»Dann ist Gaius Roscius also hier gestorben?«
»O nein, darum geht es ja. Deswegen fällt mir das Ganze wieder ein. Gaius und sein Vater hätten hier sein sollen - oh, das hätte der gute Sextus wirklich aufregend gefunden, Seite an Seite mit Sulla in diesem Raum zu stehen, die Gelegenheit zu haben, ihm seinen Sohn Gaius vorzustellen. Und wenn man den Geschmack des Diktators kennt« - sie vermied es, jemand Bestimmten anzusehen - »hätten sie sich vielleicht ganz prima verstanden.«
»Sulla und der Junge, meinst du.«
»Was denn sonst.«
»Dann war es ein wohlgestalteter Bursche?«
»O ja. Blond und gutaussehend, intelligent und mit guten Manieren. Alles, was sich der liebe Sextus von einem Sohn gewünscht hatte.«
»Wie alt war Gaius?«
»Laß mich überlegen, er hatte schon eine Weile vorher seine Männertoga angelegt. Neunzehn, nehme ich an, vielleicht zwanzig.«
»Also deutlich jünger als sein Bruder?«
»O ja, ich vermute, der arme Sextus ist - was, mindestens vierzig? Er hat zwei Töchter, mußt du wissen. Die ältere ist schon fast sechzehn.«
»Standen sie sich nahe, die beiden Brüder?«
»Gaius und der junge Sextus? Das glaube ich nicht. Ich wüßte nicht wie -sie haben sich praktisch nie gesehen. Gaius hat die meiste Zeit hier mit seinem Vater in der Stadt gelebt, während Sextus das Gut in Ameria geleitet hat.«
»Ich verstehe. Du wolltest erzählen, wie Gaius ums Leben gekommen ist.«
»Ich weiß wirklich nicht, was all das mit dem anstehenden Fall zu tun hat.«
Cicero rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her.
»Es ist im Grunde nichts weiter als Klatsch.«
Ich sah ihn kurz und nicht ohne Sympathie an. Bisher hatte er mich mit ungewöhnlicher Höflichkeit behandelt, zum Teil, weil er naiv war, zum Teil aber auch, weil es in seinem Wesen lag. Doch daß ich so freimütig mit einer Frau sprach, die so weit über mir stand (einer Metella!), war selbst für sein liberales Gefühl zuviel. Er erkannte den Dialog als das, was er war, ein Verhör nämlich, und nahm daran Anstoß.
»Nein, nein, Cicero, laß ihn fragen.« Caecilia wies ihn mit ihrem Fächer zurück und gönnte mir ein Lächeln. Sie war glücklich, ja richtiggehend begierig, über ihren verstorbenen Freund zu reden. Ich mußte mich unwillkürlich fragen, welcher Art ihre Beziehung zu dem Feste feiernden, das Vergnügen liebenden, alten Sextus dereinst gewesen war.
»Nein. Gaius Roscius ist nicht in Rom gestorben.« Caecilia seufzte. »Sie hätten an jenem Tag eigentlich herkommen sollen, um den frühen Abend auf meinem Empfang zu verbringen; dann wollten wir alle gemeinsam zu Sullas Villa gehen, um an dem Triumphbankett teilzunehmen. Tausende von Gästen waren eingeladen. Sullas Großzügigkeit kannte keine Grenzen. Sextus Roscius war ganz besonders daran gelegen, einen guten Eindruck zu machen; wenige Tage zuvor war er noch mit dem jungen Gaius vorbeigekommen, um meinen Rat hinsichtlich der angemessenen Kleidung einzuholen. Wenn alles nur wie geplant vonstatten gegangen wäre, würde der junge Gaius heute noch leben...« Ihre Stimme erstarb. Sie hob ihren Blick und ließ ihn zu dem sonnenbeschienenen Pfau schweifen.
»Die Parzen haben eingegriffen«, schlug ich vor.
