Ich schlief unruhig und schreckte häufig hoch. Ich träumte.
Ich ritt durch endlose Meilen kahler Wüste auf einem weißen Roß, ohne mich erinnern zu können, wann oder wie ich aufgebrochen war, und ohne je mein Ziel zu erreichen. Mitten in der Nacht wachte ich noch einmal auf und fühlte mich schon jetzt erschöpft von einer langen, unangenehmen Reise.
15
Es kam überhaupt nicht in Frage, daß Bethesda während meiner Abwesenheit allein zu Hause blieb. Vor einem Jahr wäre das Problem erst gar nicht aufgetaucht; damals hielt ich mir noch zwei junge, kräftige Sklaven. Mit Ausnahme der seltenen Anlässe, zu denen ich eine Leibwache oder Gefolgschaft brauchte, waren sie bei Bethesda geblieben - einer hatte sie auf Besorgungsgängen begleitet, der andere derweil das Haus bewacht, und alle beide waren ihr im Haushalt zur Hand gegangen und hatten sie beschützt. Vor allem jedoch hatte sie jemanden zum Herumkommandieren; wenn sie mir abends ihr Leid mit den beiden klagte und sich ausmalte, was sie hinter ihrem Rücken tratschten, mußte ich oft ein Lächeln unterdrücken.
Aber Sklaven sind ein permanenter Kostenfaktor und eine wertvolle Ware, vor allem für jemand, der sie sich kaum leisten kann. Ein günstiges Angebot eines Klienten zu einem Zeitpunkt, als ich es nötig hatte, ließ mich schwach werden, und ich hatte sie beide verkauft. Im letzten Jahr war Bethesda ohne jeden Zwischenfall gut alleine zurechtgekommen, bis heute.
Ich konnte sie nicht allein lassen. Aber was hätte sie davon, wenn ich einen Leibwächter für sie engagierte. Es war nicht unwahrscheinlich, daß die Täter zurückkamen; würde ein einzelner Leibwächter oder zwei oder drei etwas gegen Menschen ausrichten können, die zum Mord entschlossen waren? Wenn ich Bethesda anderweitig unterbrachte, würde das Haus leer stehen. Und wenn ihre Hoffnung auf Beute sich als vergeblich erwiesen hatte, waren Männer dieser Art durchaus fähig, mein gesamtes Hab und Gut in Brand zu stecken.
Lange vor dem ersten Hahnenschrei lag ich wach und überlegte, was zu tun sei. Die einzige Lösung, die mir in den Sinn kam, während ich an die kerzenbeleuchtete Decke starrte, war, den Fall abzugeben. Es würde keinen Ritt nach Ameria geben. Ich konnte im ersten Licht der Dämmerung in die Subura hinabsteigen, einen Boten zu Cicero schicken, ihm mitteilen lassen, daß ich von dem Auftrag zurückgetreten sei, und ihn bitten, meine Unkosten zu begleichen. Dann konnte ich mich den ganzen Tag mit Bethesda in meinem Haus verbarrikadieren, mich mit ihr im Bett tummeln, über die Hitze lamentieren und durch den Garten schlendern; und wenn irgendein
Eindringling an meine Tür klopfte, würde ich einfach sagen: »Ja, ja, ich habe mich für das Schweigen und gegen den Tod entschieden! Soll die römische Justiz ihren gerechten Lauf nehmen! Und jetzt verschwinde!«
Auf meinem Hügel gibt es einen Hahn, der viel früher kräht als alle anderen; ich habe den Verdacht, er gehört meiner Nachbarin vom Lande, die alltäglich ihren Abfall über die Mauer schmeißt - ein Hahn vom Land mit ländlichen Sitten, ganz anders als die fauleren und luxuriöseren römischen Vögel. Wenn er krähte, waren es noch gut zwei Stunden bis zum Anbruch der Dämmerung. Ich beschloß, mit seinem ersten Schrei aufzustehen und dann eine Entscheidung zu treffen.
Wenn die Welt schläft, verändert sich das Wesen der Zeit. Augenblicke gerinnen und schmelzen wieder, wie Klümpchen in magerem Käse. Die Zeit wird ungleichmäßig, schwer faßbar und unsicher. Für den Schlaflosen dauert jede Nacht ewig und ist trotzdem zu kurz. Ich lag lange wach und betrachtete die flackernden Schatten über meinem Kopf, konnte weder schlafen noch einen der Gedanken zu Ende denken, die mir durch den Kopf huschten. So wartete ich auf den Hahnenschrei, bis ich anfing zu glauben, der Vogel hätte verschlafen. Dann ließ er sich schließlich doch vernehmen, klar und schrill in der stillen, warmen Morgenluft.
