Priester beschwören, von den Göttern gesandt wird, um Väter wie Söhne von ihren Sünden reinzuwaschen.
9
Am nächsten Morgen stand ich früh auf und wusch mich in dem Brunnen im Garten. Der ausgetrocknete Boden war vom Regen der Nacht aufgeweicht und feucht. Dicker Tau überzog die Pflanzen. Der Himmel glänzte matt wie eine milchige Perle mit einem Tupfer Koralle und schimmerte wie das Innere einer Muschel. Ich beobachtete, wie die farbige Glasur sich in Dunst auflöste und die Farbe des Himmels unmerklich in ein richtiges Blau überging, wolkenlos in gleißendes Licht getaucht, ein Vorbote der heraufziehenden Hitze. Ich zog meine leichte Tunika und meine sauberste Toga an und aß einen Happen Brot. Ich ließ Bethesda auf dem Sofa schlafen. Sie hatte sich zum Schutz gegen den noch immer kühlen Morgen in ihr Gewand gewickelt, und Bast hatte sich um ihren Hals gelegt wie ein Kragen aus schwarzem Fell.
Schnellen Schritts ging ich zu Ciceros Haus. Wir hatten am Abend zuvor verabredet, daß ich auf meinem Weg zum Schauplatz des Mordes an Sextus Roscius bei ihm vorbeischauen würde. Aber als ich bei Cicero eintraf, ließ er mir durch Tiro mitteilen, daß er nicht vor Mittag aufstehen würde. Er litt unter akuten Verdauungsstörungen und machte eine Backpflaume, die er entgegen seiner strengen Diät bei Caecilia Metella gegessen hatte, für seine vorübergehende Unpäßlichkeit verantwortlich. Freundlicherweise bot er mir Tiros Dienste für den Tag an.
Die Straße glänzte nach dem Regenguß, und die Luft roch sauber und wie frisch gewaschen, als wir aufbrachen. Nachdem wir den Fuß des Kapitolinischen Hügels erreicht, die Porta Fontinalis passiert und das Viertel des Circus Flaminius betreten hatten, machte die Hitze des Tages bereits wieder erste Ansprüche auf die Macht über die Stadt geltend. Die Pflastersteine begannen zu dampfen. Die Mauern fingen an zu schwitzen und Feuchtigkeit abzusondern. Der frische Morgen wurde langsam schwül und stickig.
Ich wischte mir mit dem Saum meiner Toga die Stirn und verfluchte die Hitze. Ich warf einen Seitenblick auf Tiro und sah, daß er lächelte und mit einem dümmlichen Blick stur geradeaus stierte. Ich konnte mir vorstellen, warum er so gut gelaunt war, sagte aber nichts.
Um den gesamten Circus Flaminius herum spannt sich ein Netz labyrinthartiger Straßen. In der Nähe des Circus, vor allem direkt gegenüber dem langgezogenen Gebäude, wo der meiste Verkehr durchkommt, wimmelt es von Geschäften, Tavernen, Bordellen und Gasthäusern. Die Straßenzüge, die den Rand des Viertels markieren, sind mit zwei- und dreistöckigen Gebäuden zugebaut, von denen viele die engen Straßen überragen und das Sonnenlicht verdecken. Eine Straße sieht ziemlich genauso aus wie die andere, ein Mischmasch sämtlicher Architekturstile und Preisklassen. Bei der Häufigkeit von Bränden und Erdbeben wird Rom praktisch permanent neu erbaut; mit dem Wachstum der Bevölkerung sind ganze Straßenzüge in die Hand großer Grundstücks- und Hauseigentümer gekommen, wobei sich die jüngsten Gebäude in aller Regel durch die ärmlichste Architektur und Bauweise auszeichnen. Manchmal stößt man auf ehrwürdige Backsteinhäuser, die ein Jahrhundert von Katastrophen unbeschadet überstanden haben, umgeben von baufälligen Mietshäusern ohne jede Verzierung, die aussehen, als seien sie lediglich aus Lehm und Stöcken gebaut. Unter Sulla war das alles natürlich nur noch schlimmer geworden.
Wir folgten dem Weg, den Sextus Roscius uns erklärt und den der junge Messala niedergeschrieben hatte. Rufus’ Aufzeichnungen waren eine kaum lesbare Katastrophe. Ich sagte zu Tiro, es sei bedauerlich, daß er anderweitig beschäftigt und daher nicht in der Lage gewesen sei, die Notizen in seiner klaren, sauberen Handschrift niederzulegen. »Als Adliger hat sich Rufus natürlich nie die Mühe gemacht, ordentlich schreiben zu lernen, zumindest nicht so, daß irgend jemand anders es lesen könnte, während du ein bemerkenswertes Talent darin zu haben scheinst, deinen Griffel zu führen. « Die Bemerkung sollte so beiläufig wie möglich klingen, doch ich registrierte lächelnd, wie Tiro errötete.
