Cicero blickte unbestimmt in die Ferne, während er sprach. Caecilia starrte ihn an, die Augen hinter ihrem Fächer konzentriert zusammengekniffen.
»Ein Sack ist vorzubereiten, groß genug, einen Menschen aufzunehmen, aus Fellen und so dicht genäht, daß er wasser-und luftdicht ist. Wenn die Auspeitscher ihr Werk vollendet haben - das heißt, wenn der Vatermörder von oben bis unten mit Blut bedeckt ist, daß man nicht mehr sagen kann, wo das Blut endet und das rohe Fleisch beginnt -, muß der Verurteilte dazu gebracht werden, in diesen Sack zu kriechen. Der Sack soll in einiger Entfernung von den Podesten bereitgehalten werden, damit das versammelte Volk ihn kriechen sehen, mit Kot und Abfall bewerfen und verfluchen kann.
Wenn er den Sack erreicht hat, soll er gezwungen werden, hineinzukriechen. Wenn er Widerstand leistet, wird er zurück zu den Podesten geschleift, und die Bestrafung beginnt von vorne.
Innerhalb des Sacks ist der Vatermörder gleichsam in den Mutterleib zurückgekehrt, ungeboren gemacht. Die Geburt, so sagen uns die Philosophen, ist eine Qual. Ungeboren gemacht zu werden ist eine noch größere Qual. In den Sack, der an dem zerfetzten, blutenden Fleisch des Vatermörders scheuert, werden jetzt vier lebendige Tiere getrieben. Zunächst ein Hund, das sklavischste und verachtenswerteste aller Tiere, und ein Hahn mit besonders geschärftem Schnabel und Krallen. Diese Symbole sind uralt: Hund und Hahn, Wächter und Wecker, Beschützer von Heim und Herd; weil sie beim Schutz des Vaters vor dem Sohn versagt haben, müssen sie ihren Platz zusammen mit dem Mörder einnehmen. Hinzu kommt noch eine Schlange, das männliche Prinzip, das, selbst wenn es Leben gibt, noch töten kann, und ein Affe, die grausamste Parodie der Götter auf die Menschheit.«
»Stell dir das vor!« seufzte Caecilia hinter ihrem Fächer. »Stell dir diesen Lärm vor!«
»Alle fünf sollen gemeinsam in den Sack eingenäht und zum Ufer des Flusses getragen werden. Der Sack darf nicht gerollt oder mit Stöcken geschlagen werden - die Tiere darin müssen lebendig bleiben, damit sie den Vatermörder so lange wie möglich quälen können. Während die Priester die letzten Flüche aussprechen, wird der Sack in den Tiber geworfen. Am ganzen Flußlauf bis Ostia sollen Beobachtungsposten eingerichtet werden; wenn der Sack auf Grund läuft, muß er sofort wieder in die Strömung zurückgestoßen werden, bis er das offene Meer erreicht hat und aus dem Blickfeld verschwunden ist.
Der Vatermörder zerstört den Quell seines eigenen Lebens. So sollen ihm, wenn er sein Leben aushaucht, eben jene Elemente vorenthalten werden, die der Welt Leben schenken -ohne Erde, Luft und Wasser, ja sogar ohne Sonnenlicht soll er seine letzten qualvollen Stunden oder Tage zubringen, bis der Sack schließlich an den Nähten platzt, sein Inhalt vom Meer verschlungen wird und seine Überreste von Jupiter zu Neptun und weiter an Pluto gereicht werden, jenseits der Zuwendung, Erinnerung und selbst des Ekels der Menschheit.«
Der Raum war in Schweigen verfallen. Schließlich atmete Cicero lange und tief ein. Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen, und ich fand, daß er selbstzufrieden aussah, wie ein Schauspieler oder Redner nach einer erfolgreichen Rezitation.
Caecilia senkte ihren Fächer. Unter ihrer Schminke war sie aschfahl. »Wenn du ihn kennenlernst, Gordianus, wirst du ihn jetzt verstehen. Der arme junge Sextus, du wirst begreifen, warum er so verzweifelt ist. Wie ein Kaninchen, das gelähmt ist vor Angst. Der arme Junge. Das werden sie ihm antun, wenn man sie nicht aufhält. Du mußt ihm helfen, junger Mann. Du mußt Rufus und Cicero helfen, sie daran zu hindern.«
»Natürlich. Ich werde tun, was ich kann. Wenn die Wahrheit Sextus Roscius retten kann - ich vermute, er hält sich irgendwo hier im Haus auf?«
»Oh, ja, er darf das Haus nicht verlassen; du hast die Wachen gesehen. Er wäre jetzt auch hier bei uns, wenn...«
»Ja?«
Rufus räusperte sich. »Wenn du ihn triffst, wirst du ja sehen.«
»Was werde ich sehen?«
»Der Mann ist ein Wrack«, sagte Cicero. »Völlig in Panik, wirr und restlos verzweifelt. Beinahe wahnsinnig vor Angst.«
»Hat er solche Angst, verurteilt zu werden? Die Anklage gegen ihn muß auf sehr starken Füßen stehen.«
»Natürlich hat er Angst.« Caecilia schlug mit dem Fächer nach einer Fliege, die sich auf ihrem Arm niedergelassen hatte. »Hättest du etwa keine Angst, wenn dir etwas derart Entsetzliches droht. Und nur weil er unschuldig ist, heißt das ja noch lange nicht... nun ja, was ich sagen will, wir alle kennen Fälle, besonders seit... ich meine, seit einem Jahr oder so... wenn man unschuldig ist, heißt das in diesen Tagen kaum, daß man sich in Sicherheit wiegen kann.« Sie warf Rufus einen kurzen Blick zu, den er angestrengt ignorierte.
