sie diese Reise mit ganzen Gefolgschaften von Gladiatoren und Leibwächtern. Die umherziehenden Armen reisen in Scharen, die Schauspieler in Truppen. Jeder Bauer, der seine Schafe zum Markt treibt, wird sich mit Hirten umgeben. Wer jedoch allein unterwegs ist -so lautet ein Sprichwort, das so alt ist wie die Etrusker -, hat einen Narren zum Begleiter.
Überall, wo ich bisher gelebt habe, herrscht unter Stadtmenschen der Glaube vor, daß das Leben auf dem Lande sicherer, ruhiger und weniger kriminell und bedrohlich ist. Vor allem die Römer entwickeln eine geradezu blinde Sentimentalität hinsichtlich des Landlebens und seines friedlichen und jedem Zugriff des Verbrechens und niederer Leidenschaft enthobenen Wesens. Dieser Phantasie hängen vor allem diejenigen an, die nie viel Zeit auf dem Lande verbracht haben und vor allem nie einen Tag auf den Straßen gereist sind, die Rom wie in alle Richtungen ausstrahlende Speichen über die ganze Welt gelegt hat. Das Verbrechen lauert überall, und nirgendwo schwebt ein Mann zu jedem Moment in größerer Gefahr als auf offener Straße, besonders wenn er allein unterwegs ist.
Wenn er schon alleine reisen mußte, sollte er sich zumindest sehr schnell fortbewegen und für niemanden anhalten. Die alte Frau, die anscheinend verletzt und verlassen am Straßenrand liegt, ist vielleicht gar nicht verletzt und verlassen und noch nicht einmal eine Frau, sondern ein junger Bandit aus einer Schar von Räubern, Mördern und Entführern. Auf offener Straße kann man leicht sterben oder für immer verschwinden. Für den Unvorsichtigen kann eine Route von zehn Meilen eine unvermutete Wendung nehmen, die auf einem Sklavenmarkt Tausende von Meilen von der Heimat entfernt endet. Der Reisende muß jeden Moment darauf vorbereitet sein, zu fliehen, ohne Scham um Hilfe zu rufen oder, wenn es sein muß, zu töten.
Trotz dieser Gedanken oder vielleicht gerade deswegen verlief der lange Tag ohne Zwischenfälle. Die zurückzulegende Entfernung machte einen
langen, beschwerlichen Ritt ohne Pausen erforderlich. Ich härtete mich rasch gegen die Strapazen ab und gab mich dem Rhythmus eines gleichbleibenden Tempos hin. Den ganzen Tag lang überholte mich kein einziger Reiter. Ich passierte einen Reisenden nach dem andern, als wären sie Schildkröten am Straßenrand.
Die Via Flaminia verläuft von Rom aus in nördlicher Richtung, wobei sie in ihrem Verlauf durch das südöstliche Etrurien zweimal den Tiber kreuzt. Bei der Stadt Narnia führt eine Brücke in den südlichsten Teil Umbriens, und ein paar Meilen nördlich von Narnia gabelt sich die Straße, und der kleinere Abzweig führt zurück zum Flußlauf. Die Straße erklimmt eine Kette von steilen Hügeln, bevor sie in ein flaches Tal mit fruchtbaren Weinbergen und Weiden abfällt. Hier, eingebettet in ein V-förmiges Stück Land zwischen dem Tiber und dem Nar, liegt das verschlafene Städtchen Ameria.
Ich war seit Jahren nicht mehr von Rom aus nach Norden gereist. Wenn ich die Stadt verlassen mußte, führten mich meine Geschäfte für gewöhnlich zum Hafen von Ostia oder durch eine Gegend luxuriöser Villen und Anwesen in südlicher Richtung auf der Via Appia bis zu den Ferienorten Baiae und Pompei, wo die Reichen sich die Langeweile durch die Hervorbringung neuer Skandale und die Planung neuer Untaten vertreiben und die Mächtigen sich in den Bürgerkriegen auf die eine oder andere Seite geschlagen hatten. Gelegentlich wagte ich mich auch in östlicher Richtung vor, in die aufständischen Gebiete, die ihrer Wut auf Rom in einem
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