Ich war mir sicher, daß wir auf dem richtigen Weg waren, denn er führte uns durch breite Straßen und unter Vermeidung engerer und gefährlicherer Abkürzungen auf natürlichem Weg von Caecilias Haus in die Nähe des Circus. Wir kamen an etlichen Tavernen vorbei, bei denen Sextus Roscius jedoch wahrscheinlich nicht haltgemacht hatte, zumindest nicht in jener Nacht, nicht, wenn er es so eilig gehabt hatte, den Absender der geheimnisvollen Botschaft zu erreichen.
Wir kamen auf einen breiten, sonnenüberfluteten Platz. Die Läden lagen der zentralen Zisterne zugewandt, zu der die Anwohner kamen, um ihr tägliches Wasser zu zapfen. Eine große Frau mit breiten Schultern in schmuddeligen Gewändern schien die selbsternannte Herrin der Zisterne zu sein und die kurze Schlange von Sklaven und Hausfrauen zu regulieren, die tratschend umherstanden und darauf warteten, an die Reihe zu kommen. Einer der Sklaven warf einen halbvollen Eimer Wasser in Richtung einer zerlumpten Rasselbande, die in der Nähe herumlungerte. Die Kinder kreischten vergnügt auf und schüttelten sich wie Hunde.
»Hier durch«, sagte Tiro. Er studierte die Wegbeschreibung und runzelte die Stirn. »Glaube ich zumindest.«
»Ja, daran kann ich mich noch erinnern: ein schmaler Durchgang zwischen einem Weinladen und einem hohen, rotgetünchten Mietshaus.« Ich überblickte den asymmetrischen Platz und die sechs einmündenden Straßen. Die Gasse, die der alte Sextus in jener Nacht genommen hatte, war die engste von allen und wegen einer scharfen Biegung nach wenigen Metern die am wenigsten einsehbare. Vielleicht war es der kürzeste Weg zu der Frau namens Elena. Vielleicht war es der einzige Weg.
Ich sah mich um und entdeckte einen Mann, der den Platz überquerte. Ich hielt ihn für einen kleinen Kaufmann oder Ladenbesitzer, ein Mann von einigem Vermögen, jedoch keineswegs reich, wenn man nach seinen abgetragenen, aber solide verarbeiteten Schuhen ging. An seinem entspannten Gang und der Art, wie er sich auf dem Platz umsah, ohne offenbar etwas wahrzunehmen, schloß ich, daß es sich um einen Anwohner handeln mußte, der oft, wenn nicht täglich hier vorbeikam. Neben der öffentlichen Sonnenuhr, die auf einem kleinen Sockel aufgestellt war, blieb er stehen, runzelte die Stirn und verzog die Nase. Ich trat zu ihm.
»Verflucht sei der«, zitierte ich, »der die Stunden erfunden und die erste Sonnenuhr in Rom aufgestellt!«
»Ah!« Er blickte mit einem breiten Lächeln auf und nahm den Refrain sofort auf. »Erbarmen, Erbarmen! Man hat meinen Tag zerstückelt wie die Zähne eines Kamms!«
»Oh, du kennst das Stück«, begann ich, aber er ließ sich nicht unterbrechen.
»Als ich klein war, war mein Magen meine Uhr und führte mich nie in die Irre; doch heute gibt es nichts zu essen, selbst wenn die Tische überquellen, bis die Schatten länger werden. Es ist die Sonnenuhr, die Rom regiert; die Römer hungern und dursten derweil!«
Wir lachten leise. »Bürger«, sagte ich, »kennst du dich in diesem Viertel aus?«
»Aber sicher. Ich lebe schon seit Jahren hier.«
»Dann kannst du mir sicher helfen. Zwar leide ich weder Hunger noch Durst, doch es gibt ein anderes Bedürfnis, das ich zu befriedigen suche. Ich bin ein Liebhaber von Vögeln.«
»Vögel? Hier gibt es nur Tauben. Zu sehnig für meinen Geschmack.« Er lächelte und gab den Blick auf eine Zahnlücke frei.
»Ich dachte an eleganteres Geflügel. Daheim zu Wasser, zu Lande oder am Himmel. Ein Freund eines Freundes hat mir erzählt, daß es hier in der Gegend Schwäne gibt.«
Er begriff sofort. »Das Haus der Schwäne, meinst du.«
Ich nickte.
»Einfach nur diese Straße entlang.« Er wies auf die Lücke zwischen dem Weinladen und dem roten Mietshaus.
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