»Also, heraus damit!« verlangte er und baute sich vor ihnen auf. »Was ist passiert?«
Sie scharrten mit den Füßen und schauten zu Boden. Benedicta kümmerte sich plötzlich eingehend um einen unsichtbaren Fleck auf ihrem Kleid.
»Es ist wegen dem Friedhof, Pater!« platzte Watkin heraus. »Tosspots Grab ist aufgemacht worden.«
»Wann?«
»In der Nacht, nachdem Ihr weggeritten seid.«
Athelstan war so wütend geworden, daß er Ausdrücke benutzte, die selbst Pike erbleichen ließen.
»Vielleicht unternimmt Sir John jetzt etwas«, unterbrach Benedicta ihn taktvoll. »Oder wir schreiben eine Petition an den Bezirksamtmann.«
»Aye!« fauchte Athelstan. »Und vielleicht können Schweine fliegen, und morgen finden wir Koteletts auf den Bäumen! Leute, die etwas so Schreckliches tun, sind Dreckskerle! Sie sind böse und fürchten weder Gott noch die Menschen. Selbst die Heiden ehren den Leib eines Toten. Nicht einmal ein Hund würde so etwas tun!«
Seine Schäfchen wichen zurück; die schreckliche Wut ihres sanftmütigen Priesters schreckte sie mehr als die grausige Nachricht, die sie ihm gebracht hatten. Athelstan stürmte in sein Haus und leerte einen Becher Wein mit einer Geschwindigkeit, die Cranston bewundert hätte.
Er schlief unruhig in dieser Nacht, denn er kochte noch immer vor Wut über die Entweihung seines Friedhofes. Am nächsten Morgen stand er früh auf, öffnete die Kirche, fütterte Bonaventura flüchtig, leierte hastig die Morgengebete herunter und konzentrierte sich mit Mühe auf die heilige Messe. Der Kater Bonaventura, schlau, wie er war, schien die Wut seines Herrn zu spüren und schlich sich leise davon. Am Ende des Gottesdienstes, vor dem Schlußsegen, sagte Athelstan in scharfem, knappem Ton:
»Unser Friedhof ist wieder einmal geschändet worden. Ich, Athelstan, Pfarrer dieser Gemeinde, sage, und Gott sei mein Zeuge: Hier wird niemand mehr beerdigt werden, ehe die Erde neuerlich geweiht und dieses Problem aus der Welt geschafft ist!« Mit funkelnden Augen sah er seine kleine Gemeinde an. »Ich werde zu den Höchsten des Landes gehen, und wenn es der junge König selbst ist oder der Erzbischof von Canterbury.
Man wird Wachen aufstellen und - Gott verzeihe mir! - ich werde diese Schurken hängen sehen!«
Seine Gemeinde ging still hinaus, und Athelstan bekam, als er sich allmählich beruhigte, leise Gewissensbisse, als er auf Tosspots verwüstetes Grab schaute.
»Dein Temperament, Priester«, brummte er bei sich, »ist so wenig gezähmt wie vor zwanzig Jahren, und deine Zunge ist so scharf wie eh und je.«
Er atmete tief. Ja, er war zu hart gewesen, dachte er, war viel zu schroff mit Benedicta und den anderen umgegangen, aber vor allem mit der Witwe. Sie war nach der Messe noch einen Augenblick geblieben - nicht, um zu plaudern, sondern nur, um ihm zu sagen, daß der Oberbüttel des Bezirks, Master Bladdersniff, sie auf dem Weg zur Kirche angesprochen habe. Er wünsche Athelstan in einer dringenden Angelegenheit zu sehen.
»Ah ja«, knurrte Athelstan, »Master Bladdersniff will, wie gewöhnlich, die Stalltür verriegeln, wenn das Pferd fortgelaufen ist!« Er fühlte, wie die Wut von neuem in ihm aufwallte. Wäre St. Erconwald eine der reichen Stadtkirchen gewesen, dann hätte man sofort Wachen aufgestellt, und nichts dergleichen wäre geschehen. Nicht einmal Cranston, dieser Fettarsch von Coroner, hatte ihm geholfen, weil er wie eine jammernde Magd in seine eigenen Sorgen vertieft war.
Athelstan schaute sich auf dem Friedhof um; es war so kalt, so trostlos. Pater Peter fiel ihm ein, und er beneidete den Pfarrer von Woodforde um seine stille Häuslichkeit. »Verdammter Cranston!« murrte Athelstan. »Diese verfluchten Morde! Der verflixte Tower! Die verfluchten Herzen der Menschen und ihr böses Treiben! Ich bin ein Priester!« zischte er bei sich. »Nicht irgendein Gehilfe des Sheriffs!«
»Pfarrer Athelstan?«
Der Ordensbruder drehte sich um und funkelte den jungen Boten an, der in Mantel und Kapuze hinter ihm stand.
