»Aber wie kannst du so etwas sagen? Wir haben nichts herausbekommen, weder von Caecilia noch von Roscius selbst. Caecilia weiß nichts und ist nur wegen ihrer sentimentalen Anhänglichkeit an den Toten in den Fall verwickelt. Roscius weiß etwas, sagt es uns aber nicht. Was könnte ihn so sehr ängstigen, daß er seinen eigenen Verteidigern nicht hilft? Wir wissen nicht einmal genug, um zu entscheiden, worüber er lügt.« Cicero zog eine verzweifelte Miene.
»Aber trotzdem, beim Herkules, ich glaube noch immer, daß er unschuldig ist. Hast du nicht auch das Gefühl?«
»Ja, schon möglich. Aber du irrst, wenn du glaubst, daß wir nichts von Bedeutung entdeckt haben. Ich habe bloß aufgehört, ihm weitere Fragen zu stellen, weil ich schon genug lose Enden zum Entwirren habe. Ich habe heute nachmittag genug erfahren, um mich die nächsten zwei Tage beschäftigt zu halten.«
»Zwei Tage?« Cicero stolperte über eine lockere Fliese.
»Aber in acht Tagen fängt bereits der Prozeß an, und ich habe noch immer nichts, worauf ich meine Verteidigung aufbauen kann.«
»Ich verspreche dir, Marcus Tullius Cicero, in acht Tagen werden wir nicht nur wisen, wo Sextus Roscius ermordet wurde - was für sich genommen kein unwesentliches Detail ist -, sondern auch warum, von wem und zu welchem Zweck. Im Augenblick jedoch würde es mich sehr glücklich machen, ein weit simpleres, jedoch keineswegs weniger dringendes Geheimnis zu lüften.«
»Und das wäre?«
»Wo finde ich den vielgepriesenen überdachten Abort?«
Rufus lachte. »Wir sind bereits daran vorbeigegangen. Du mußt umkehren. Die zweite Tür links wird dich dorthin führen. Du kannst es an den blauen Kacheln und einem kleinen Relief von Triton über der Tür erkennen.«
Cicero kräuselte die Nase. »Vermutlich wird der Gestank dich leiten. Und wenn du gerade dabei bist«, rief er mir nach, »schau, ob du herausfinden kannst, wo Tiro abgeblieben ist. Beim letzten Mal, als wir hier waren, ist genau das gleiche passiert - er hat behauptet, er hätte sich in den Fluren verirrt. Wenn er noch immer auf dem Abort ist, muß er ja schwer zu leiden haben. Sag ihm, das kommt davon, daß er sich weigert, meinem Beispiel zu folgen und mittags zu fasten. So viel Nahrung ist eine völlig unnatürliche Belastung für den Körper, vor allem in dieser Hitze...«
Eine Wendung nach links und ein kurzer Gang einen schmalen Flur hinunter führten mich zu der blau gekachelten Tür, in kleinen Nischen im
Durchgang sah ich Aschehäufchen und die Überreste von Weihrauch und süß brennenden Hölzern, die die übelriechenden Düfte, die aus dem Innern drangen, überdecken sollten. An einem so drückenden Tag wie heute mußte der Weihrauch ständig nachgefüllt werden, aber Caecilias Sklaven legten bei der Erfüllung ihrer Pflichten eine gewisse Lässigkeit an den Tag, oder aber sämtliehe Weihrauchvorräte waren für das Heiligtum der Herrin beansprucht worden. Ich trat durch den schweren blauen Vorhang.
Es gibt kein Volk der Welt, das bei der Organisation von Wasser und Abfällen eine größere Geschicklichkeit entwickelt hat als das römische. »Wir werden«, wie es ein athenischer Spaßvogel einmal formuliert hat, »von einer Nation von Klempnern regiert.« Trotzdem mangelte es hier, in einem der feinsten Häuser im Herzen der Stadt, an einigem. Die blauen Fliesen mußten dringend geschrubbt werden. Die steinerne Rinne war verstopft, und als ich auf das Ventil drückte, tröpfelte nur ein kleines Rinnsal heraus. Ein summendes Geräusch ließ meinen Blick nach oben wandern. Über dem Dachfenster zur Luftzufuhr spannte sich ein riesiges Spinnennetz, in dem sich zahllose Fliegen gefangen hatten.
Ich erledigte, weswegen ich gekommen war, und nahm einen tiefen Atemzug, als ich wieder durch den blauen Vorhang trat. Ich hielt die Luft an, als ich durch die gegenüberliegende Tür gedämpfte Stimmen wahrnahm. Eine der Stimmen gehörte Tiro.
