Roscius sank tiefer in seinen Stuhl. Er hätte es an Muskelkraft mit zwei von uns aufnehmen können, selbst in seinem geschwächten Zustand, aber mit Worten war er leicht zu schlagen.
»Was willst du wissen?«
»Wo sind deine Sklaven?«
Er zuckte die Schultern. »Zu Hause in Ameria natürlich. Auf den Gütern.«
»Alle? Du hast keine Sklaven mitgebracht, die kochen, saubermachen und sich um deine Töchter kümmern? Das verstehe ich nicht.«
Tiro neigte sich zu Cicero und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Cicero nickte und winkte ab. Tiro verließ den Raum.
»Was für einen wohlerzogenen kleinen Sklaven du hast.« Roscius kräuselte die Lippen. »Fragt seinen Herrn um Erlaubnis, wenn er mal pissen muß. Hast du die sanitären Anlagen hier gesehen? Absolut einzigartig. Fließendes Wasser direkt im Haus. Mein Vater hat ständig davon geredet - du weißt ja, wie sehr alte Männer es hassen, nachts nach draußen zu müssen, um Wasser zu lassen. Das braucht man hier nicht! Der Abort ist viel zu edel, als daß Sklaven hier scheißen sollten, wenn du mich fragst. Normalerweise stinkt es auch nicht so übel, außer wenn es so verdammt heiß ist.«
»Wir sprachen von deinen Sklaven, Sextus Roscius. Mit zweien von ihnen würde ich ganz besonders gerne reden. Die beiden Lieblingsdiener deines Vaters, die in der Nacht seines Todes bei ihm waren. Felix und Chrestus. Sind die auch in Ameria?«
»Woher soll ich das wissen?« gab er mürrisch zurück. »Die sind wahrscheinlich längst abgehauen. Oder man hat ihnen die Kehle durchgeschnitten.«
»Und wer sollte so etwas tun?«
»Ihnen die Kehle durchschneiden? Dieselben Männer, die meinen Vater ermordet haben, natürlich.«
»Und warum?«
»Weil die Sklaven Augenzeugen waren, du Dummkopf.«
»Und woher weißt du das?«
»Weil sie es mir gesagt haben.«
»Hast du so vom Tod deines Vaters erfahren - durch die Sklaven, die bei ihm waren?«
Roscius zögerte. »Ja. Sie haben mir einen Boten aus Rom geschickt.«
»Du warst in Ameria in der Nacht, in der er getötet wurde?«
»Natürlich. Das können mindestens zwanzig Leute bezeugen.«
»Und wann hast du von dem Mord erfahren?«
Roscius zögerte erneut. »Der Bote traf am übernächsten Morgen ein.«
»Und was hast du dann gemacht?«
»Ich bin noch am selben Tag in die Stadt gekommen. Ein anstrengender Ritt. Man kann es in acht Stunden schaffen, wenn man ein gutes Pferd hat. Ich bin bei Tagesanbruch losgeritten und in der Abenddämmerung hier angekommen -im Herbst sind die Tage kurz. Die Sklaven haben mir die Leiche gezeigt. Die Wunden...« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern.
»Und haben sie dir auch die Straße gezeigt, in der er ermordet wurde?«
Sextus Roscius starrte zu Boden. »Ja.«
»Den genauen Tatort?«
Er schauderte. »Ja.«
»Ich muß ihn persönlich in Augenschein nehmen.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht noch einmal dorthin gehen.«
»Ich verstehe. Die beiden Sklaven können es mir zeigen, Felix und Chrestus.« Ich beobachtete sein Gesicht. Ein Leuchten blitzte in seinen Augen auf, und ich war auf einmal argwöhnisch, obwohl ich nicht sagen konnte, weswegen. »Ah«, sagte ich, »aber die Sklaven sind ja in Ameria, oder nicht?«
»Das habe ich dir doch schon gesagt.« Roscius schien trotz der Hitze zu zittern.
»Aber ich muß den Tatort so bald wie möglich inspizieren. Ich kann nicht warten, bis diese Sklaven nach Rom gebracht worden sind. Soweit ich weiß, war dein Vater auf dem Weg zu einem Etablissement, das man das Haus der Schwäne nennt. Vielleicht hat sich das Verbrechen ja in der Nähe ereignet. «
»Ich hab noch nie von dem Lokal gehört.« Log er mich an oder nicht? Ich betrachtete sein Gesicht, aber mein Instinkt versagte.
