»Nein, aber wenn du Sextus Roscius triffst -«
»Du redest dauernd davon, daß ich irgendwelche Leute treffen soll - zuerst Caecilia Metella, jetzt Sextus Roscius, werden sie bald zu uns stoßen?«
»Eigentlich wäre es das beste, wenn wir sie aufsuchen.«
»Was macht dich so sicher, daß ich mitkommen werde? Ich bin unter dem Eindruck hierhergekommen, du hättest Arbeit für mich, aber bis jetzt hast du mir noch nicht einmal erklärt, was du eigentlich willst. Von Bezahlung war bisher ebensowenig die Rede.«
»Ich kenne dein übliches Honorar, zumindest soweit Hortensius mich davon unterrichten konnte. Ich bin davon ausgegangen, daß er Bescheid weiß.«
Ich nickte.
»Was den Auftrag anbetrifft, geht es um folgendes: Ich möchte einen Beweis für Sextus Roscius’ Unschuld. Mehr noch, ich will wissen, wer die wahren Mörder sind. Mehr noch, ich will wissen, wer diese Mörder beauftragt hat und warum. Und all das binnen acht Tagen, vor den Iden.«
»Du tust so, als hätte ich den Auftrag schon angenommen. Vielleicht bin ich nicht interessiert, Cicero.«
Er schüttelte den Kopf und lächelte ein dünnlippiges Lächeln. »Du bist nicht der einzige, der Schlüsse über den Charakter eines anderen Menschen ziehen kann, bevor er ihn getroffen hat, Gordianus. Ich weiß das eine oder andere über dich. Genaugenommen drei Dinge. Jedes dieser drei würde dich veranlassen, den Fall anzunehmen. Erstens brauchst du Geld. Ein Mann mit deinen Mitteln, der in einem großen Haus auf dem Esquilin lebt - da kann es gar nicht genug Geld geben. Hab ich recht?«
Ich zuckte die Schultern.
»Zweitens hat Hortensius mir erzählt, daß du Geheimnisse liebst. Oder vielmehr Geheimnisse haßt. Du bist der Typ, der das Ungewisse nicht ertragen kann, der sich getrieben fühlt, die Wahrheit der Unwahrheit zu entreißen, im Chaos nach einer verborgenen Ordnung zu suchen. Wer hat den alten Roscius ermordet, Gordianus? Du hängst schon am Haken wie ein Fisch an der Angel. Gib’s zu.«
»Na ja... «
»Drittens bist du ein Mann, der die Gerechtigkeit liebt.«
»Hat dir das auch Hortensius gesagt? Hortensius könnte einen Gerechten nicht von -«
»Das hat mir keiner gesagt. Das habe ich in der letzten halben Stunde selbst herausbekommen. Kein Mensch, der die Gerechtigkeit nicht liebt, würde so offen seine Meinung sagen wie du. Ich biete dir eine Gelegenheit, etwas dafür zu tun.« Er beugte sich in seinem Stuhl vor. »Könntest du mit ansehen, wie ein Unschuldiger hingerichtet wird? Wirst du den Fall also übernehmen oder nicht?«
»Das werde ich.«
Cicero klatschte in die Hände und sprang auf. »Gut. Sehr gut! Wir machen uns sofort auf den Weg zu Caecilias Haus.«
»Jetzt sofort? In der Hitze? Es ist gerade Mittag vorbei.«
»Wir dürfen keine Zeit vergeuden. Wenn dir die Hitze zu viel ist, könnte ich eine Sänfte für dich kommen lassen - aber nein, das würde zu lange dauern. Es ist nicht weit, Tiro, hol uns zwei breitkrempige Hüte.«
Tiro warf seinem Herrn einen kläglichen Blick zu.
»Na gut, dann hol drei.«
6
»Was läßt dich annehmen, daß sie zu dieser Stunde überhaupt wach ist?«
Das Forum lag völlig verlassen da. Die Pflastersteine schimmerten in der Hitze. Keine Menschenseele war unterwegs mit Ausnahme von uns dreien, die wir wie Diebe über die Steinplatten schlichen. Ich ging schneller. Die Hitze brannte durch die dünnen Sohlen meiner Schuhe. Meine beiden Begleiter trugen teures Schuhwerk, wie ich bemerkte, mit dickeren Sohlen zum Schutz ihrer Füße.
»Caecilia wird bestimmt wach sein«, versicherte mir Cicero. »Sie leidet unter hoffnungsloser Schlaflosigkeit - soweit ich das beurteilen kann, schläft sie nie.«
Wir erreichten den Fuß der Via Sacra. Mein Mut sank, als ich die steile, schmale Straße hinaufblickte, die zu den imposanten Villen auf dem Palatin führte. Die Straße bestand nur aus Steinen und Sonne und war völlig ohne jeden Schatten. Die Schichten flirrender Hitze ließen den Gipfel des Palatin im Dunst verschwimmen, sehr hoch und sehr weit weg.