»Der Mann fürchtet sich vor seinem eigenen Schatten«, sagte Cicero. »Er hatte schon Angst, als er herkam, aber jetzt hat er noch mehr Angst. Angst, verurteilt zu werden, und Angst vor einem Freispruch. Er behauptet, daß derjenige, der seinen Vater ermordet hat, entschlossen ist, auch ihn umzubringen, und daß der Prozeß selbst eine Intrige sei, ihn zu erledigen. Wenn die Justiz versagt, werden sie ihn auf offener Straße ermorden.«
»Er wacht mitten in der Nacht schreiend auf«, sagte Caecilia, nach der Fliege schlagend. »Ich kann ihn durchs ganze Haus rüber bis in den Westflügel hören. Alpträume. Ich glaube, der Affe ist das schlimmste. Bis auf die Schlange... «
Rufus schüttelte sich. »Caecilia sagt, daß er sogar erleichtert war, als man die Wachen vor der Tür postiert hat - als ob sie hier wären, um ihn zu beschützen, anstatt seine Flucht zu verhindern. Von wegen Flucht! Er verläßt nicht einmal sein Zimmer.«
»Das stimmt«, sagte Cicero. »Sonst hättest du ihn in meinem Arbeitszimmer kennengelernt, Gordianus, ohne daß wir unsere Gastgeberin hätten belästigen müssen.«
Caecilia lächelte spröde, um das Kompliment zu würdigen. Im nächsten Moment schoß ihr Blick zum Tisch, und ihr Fächer klatschte auf die Platte. Diese Fliege würde sie jedenfalls nicht mehr belästigen.
»Ich hätte sie im Laufe meiner Ermittlungen ohnehin früher oder später aufsuchen müssen.«
»Aber warum?« wandte Cicero ein. »Caecilia weiß nichts über den Mord. Sie ist lediglich eine Freundin der Familie, keine Zeugin.«
»Nichtsdestoweniger war Caecilia Metella eine der letzten, die den älteren Roscius lebend gesehen hat.«
»Ja, das stimmt.« Sie nickte. »Er hat sein letztes Mahl in genau diesem Raum eingenommen. Oh, wie er diesen Raum geliebt hat. Er hat mir einmal erzählt, daß er mit der freien Natur nichts anzufangen wüßte. Felder und Weiden und das Landleben in Ameria haben ihn unendlich gelangweilt. >Das hier reicht mir als Garten vollkommen< hat er einmal erklärt.« Sie wies auf die bemalten Wände. »Siehst du den Pfau, der dort drüben auf der Südwand ein Rad schlägt? Da, die Sonne fällt eben darauf. Wie er dieses Bild geliebt hat, die Farben - ich weiß noch, er nannte ihn immer seinen Gaius und wollte, daß ich dasselbe tat. Gaius liebte diesen Raum auch sehr.«
»Gaius?«
»Ja. Sein Sohn.«
»Ich dachte, der Tote hätte nur einen Sohn.«
»O nein. Nun, ja, ein Sohn verblieb ihm, nachdem Gaius gestorben war.«
»Und wann war das?«
»Laß mich nachdenken. Vor drei Jahren? Ja, ich kann mich noch gut daran erinnern, weil es der Abend von Sullas Triumph war. Überall auf dem Palatin fanden Feste statt. Menschen zogen von einer Versammlung zur nächsten. Jeder feierte - der Bürgerkrieg war endlich vorbei. Ich habe selbst einen Empfang gegeben, in diesem Raum, alle Türen zum Garten standen offen. Es war ein lauer Abend - das Wetter war, wie es zur Zeit ist. Sulla persönlich war eine Weile hier. Ich erinnere mich noch an den Witz, den er machte. >Heute abend<, sagte er, >gibt es für jeden, der in Rom Rang und Namen hat, nur eine Alternative: feiern oder fliehen !< Natürlich gab es einige, die gefeiert haben, obwohl sie besser geflohen wären. Aber wer hätte sich damals auch vorstellen können, daß die Dinge sich so weit entwickeln würden?« Sie zog die Brauen hoch und seufzte.
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