»Ein Magier?« Zwei traurige Augen blickten mich an.
»Nein«, sagte Rufus. »Ein Ermittler. Mein Bruder Hortensius bedient sich des öfteren seiner Talente.«
Die traurigen Augen wandten sich Rufus zu. »Hortensius - der Feigling, der den Schwanz zwischen die Beine geklemmt hat und geflüchtet ist? Was soll mir ein Freund von Hortensius nutzen?«
Rufus’ blasses, sommersprossiges Gesicht nahm die Farbe reifer Kirschen an. Er klappte seinen Mund auf, aber ich hob meine Hand. »Sag mir eins«, sprach ich mit lauter Stimme. Cicero runzelte die Stirn und schüttelte den
Kopf, aber ich winkte ab. »Sag es mir jetzt, bevor wir fortfahren. Sextus Roscius von Ameria: Hast du deinen Vater ermordet oder seine Ermordung in irgendeiner Weise geplant und vorbereitet?«
Ich baute mich direkt vor ihm auf, so daß er zu mir aufblicken mußte, was er auch tat. Was ich sah, war ein einfaches Gesicht von der Art, wie römische Politiker es gerne und lustvoll preisen, ein von Sonne, Wind und Wetter gegerbtes Gesicht. Roscius mochte ein reicher Bauer sein, er war nichtsdestoweniger ein Bauer. Kein Mann kann Landarbeiter befehligen, ohne selbst das Aussehen eines Landarbeiters anzunehmen und sich die Fingernägel schmutzig zu machen, selbst wenn er Sklaven kommandiert. Sextus Roscius hatte etwas Ungeschliffenes an sich, ein charakteristisches Phlegma, so leer und unbeweglich wie Granit. Dies war der Sohn, den man auf dem Lande zurückgelassen hatte, um die Rücken der störrischen Sklaven zu peitschen und dafür zu sorgen, daß die Ochsen ausgespannt wurden, während der hübsche junge Gaius als verhätschelter Stadtjunge mit großstädtischen Manieren im Haus seines vergnügungssüchtigen Vaters aufwuchs.
Ich suchte in seinen Augen nach Groll, Verbitterung, Eifersucht oder Habgier. Und ich sah nichts. Statt dessen sah ich die Augen eines Tieres, das mit einem Fuß in eine Falle geraten ist und die näherkommenden Jäger hört.
Roscius antwortete mir zu guter Letzt mit einem leisen, heiseren Flüstern: »Nein.« Er sah mir unentwegt in die Augen. Angst war alles, was ich darin sah, und obwohl die Angst einen eher als alles andere zum Lügen verleitet, glaubte ich, daß er mir die Wahrheit sagte. Cicero mußte dasselbe gesehen haben; Cicero hatte mir erklärt, daß Roscius unschuldig war und daß ich ihn nur treffen müßte, um es selbst zu sehen.
Sextus Roscius war von mittlerem Alter, und wenn man davon ausging, daß er ein hart arbeitender Mann von beträchtlichem Reichtum war, konnte ich seine heutige Erscheinung nur für untypisch halten. Die schreckliche Last seiner ungewissen Zukunft - oder die schreckliche Schuld seines Verbrechens - lag schwer auf seinen Schultern. Seine Haare und sein Bart waren länger, als selbst die Mode auf dem Land es vorschrieb, zottig, ungepflegt und voller grauer Strähnen. Er saß zusammengesunken auf einem Stuhl, gebeugt und zerbrechlich, obwohl ich mit einem Seitenblick auf Cicero und Rufus feststellen konnte, daß er ein vergleichsweise sehr viel größerer Mann mit kräftigen Muskeln war. Unter seinen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Seine Haut wirkte teigig. Seine Lippen waren trocken und aufgesprungen.
Caecilia Metella behauptete, daß er nachts schreiend aufwachte. Sie hatte zweifelsohne nach dem ersten Blick entschieden, daß er den Verstand verloren hatte. Aber Caecilia war nie durch die endlosen, von Menschen wimmelnden Straßen der Armen in Rom oder Alexandria gewandert. Verzweiflung kann in Wahnsinn übergehen, aber für die Augen desjenigen, der zuviel von beidem gesehen hat, gibt es einen klaren Unterschied. Sextus Roscius war kein Verrückter. Er war verzweifelt.
Ich sah mich nach einer Sitzgelegenheit um. Roscius schnippte mit den Fingern in Richtung der Frau. Sie war ebenfalls mittleren Alters, stämmig und unansehnlich. An der Art, wie sie es wagte, wütend zurückzustarren, erkannte ich, daß es seine Frau war. Sie schnippte ihrerseits mit den Fingern in Richtung der beiden Mädchen, die sich vom Boden erhoben und davonhuschten. Roscia Majora und Roscia Minora, nahm ich an, die einfallslose Namensgebung der Römer voraussetzend, bei der alle Töchter der Familie den Zunamen des Vaters erhielten und lediglich der Reihenfolge nach unterschieden wurden.