Wir begannen den Aufstieg. Tiro ging voran und schien die Anstrengung nicht zu bemerken. Der Eifer, mit dem er sich als Begleiter angeboten hatte, kam mir merkwürdig vor. Es war mehr als bloße Neugierde und der Wunsch, seinem Herrn zu folgen. Aber es war zu heiß, um weiter darüber zu grübeln.
»Um eines muß ich dich bitten, Gordianus.« Cicero zeigte erste Anzeichen von Ermattung, aber er redete darüber hinweg wie ein wahrer Stoiker. »Mir hat die Offenheit gefallen, mit der du eben in meinem Arbeitszimmer gesprochen hast. Niemand könnte behaupten, daß du kein ehrlicher Mann bist. Aber hüte deine Zunge in Caecilias Haus. Ihre Familie ist seit langem mit Sulla verbunden - seine verstorbene vierte Frau war eine Metella.«
»Du meinst die Tochter von Delmaticus? Von der er sich hat scheiden lassen, als sie auf dem Sterbebett lag?«
»Genau. Die Metelli waren über die Scheidung nicht eben glücklich, trotz Sullas Ausflüchten.«
»Die Auguren haben in eine Schale mit Schafeingeweiden geblickt und ihm gesagt, die Krankheit seiner Frau würde das ganze Haus verpesten.«
»Das hat Sulla jedenfalls behauptet. Caecilia selbst würde wahrscheinlich an nichts, was du sagen könntest, Anstoß nehmen, aber man kann nie wissen. Sie ist eine alte Frau, unverheiratet und kinderlos. Sie hat bisweilen merkwürdige Anwandlungen - wie alle Frauen, die zu lange sich selbst überlassen bleiben, ohne Ehemann und Familie, die sie mit vernünftigen Aufgaben beschäftigt halten könnten. Momentan gehört ihre Leidenschaft jedem orientalischen Kult, der gerade neu und schick in Rom ist, je entlegener und bizarrer, desto besser. Rein irdische Angelegenheiten berühren sie nicht so besonders.
Aber es ist durchaus wahrscheinlich, daß noch jemand mit besseren Ohren und schärferen Augen im Haus ist, ich denke an meinen guten jungen Freund Marcus Messalla - wir nennen ihn wegen seines roten Haares Rufus. Er ist kein Fremder in Caecilia Metellas Haus; er kennt sie seit seiner Kindheit, und sie ist beinahe so etwas wie eine Tante für ihn. Ein prächtiger junger Mann -oder mit seinen sechzehn Jahren noch nicht ganz ein junger Mann. Rufus kommt recht häufig zu Zusammenkünften, Vorträgen und dergleichen in mein Haus, und er kennt sich bei Gericht schon ziemlich gut aus. Er möchte unbedingt bei der Verteidigung von Sextus Roscius helfen.«
»Aber?«
»Aber seine familiären Verbindungen machen ihn gefährlich. Hortensius ist sein Halbbruder - als er den Fall abgab, schickte er den jungen Rufus zu mir, um mir die Sache anzudienen. Noch entscheidender jedoch ist, daß die ältere Schwester des Jungen eben jene Valeria ist, die Sulla vor kurzem zur fünften Frau genommen hat. Der arme Rufus empfindet wenig Zuneigung für seinen neuen Schwager, aber die Heirat hat ihn in eine prekäre Lage gebracht. Ich möchte dich bitten, dich in seiner Gegenwart mit Beleidigungen unseres geschätzten Diktators zurückzuhalten.«
»Natürlich, Cicero.« Als ich das Haus am Morgen verlassen hatte, hätte ich im Leben nicht angenommen, in Kürze mit solch hochadeligen Zeitgenossen wie den Metelli und den Messalli zu verkehren. Ich betrachtete meine Kleidung, eine gewöhnliche Bürgertoga über einer schlichten Tunika. Der einzige Tupfer Purpur war ein Rotweinflecken knapp über dem Saum. Bethesda behauptete, Stunden mit dem vergeblichen Versuch zugebracht zu haben, ihn zu entfernen.
Als wir den Gipfel erklommen hatten, zeigte selbst Tiro Zeichen von Erschöpfung. Schweiß klebte seine dunklen Locken auf seine Stirn. Sein Gesicht war vor Anstrengung gerötet - oder vielleicht auch vor so etwas wie erregter Erwartung. Erneut fragte ich mich, warum es ihn so zu Caecilia Metellas Haus drängte.
»Hier ist es«, keuchte Cicero und blieb stehen, um zu Atem zu kommen. Das Haus vor uns war ein riesiger, langgezogener Bau, rosafarben verputzt und umgeben von uralten Eichen. Die Tür war unter einem Portico in die Mauer eingelassen und wurde von zwei behelmten Soldaten in voller Kampfausrüstung mit Schwertern in den Gürteln und Speeren in den Fäusten flankiert. Ergraute Veteranen von Sullas Armee, wie ich erschrocken bemerkte.
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