Ein Fensterladen klapperte, und Athelstan fuhr zusammen, als ein dunkler Schatten auf dem binsenbestreuten Fußboden landete.
»Bonaventura!« murmelte er. Der Kater kam herangetappt und rieb sich majestätisch am Bein des Ordensbruders. »Nun, Herr Kater, seid Ihr gekommen, um zu speisen?«
Der Kater streckte sich und machte dann einen Buckel. Athelstan ging in die Speisekammer, goß Milch in eine rissige Zinnschüssel und sah zu, wie der Kater alles aufschleckte, bevor er sich vorm Feuer ausstreckte. Athelstan ging zum Fenster und schloß die Läden. Fenster, Türen, Gänge, dachte er - und Rothands Gestammel und Simons düstere Warnungen gingen ihm durch den Kopf. Neidisch sah er den Kater an. »Manche haben’s gut«, knurrte er und setzte sich wieder an seine Pergamente. Er nahm sich jeden Namen einzeln vor und baute eine Argumentationskette auf, als gelte es, eine theologische Disputation zu verfassen.
Die Stunden vergingen. Athelstan rieb sich müde die Augen. Nur ein Weg blieb noch: der, den Lady Maude ihm mit ihrer unschuldigen Bemerkung gezeigt und der ihn so abrupt nach Southwark hatte zurückkehren lassen. Athelstan zeichnete einen groben Grundriß des Tower und bedachte die Schlüsse, die er gezogen hatte. Kurz vor Tagesanbruch war er dann endlich zufrieden. Er hatte den Mörder gefunden - mehr aber nicht. Für alles weitere brauchte er Cranston.
Am nächsten Morgen ritt Sir John wie ein junger Ritter die Cheapside hinunter zur Goldenen Mitra. Er hatte das Gefühl zu schweben. Sogar der kalte Morgenwind war warm und sanft wie die Liebkosung einer jungen Frau.
Cranston hatte Lady Maude auf das leidenschaftlichste umarmt, bevor er aufgestanden war. Tränenreich hatte sie sich an seine Brust geschmiegt und gestammelt, daß sie bald mit ihm sprechen wolle. Er hatte süße Nichtigkeiten gemurmelt, ihr den Kopf gestreichelt, und dann war er aufgestanden, hatte sich angekleidet und war nach unten gegangen. Dort hatte er nach einem Becher Sherry gebrüllt, während ein Hausknecht sein Pferd sattelte. Zu wissen, daß er wieder Vater werden würde, machte ihn stolz wie einen Pfau. Er belohnte sich mit einem Schluck aus seinem »wunderbaren Weinschlauch«, wie Athelstan ihn nannte, und genoß den kräftigen roten Saft. Überschwenglich strahlte er in die Runde. Oh, der Tag war herrlich und das Leben eine Wonne!
Sir John streute einer Schar Bettler, die fröstelnd an der Ecke der Mercery hockten, eine Handvoll Pennies hin. Er brüllte den Geflügelmetzgern, die an ihren großen Eisenbottichen standen und Hühner und anderes Federvieh für das Weihnachtsfest säuberten und ausnahmen, fröhliche Beschimpfungen zu. Eine Hure wurde mit nackten Schultern durch die Straßen geführt; auf ihrem kahlrasierten Schädel trug sie eine spitze weiße Mütze. Ein Dudelsackpfeifer schritt vor ihr her, und ein gekritzeltes Schild, das an ihrem schmutzigen Mieder steckte, erklärte sie zur stadtbekannten Schlampe. Cranston hielt die Prozession an und befahl, sie freizulassen.
»Aber warum, Sir John?« fragte ein rattenmäuliger Büttel verblüfft.
»Weil Weihnachten ist!« dröhnte Cranston. »Und weil Christus, der schöne Knabe aus Bethlehem, wieder zu uns kommt!«
Der Büttel wollte widersprechen, aber Cranston griff nach seinem Dolch, und der Kerl schnitt die Fesseln durch. Die Frau streckte dem Büttel die Zunge heraus, bedachte Cranston mit einer obszönen Geste und huschte durch eine Gasse davon. Sir John ritt weiter nach Petty Wales. An der Schenke warf er dem Hausknecht die Zügel zu und betrat den angenehm duftenden Schankraum.
»Mönch, wo zum Teufel steckst du?« brüllte er, daß die anderen Gäste um ihr liebes Leben fürchteten und der Wirt mit aufgerissenen Augen angelaufen kam, um ihn zu bedienen.
»Sir John, Ihr seid glücklich?«
»Glücklich wie eine Fliege auf einem Pferdearsch im Sommer!« brüllte Sir John und warf dem Wirt den wunderbaren Weinschlauch zu. »Vollmachen! Der Bruder hat gesagt, wir treffen uns hier«, knurrte er. Er spähte durch das verräucherte Halbdunkel, sah Athelstan dösend an einem Tisch sitzen und nickte.