Roscia, die Ältere, war vermutlich etwa so alt wie Rufus oder ein wenig jünger, ein Kind auf der Schwelle zur Mannbarkeit. Wie Rufus trug sie ein schlichtes, weißes Gewand, das ihre Gliedmaßen verbarg. Eine wallende Mähne kastanienbraunen Haars war im Nacken zu einem Knoten geflochten und fiel von dort in Wellen bis zu ihrer Hüfte; nach ländlicher Sitte war es noch nie geschnitten worden. Sie hatte ein hübsches Gesicht, aber um ihre Augen hatte sich derselbe gehetzte Blick eingenistet wie bei ihrem Vater.
Das jüngere der beiden Mädchen war das Ebenbild ihrer Schwester in klein, mit demselben Gewand, demselben langen, geflochtenen Haar. Sie folgte den anderen Frauen quer durch das Zimmer, war jedoch noch zu klein, um ebenfalls einen Stuhl zu tragen. Statt dessen kicherte sie und zeigte auf Cicero.
»Spaßmachergesicht!« rief sie und bedeckte dann hastig ihren Mund mit der Hand. Ihre Mutter knurrte und trieb sie aus dem Zimmer. Ich warf einen Blick auf Cicero, der den Spott mit stoischer Gelassenheit hinnahm. Rufus, der neben Cicero so schön wie Apollo aussah, errötete und blickte zur Decke.
Das ältere Mädchen folgte ihrer Mutter, aber bevor sie durch den Vorhang schlüpfte, wandte sie sich noch einmal um. Cicero und Rufus setzten sich gerade und schienen sie nicht zu bemerken. Erneut war ich von der Schönheit ihres Gesichtes fasziniert - der volle Mund und die glatte Stirn, die tiefbraunen, von Trauer getönten Augen. Sie mußte mich beim Starren ertappt haben, denn sie erwiderte meinen Blick mit einer Offenheit, den man bei Mädchen ihrer Klasse und ihres Alters nur selten sieht. Sie zog die Lippen zurück, ihre Augen wurden schmal, und ihr Gesichtsausdruck war auf einmal eine Einladung - sinnlich, kalkuliert und provozierend. Sie lächelte. Sie nickte. Ihre Lippen bewegten sich, doch ich konnte die Worte nicht lesen.
Cicero und Rufus saßen am anderen Ende des Raumes und steckten tuschelnd die Köpfe zusammen.
Ich sah mich über die Schulter um, wo lediglich Tiro nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Sie konnte nur mich gemeint haben, dachte ich.
Als ich mich erneut umwandte, war Roscia Majora verschwunden, und nur der sanft wiegende Vorhang und ein Hauch von Jasmin erinnerte an sie. Die Vertraulichkeit ihres Abschiedsblicks ließ mich erstaunt und verwirrt zurück. Es war ein Blick, wie Liebende ihn einander zuwerfen, dabei hatte ich sie nie zuvor getroffen.
Ich ging zu dem Stuhl, den man für mich aufgestellt hatte. Tiro folgte mir und schob ihn mir hin. Ich schüttelte den Kopf, um wieder klare Gedanken fassen zu können. Ein weiterer Blick auf den Vater des Mädchens ernüchterte mich vollends.
»Wo sind deine Sklaven, Sextus Roscius? Zu Hause würde es dir auch wohl im Traum nicht einfallen, deine Frau und deine Töchter zu bitten, Stühle für den Besuch heranzuschleppen. «
Die traurigen Augen leuchteten auf. »Warum nicht? Glaubst, daß sie dafür zu schade sind? Es tut einer Frau gut, von Zeit zu Zeit an ihren Platz gemahnt zu werden. Vor allem Frauen wie den meinen, mit einem Ehemann und Vater, der reich genug ist, daß sie den ganzen Tag herumsitzen und tun können, was sie wollen.«
»Verzeihung, Sextus Roscius. Ich wollte dich nicht beleidigen. Du sprichst weise. Vielleicht sollten wir das nächste Mal Caecilia Metella bitten, uns die Stühle zu holen.«
Rufus unterdrückte ein Lachen. Cicero zuckte zusammen ob meiner Unverschämtheit.
»Du bist ein echter Klugschwätzer, was?« bellte Sextus Roscius. »Ein schlauer Stadtmensch wie die anderen auch. Was willst du?«
»Nur die Wahrheit, Sextus Roscius. Die herauszufinden ist nämlich mein Beruf, und weil die Wahrheit das einzige ist, das einen unschuldigen Mann retten kann - einen Mann wie dich.«
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