Ich sprang auf und stellte überrascht fest, daß ich tatsächlich geschlafen oder mich doch an der Grenze zum Schlaf bewegt hatte. Einen verwirrten Moment lang fragte ich mich, ob ich das Krähen vielleicht nur geträumt hatte. Dann hörte ich ihn erneut.
Im Licht der vielen Kerzen wechselte ich meine Tunika und spritzte mir ein wenig Wasser ins Gesicht. Bethesda war schließlich doch noch zur Ruhe gekommen; ich sah sie inmitten eines Kreises von Kerzen auf einer Strohmatte unter dem Säulengang am anderen Ende des Gartens liegen, endlich schlafend. Sie hatte sich einen Fleck gesucht, der möglichst weit von jener Wand entfernt war, wo Bast gestorben war.
Ich durchquerte leise den Garten, um sie nicht zu wecken. Sie lag in sich zusammengerollt auf der Seite, ihre Gesichtszüge weich und entspannt. Eine schimmernde Strähne ihres blauschwarzen Haars fiel auf ihre Wange. Im Schein der Kerzen wirkte sie auf mich mehr als je zuvor wie ein Kind. Ein Teil von mir sehnte sich danach, sie in meine Arme zu nehmen und zu ihrem Bett zu tragen, sie warm und sicher zu halten, neben ihr zu liegen und zu träumen, bis die Morgensonne auf unseren Gesichtern uns weckte. Die ganze schmutzige Geschichte, in die Cicero mich hineingezogen hatte, zu vergessen und ihr den Rücken zu kehren. Ich wurde von einer Welle so intensiver
Zärtlichkeit übermannt, daß Tränen einen Schleier vor meine Augen zogen. Das Bild ihres Gesichts verschwamm; das Licht der Kerzen verschmolz zu glitzerndem Nebel. Man sagt, es sei eine Sache, seine Geschicke mit einer freien Frau in der Ehe zu teilen, jedoch eine ganz andere, eine Frau als Sklavin zu besitzen, und ich habe mich oft gefragt, welches von beiden bitterer und welches süßer ist.
Der Hahn krähte erneut, diesmal zusammen mit einem anderen von weiter her. In diesem Augenblick traf ich meine Entscheidung.
Ich kniete mich neben Bethesda und weckte sie so sanft wie möglich. Trotzdem schreckte sie hoch und starrte mich einen Moment lang an, als wäre ich ein Fremder. Ich spürte einen Stich des Zweifels und wandte mich ab, weil ich wußte, daß mein Zögern, wenn sie es bemerkte, ihre Angst nur verschlimmern würde, bis sie gar nicht mehr zur Ruhe kam. Ich sagte ihr, sie solle sich anziehen, ihr Haar kämmen und sich etwas Brot nehmen, wenn sie hungrig wäre; sobald sie fertig sei, würden wir einen kurzen Spaziergang machen.
Ich wandte mich rasch ab und beschäftigte mich damit, sämtliche Kerzen zu löschen. Es wurde dunkel im Haus. Nach einer Weile kam Bethesda aus ihrem Zimmer und verkündete, sie sei fertig. In ihrer Stimme klang noch Angst mit, jedoch kein Hauch von Vorwurf oder Mißtrauen. Ich murmelte ein stilles Gebet, daß ich mich richtig entschieden hatte, und fragte mich, zu wem ich eigentlich betete.
Der Pfad den Hügel hinab war von Schatten gesäumt, Schwarz in Schwarz. Im Schein der Fackel warfen die Steine wirre Schatten, während ihre Kanten tückisch und spitz aufragten. Es wäre fast sicherer gewesen, den Weg im Dunkeln zurückzulegen. Bethesda stolperte und klammerte sich an meinen Arm. Sie schielte nervös von einer Seite zur anderen, vor Angst, daß irgend etwas in der Dunkelheit lauern könnte, und achtete nicht darauf, wohin sie ihre Füße setzte.
Auf halbem Weg den Hügel hinab stießen wir auf eine Nebelbank, die Strudel bildete wie ein Fluß in einer Schlucht, so dicht, daß sie den Schein der Fackel zurückwarf und uns in einen milchigweißen Kokon einhüllte. Wie die unheimliche Hitze, die Rom gepackt hielt, hatte auch der Nebel etwas Irreales. Er war kein bißchen erfrischend oder erleichternd, eine feuchtwarme Masse, die von Abschnitten mit kühler Luft durchsetzt war. Sie verschlang das Licht und verschluckte Geräusche. Das Knirschen der losen Steine unter unseren
Füßen klang gedämpft und wie von ferne. Selbst die Grillen hatten aufgehört zu zirpen, und für einen Moment waren alle Hähne verstummt.
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