»Bring mir einen Becher Wein«, befahl Cranston dem Wirt. »Frische Haferbrötchen und einen Streifen gedörrten Speck.« Er schmatzte. »Für den Bruder eine dicke Suppe - und auch wenn Advent ist, wird er einen Krug verdünntes Ale nicht ablehnen!«
Der Coroner trat breitbeinig an Athelstans Tisch und klopfte dem dösenden Ordensbruder auf die Schulter. »Auf, auf, Bruder!« blökte er. »Denn, verflucht, der Teufel geht um wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen könnte!«
»Hoffentlich hat er nicht so schwere Pranken wie Ihr, Sir John«, murrte Athelstan, schlug die Augen auf und hob müde den Kopf. Cranston beugte sich zu ihm herunter. »Guten Morgen, Mönch!«
»Ich bin Ordensbruder.«
»Guten Morgen, Ordensbruder. Und warum bist du nicht voller Weihnachtsfreude?«
»Weil ich friere, Sir John, weil ich müde bin und völlig erschöpft.« Athelstan wollte die Litanei seiner Leiden fortsetzen, als er den Schelm sah, der wie kleine Teufel in Cranstons Augen tanzte. »Aber es ist schön, Euch glücklich zu sehen, Sir John. Ich nehme an, Ihr habt etwas zu essen bestellt?«
Cranston nickte, riß sich den mächtigen Biberhut vom Kopf und ließ sich gegenüber auf die Bank fallen.
Sie hatten sich satt gegessen, und Cranston hatte zwei Becher Rotwein vertilgt, bevor Athelstan mit seinem Bericht fertig war. Der Coroner schüttelte den Kopf, stellte ein paar Fragen und pfiff dann leise.
»In drei Teufels Namen - bist du sicher, Bruder? So viel aus einer unschuldigen kleinen Bemerkung von Lady Maude?«
Athelstan zuckte die Achseln. »Lady Maudes kleine Bemerkungen haben in den letzten paar Tagen für eine Menge Bestürzung gesorgt, Sir John.«
Cranston rülpste, stand auf und brüllte nach seinem Weinschlauch, und dabei warf er dem Wirt ein paar Münzen hin. »Habt Ihr getan, worum ich Euch gebeten hatte, Sir John?«
»Ja, Bruder, das habe ich.« Sir John streckte sich und gähnte. »Alle unsere Verdächtigen warten im Tower; nur Parchmeiner kommt später. Willst du zuerst Colebrooke sehen?«
»Und Rothand?«
»Ah ja, Rothand.«
»Ihr habt den Haftbefehl, Sir John?«
»Ich brauche keinen verdammten Haftbefehl, Mönch! Ich bin Cranston, der Coroner des Königs in dieser Stadt. Entweder sie beantworten die Frage, oder sie werden die Folgen zu tragen haben.«
Die beiden ließen die Pferde an der Schenke und wanderten durch ein paar Gassen zum gähnenden Eingang des Tower. Colebrooke erwartete sie im Torhaus. Athelstan sah, daß er Halsberge, Kettenhemd und Beinschienen trug.
»Ihr erwartet Schwierigkeiten, Master Lieutenant?«
»Sir Johns Anweisungen waren ziemlich strikt«, antwortete Colebrooke.
»Wo ist Rothand?«
»Warum wollt Ihr diesen verrückten Hund sehen?«
»Weil ich es befohlen habe«, antwortete Cranston.
Sie überquerten die Wiese; das kärgliche Gras schimmerte jetzt durch den grauen Matsch. Zwei Soldaten trotteten hinter ihnen her. Colebrooke schickte den einen zu einer kleinen Tür im Fuße des White Tower. Athelstan schaute betrübt zu der Ecke hin, wo der große Bär gesessen hatte. Die Stelle wirkte jetzt leer und einsam, aber der Boden trug noch Spuren des Aufenthaltes, und ein paar klägliche Essensreste lagen auf dem Kopfsteinpflaster verstreut.
»Gott schenke der Seele des Bären die ewige Ruhe«, betete Athelstan.
Cranston drehte sich um. »Haben Bären eine Seele, Bruder? Kommen sie in den Himmel?«
Athelstan grinste. »Wenn Ihr im Himmel Bären braucht, Sir John, dann wird es sie dort auch geben. Aber in Eurem Fall besteht der Himmel vermutlich aus einer endlosen Reihe von Schenken und geräumigen Ale-Stuben.«
Cranston schlug sich mit dem Handschuh auf den Schenkel. »Du gefällst mir, Bruder!« Und er strahlte den überraschten Colebrooke an.
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