»Ja, Mann, was gibt’s?«
»Ich komme aus dem Tower. Sir John Cranston schickt mich. Er erwartet Euch in der Taverne Zum Heiligen Lamm an der Cheapside.«
»Sag dem Coroner«, versetzte Athelstan, »daß ich komme, wenn ich komme, und ich rate ihm, nüchtern zu sein!«
Der junge Mann sah ihn überrascht und gekränkt an. Athelstan zog eine Grimasse und spreizte die Hände.
»Mein Gott, Mann, es tut mir leid. Paß auf, du sagst Sir John, ich komme, sobald ich kann.«
Er trat einen Schritt näher und sah das bleiche, verkniffene Gesicht und die tropfende Nase. »Du frierst ja. Geh hinüber in mein Haus; da steht ein Krug Wein auf dem Tisch. Nimm dir einen Becher voll - du findest einen auf dem Bord über dem Kamin. Trink etwas von dem gewürzten Wein, damit du was Warmes in den Bauch kriegst, bevor du zurückläufst.«
Der Bote lief davon wie ein Windhund.
»Ach, übrigens«, rief Athelstan ihm nach, »ich habe gemeint, was ich gesagt habe: Sir John soll nicht so viel trinken.« Langsam ging Athelstan zurück zu seiner Kirche, stieg die Treppe hinauf und betrat den Vorraum.
»Pater?«
Athelstan schrak zusammen, als Master Luke Bladdersniff, der Oberbüttel des Bezirks, aus dem Schatten hervortrat; sein hageres, gelbliches Gesicht und das dünne Blondhaar verschwanden fast unter einer zerdrückten Bibermütze.
»Guten Morgen, Büttel.«
Athelstan betrachtete den Bezirksdiener; seine eng zusammenstehenden Augen waren dunkel umrändert und glichen tatsächlich Pißlöchem im Schnee, wie Cranston sie treffend beschrieb. Die Nase des Mannes hatte Athelstan schon immer fasziniert. Sie war gebrochen und leicht verbogen und verlieh Bladdersniff ein etwas komisches Aussehen, das schlecht zu der bombastischen Wichtigtuerei paßte, mit der der Bursche aufzutreten pflegte. Athelstan winkte ihn müde in die Kirche.
»Master Bladdersniff, Ihr seid bestimmt gekommen, um zu besprechen, weshalb mein Friedhof geschändet und die Gräber beraubt werden, ohne daß Ihr und der Bezirksrat irgend etwas dagegen unternehmt?«
Bladdersniff schüttelte den Kopf und spähte über die Schulter in die Dunkelheit des Kirchenvorraums.
»Was ist, Mann? Was gibt’s da drüben?«
Der Büttel klappte den Mund auf und zu wie ein gestrandeter Karpfen, und Athelstan schaute aufmerksamer hin. Der Kerl sah aus, als wolle er sich gleich übergeben. Sein bleiches Gesicht war grünlich überhaucht, und die dunklen Augen waren wäßrig, als ob Bladdersniff heftig gewürgt hätte.
»Um Himmels willen, Mann, was ist los?«
Wieder schaute der Büttel nach hinten ins Dunkel.
»Es ist wegen Tosspot«, flüsterte er.
»Was?«
»Tosspot! Oder wenigstens ein Teil von ihm.« Bladdersniff bedeutete dem Priester, ihm zu folgen.
Athelstan nahm sich einen Kienspan und ging hinter dem Büttel her, der in einer dunklen Ecke des Kirchenvorraums vor einem schmutzigen Stück Leinwand stehenblieb. Bladdersniff zog den Stoff beiseite, und Athelstan wandte sich angeekelt ab. Da lag das Bein eines Mannes, ein Teil davon wenigstens, so säuberlich und glatt über dem Knie abgeschnitten wie ein Stück Stoff von einem erfahrenen Schneider. Athelstan starrte den blutigen Stumpf und die fleckige Haut an.
»Gütiger Gott!« hauchte er, und der Gestank der Verwesung von dem etwas aufgedunsenen Fleisch drang ihm in die Nase. »Deckt das zu, Mann! Deckt es zu!«
Athelstan löschte seinen Kienspan, ging zur Kirche hinaus und blieb an der Treppe stehen; er atmete die frische Morgenluft in tiefen Zügen. Hinter sich hörte er Bladdersniff.
»Wie kommt Ihr darauf, daß das Tosspot gehörte?«
»Ihr erinnert Euch bestimmt, Pater, daß Tosspot seiner Kundschaft in der Schenke immer von seiner alten Kriegsverletzung erzählt hat, einer Pfeilwunde im Bein. Dauernd zeigte er seine Narbe herum wie eine Reliquie.«
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