»Vielleicht könntest du mir trotzdem erklären, wie ich zum Tatort komme?«
Er konnte und er tat es. Das überraschte mich ein wenig, wenn ich in Betracht zog, wie wenig er sich in der Stadt auskannte. Es gibt tausend Straßen in Rom, und nur eine Handvoll von ihnen hat Namen. Aber anhand der markanten Punkte, an die Roscius sich erinnern konnte, tüftelten Cicero und ich mit vereinten Kräften die Route aus. Es war so kompliziert, daß wir es aufschreiben mußten. Cicero sah sich um und murmelte etwas von Tiros Abwesenheit; zum Glück hatte Tiro seine Wachstafel und seinen Stylus hinter Ciceros Stuhl auf dem Boden liegenlassen. Rufus erklärte sich bereit, die Schreibarbeit zu übernehmen.
»Nun sag mir, Sextus Roscius: Weißt du, wer deinen Vater ermordet hat?«
Er senkte den Blick und sagte sehr lange nichts. Vielleicht war es nur die Hitze, die ihn erschöpft hatte. »Nein.«
»Trotzdem hast du Cicero erzählt, daß du dasselbe Schicksal befürchtest -daß irgendwelche Männer entschlossen seien, auch dich zu töten. Daß die Anklage selbst ein Angriff auf dein Leben sei.«
Roscius schüttelte den Kopf und schlang die Arme um sich. Das trotzige Leuchten in seinen traurigen Augen wurde matt. »Nein, nein«, murmelte er. »So was hab ich nie gesagt.« Cicero warf mir einen erstaunten Blick zu. Roscius’ Gemurmel wurde lauter. »Gebt es auf, alle miteinander! Gebt es auf! Ich bin ein todgeweihter Mann. Man wird mich in den Tiber werfen, in einen Sack eingenäht, und wofür? Für nichts! Was soll nur aus meinen beiden kleinen Töchtern werden, meinen hübschen kleinen Töchtern, meinen schönen Mädchen?« Er fing an zu weinen.
Rufus trat neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter, doch Roscius schüttelte sie heftig ab.
Ich erhob mich und verbeugte mich förmlich. »Kommt, meine Herren, ich glaube, wir sind hier für heute fertig.«
Cicero stand widerwillig auf. »Aber du hast doch sicher gerade erst angefangen. Frag ihn -«
Ich legte einen Finger auf meine Lippen, wandte mich zum Gehen und rief Rufus, der noch immer versuchte, Sextus Roscius zu trösten. Ich hielt den Vorhang für Cicero und Rufus zur Seite und warf dann einen letzten Blick zurück zu Roscius, der zitternd auf seinen Fingerknöcheln herumkaute.
»Über dir schwebt ein schrecklicher Schatten, Sextus Roscius von Ameria. Ob es Schuld, Scham oder Furcht ist, kann ich nicht erkennen, und du hast offenbar nicht die Absicht, es zu erklären. Aber ob es dich nun tröstet oder quält: Ich verspreche dir, daß ich alles in meinen Kräften Stehende unternehmen werde, um den Mörder deines Vaters zu entlarven, wer immer es sei; und ich werde erfolgreich sein.«
Roscius hieb mit der Faust auf die Lehne. Seine Augen waren noch immer feucht, aber er weinte nicht mehr. Das Feuer war wieder aufgelodert.
»Mach, was du willst!« fuhr er mich an. »Noch so ein Großstadtidiot. Ich hab dich nicht um deine Hilfe gebeten. Als ob die Wahrheit von irgendeiner Wichtigkeit oder Bedeutung wäre. Geh schon, geh und begaffe seine Blutflecken auf dem Boden! Geh und schau dir an, wo der Alte auf dem Weg zu seiner Hure gestorben ist! Was für einen Unterschied macht das schon? Selbst hier bin ich nicht sicher!«
Das war nicht alles. Ich ließ meinen Arm sinken, und der schwere Vorhang verschluckte den Rest seiner Beschimpfungen.
»Mir kommt es so vor, als wüßte er mehr, als er uns sagt«, sagte Rufus, als wir durch den Flur zu Caecilias Flügel gingen.
»Natürlich tut er das. Aber was?« Cicero verzog das Gesicht. »Ich beginne zu verstehen, warum Hortensius den Fall abgegeben hat.«
»Tatsächlich?« fragte ich.
»Der Mann ist unmöglich. Wie soll ich ihn verteidigen? Verstehst du jetzt, warum Caecilia ihn in diesen stinkigen Winkel des Hauses verbannt hat. Am liebsten würde ich den Fall auch wieder abgeben.«
»Davon würde ich dir abraten.«
»Wieso?
»Weil meine Ermittlung eben erst begonnen hat und wir bereits einen vielversprechenden Anfang gemacht haben.«
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