Ich schlich mich hinüber und neigte den Kopf näher zu dem dünnen gelben Vorhang. Die andere Stimme gehörte einer jungen Frau, sie sprach einen ländlichen Akzent, jedoch nicht ohne eine gewisse Vornehmheit. Sie tuschelte ein paar Worte, dann keuchte sie und stöhnte auf.
Ich begriff sofort.
Ich hätte mich zurückziehen können. Statt dessen trat ich näher an den Vorhang und preßte mein Gesicht gegen den dünnen gelben Stoff. Ich hatte geglaubt, ihr überraschender, verführerischer Blick hätte mir gegolten und sie wäre wegen mir noch einen Moment im Zimmer verharrt. Ich hatte geglaubt, ihre stumme Botschaft sei an mich gerichtet gewesen. Aber sie hatte die ganze Zeit durch mich hindurchgesehen, als wäre ich Luft. Es war der hinter mir ste hende Tiro, dem sie diesen Blick zugeworfen hatte, die Botschaft, die Einladung.
Sie flüsterten leise, vielleicht drei Meter entfernt. Ich konnte die Worte kaum verstehen.
»Hier gefällt es mir nicht«, sagte sie. »Es stinkt.«
»Aber es ist der einzige Raum in der Nähe des Aborts -das war der einzige Vorwand, der mir blieb - wenn mein Herr nach mir sucht, muß ich in der Nähe sein... «
»Schon gut, schon gut«, keuchte sie. Ich hörte, wie sie sich umarmten. Ich schob den Vorhang ein wenig zur Seite und linste in den Raum.
Es war ein kleiner Vorratsraum. Durch ein schmales, hohes Fenster fiel weißes Licht herein, ohne ihn wirklich erleuchten zu können. Staubkörnchen tanzten durch die dicke, schwere Luft. Zwischen den übereinandergestapelten Kartons, Kästen und Säcken sah ich nacktes Fleisch aufblitzen: Tiros Hüften und Gesäß. Seine dünne Baumwolltunika war hochgerutscht und wurde auf seinem Rücken von den Fingern des Mädchens umklammert. Er preßte seinen Unterleib gegen ihren, zog ihn zurück und stieß wieder nach vorn in dem uralten, eindeutigen Rhythmus.
Ihre vereinten Gesichter lagen im Schatten. Das Mädchen war nackt. Das geschlechtlose Gewand lag zusammengeknüllt und verlassen auf dem Boden. Man hatte die sinnliche Figur und die atemberaubende Schönheit ihres weißen Fleisches darunter nicht ahnen können, leuchtend und fest wie Alabaster glitzerte es von Schweiß in dem heißen, stickigen Raum, als hätte sie sich von Kopf bis Fuß eingeölt. Ihr Körper reagierte auf seine Bewegungen, schraubte sich in einer seltsam krampfhaften Bewegung an der Wand hoch wie eine Schlange, die sich über das heiße Pflaster windet.
»Komm«, flüsterte Tiro mit heiserer, tonloser Stimme, die ich nie erkannt hätte - weder die Stimme eines Sklaven noch die eines Freiers, die Stimme des Tieres, des Ungeheuers, des Körpers.
Das Mädchen packte seine Hinterbacken mit beiden Händen und drückte ihn fester an sich. Ihr Kopf war zurückgeworfen, ihre Brüste vorgestreckt. »Nur noch ein wenig länger«, flüsterte sie.
»Nein, jetzt, man wird schon auf mich warten...«
»Dann denk dran, du hast versprochen, wie letztes Mal -nicht in mir - mein Vater würde...«
»Jetzt!« sagte Tiro mit einem langgezogenen Stöhnen.
»Nicht in mir!« zischte das Mädchen. Ihre Finger krallten sich in das zarte Fleisch seiner Hüften, und sie schob ihn weg. Tiro taumelte erst rückwärts, dann wieder nach vorn und sank in ihre Arme. Er preßte sein Gesicht gegen ihre Wange, dann gegen ihren Hals, ihre Brüste, bevor er weiter nach unten glitt. Er küßte ihren Nabel und fuhr mit der Zunge über die glänzenden Samenfäden, die an der glatten Haut ihres Bauches klebten. Er umfing ihre Hüften und preßte sein Gesicht zwischen ihre Beine.
Ich sah sie nackt, entblößt im weichen, dunstigen Licht. Nur ihr Gesicht war im Schatten verborgen. Ihr Körper war vollkommen, schlank und geschmeidig, blaß und makellos wie satter Rahm; weder der Körper eines Mädchens noch der einer Frau, sondern der eines Mädchens, deren Weiblichkeit erwacht ist, von der Unschuld befreit, doch noch unverdorben von Zeit.
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