»Wie es ihre schlechte Angewohnheit ist. Zwei Tage vor dem Triumph erhielt Sextus pater eine Nachricht von Sextus filius in Ameria, der ihn drängte, nach Hause zu kommen. Irgendein Notfall - ein Brand, eine Flut, ich weiß nicht mehr. Jedenfalls so dringend, daß Sextus zusammen mit Gaius zum Familienanwesen zurückeilte. Er hoffte, zu den Feierlichkeiten zurück zu sein. Statt dessen blieb er bis zur Beerdigung in Ameria.«
»Wie ist es passiert?«
»Eine Lebensmittelvergiftung. Ein Glas verdorbener eingelegter Pilze. Sextus hat mir das Unglück später in allen Einzelheiten beschrieben. Wie sein Sohn zusammenbrach und pure Galle zu erbrechen begann. Wie Sextus ihm in den Rachen griff, weil er glaubte, sein Sohn würde ersticken. Daß der Schlund des Jungen glühend heiß gewesen sei und seine Finger, als er sie wieder herauszog, blutig. Gaius spuckte weitere Galle, diesmal dickflüssig und schwarz, und war wenige Minuten später tot. Sinnlos, tragisch. Der gute Sextus war danach nie mehr ganz der alte.«
»Du hast gesagt, Gaius sei neunzehn oder zwanzig gewesen, und ich dachte, sein Vater war Witwer. Wann ist die Mutter des Jungen gestorben?«
»Oh - aber sicher, woher sollst du das wissen? Sie starb bei der Geburt von Gaius. Ich glaube, das war einer der Gründe, warum Sextus den Jungen so sehr liebte. Er ähnelte seiner Mutter sehr. Sextus hat Gaius als ihr letztes Geschenk an ihn betrachtet.«
»Und die beiden Söhne - sie müssen im Abstand von fast zwanzig Jahren geboren sein. Von derselben Mutter?«
»Nein. Sagte ich das nicht? Gaius und der junge Sextus waren Halbbrüder. Die erste Frau starb vor Jahren an einer Krankheit.« Caecilia zuckte die Schultern. »Das ist vielleicht auch ein Grund, warum sie sich nie besonders nahestanden.«
»Ich verstehe. Und hat Gaius’ Tod Sextus Roscius und seinen älteren Sohn einander wieder nähergebracht?«
Caecilia wandte traurig den Blick ab. »Nein, ganz im Gegenteil, fürchte ich. Manchmal hat eine Tragödie diese Wirkung auf eine Familie, daß sie die alten Wunden wieder aufreißt. Manchmal liebt ein Vater einen Sohn mehr als den anderen - wer kann daran etwas ändern? Als Gaius starb, machte Sextus den Bruder des Jungen für den Tod verantwortlich. Natürlich war es ein Unfall, aber einem alten, von Schmerz geschüttelten Mann fehlt bisweilen die Stärke, den Göttern die Schuld zu geben. Er kehrte nach Rom zurück und vergeudete seine Zeit - und sein Vermögen. Er hat mir einmal erzählt, daß er nach Gaius’ Tod niemanden mehr hatte, dem er ein Erbe hinterlassen wollte, also war er entschlossen, seinen Reichtum durchzubringen, bevor er starb. Grausame Worte, ich weiß. Während Sextus filius das Anwesen leitete, verpraßte Sextus pater blindlings, soviel er nur konnte. Die Verbitterung auf beiden Seiten läßt sich vorstellen.«
»Genug Verbitterung für einen Mord?«
Caecilia zuckte müde die Schultern. Ihre Lebhaftigkeit war von ihr gewichen. Die Maske von Henna und Schminke verblaßte rapide und gab den Blick frei auf die runzelige alte Frau, die sich darunter verbarg. »Ich weiß nicht. Es wäre fast undenkbar, daß Sextus Roscius von seinem eigenen Sohn ermordet worden ist.«
»An jenem Abend im letzten September - an den Iden, oder nicht? - hat Sextus Roscius hier gespeist... vor seinem Tod?«
»Ja.«
»Wann hat er dein Haus verlassen?«
»Ich weiß noch, daß er früh ging. Normalerweise blieb er stets bis spät in die Nacht, aber an jenem Abend hat er sich noch vor dem letzten Gang verabschiedet. Eine Stunde nach Anbruch der Dunkelheit.«
»Und weißt du, wohin er wollte?«
»Nach Hause, nehme ich an...« Ihre Stimme verlor sich auf eine durch und durch unnatürliche Art. Caecilia Metella, die so viele Jahre allein gelebt hatte, mangelte es an zumindest einer Fertigkeit, über die alle römischen Ehefrauen verfügen. Caecilia Metella konnte nicht lügen.
Ich räusperte mich. »Vielleicht hat sich Sextus Roscius an jenem Abend doch nicht auf den Heimweg gemacht, als er dein Haus verließ. Vielleicht gab es einen Grund, warum er früher aufbrechen mußte. Eine Verabredung? Eine Botschaft?«
»Nun, ja, in der Tat.« Caecilia runzelte die Stirn. »Mir ist, als wäre da ein Bote gekommen. Ja, ein ganz gewöhnlicher Bote, wie man ihn sich von der Straße holen kann. Er meldete sich beim Personaleingang. Ahausarus kam zu mir und sagte, draußen in der Küche warte ein Mann mit einer Botschaft für Sextus Roscius. Ich habe an jenem Abend eine kleine Gesellschaft gegeben; wir waren höchstens zu sechst oder acht und noch nicht mit dem Essen fertig. Sextus wirkte entspannt, fast als ob er dösen würde. Ahausarus flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sextus sah ein wenig erstaunt aus, stand jedoch sofort auf und verließ den Raum, ohne mich um Erlaubnis zu bitten.«
Читать дальше