»Noch so ein Schweinehund«, zischte Sir Fulke. »Ja, ja, Sir John, Horne war ein Freund meines Bruders.«
»Nun, er ist tot«, verkündete Cranston ohne Umschweife. »Gestern nacht in den Ruinen nördlich von hier ermordet.« Fitzormonde fluchte leise. Die anderen blickten erschrocken auf.
»Ich wüßte zu gern, wo jeder einzelne von Euch gewesen ist«, sagte Cranston.
»Bei den Zähnen der Hölle, Sir John!« fauchte Colebrooke. »Jetzt, wo es getaut hat, kann jeder unauffällig kommen und gehen.«
Cranston lächelte matt. Der Lieutenant hatte recht: Es wäre praktisch sinnlos, von allen Rechenschaft über ihre Aktivitäten zu fordern. Horne konnte zu jeder beliebigen Zeit zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen ermordet worden sein. »Kommt, Sir John«, sagte Athelstan.
Cranston winkte Colebrooke heran, und sie verabschiedeten sich. Sie sprachen kaum ein Wort, bis sie ihre Pferde abgeholt, den Tower verlassen und die Richtung nach Eastcheap eingeschlagen hatten.
»O Herr, errette uns!« Cranston brach unvermittelt das Schweigen. »Wieviel Haß doch des Menschen Herz erfüllt, wie, Bruder?«
»Aye«, antwortete Athelstan und lenkte Philomel behutsam von der verschneiten Kloake weg, die in der Mitte der Straße entlangführte. »Vielleicht sollten wir alle das bedenken, Sir John. Kleine Eifersüchteleien und Mißverständnisse können aus den Funken eines Zanks ein tosendes Feuer des Hasses entfachen.«
Cranston warf Athelstan einen Blick zu und lächelte über diese stachelige Ermahnung: Was für Fulke und die anderen im Tower galt, galt natürlich auch für seine Beziehung zu Lady Maude. »Wohin jetzt, Bruder?« fragte er.
»Zu Master Parchmeiners Laden gegenüber dem Chancellor’s Inn bei St. Paul.«
»Warum?« fragte Cranston.
»Weil er nicht bei den anderen im Tower war, Sir John, und weil wir jeden befragen müssen.«
Sie ritten die Candlewick Street zur Trinity hinauf, in einem wohlhabenden Stadtteil, den Athelstan nur selten besuchte. Die Häuser waren geräumig und beeindruckend; die unteren Stockwerke waren aus massivem Holz gebaut, die überhängenden Giebel darüber ein Fachwerk aus schwarzen Balken und weißem Putz. Die Dächer waren mit Ziegeln gedeckt, anders als viele der Häuser in Athelstans Pfarrgemeinde, die sich mit Ried oder Stroh begnügen mußten. Viele der Fenster waren aus reinem Glas und mit Holzläden und Eisengittem gesichert. In diesen Häusern spülten Dienstboten regelmäßig die Kloake mit dem Wasser, das sie zum Waschen der Kleider benutzten; deshalb stank es hier nicht so wie in Southwark. Vor etlichen der imposanten Hauseingänge standen bewaffnete Gefolgsleute mit den bunten Wappen ihrer Herren, auf denen Bären, Schwäne, geflügelte Drachen, Löwen und noch seltsamere Tiere dargestellt waren. Untersetzte, wohlgenährte Kaufleute spazierten Arm in Arm mit ihren rundlichen Ehefrauen, die in Seide und Satin gehüllt und mit winzigen Perlen von exquisiter Zartheit geschmückt waren. Zwei Domherren aus der Kathedrale in dicken wollenen, mit Hermelin verbrämten Roben stolzierten vorbei. Eine Gruppe von Rechtsanwälten in roten und violetten, lammwollgefütterten Gewändern schlenderten arrogant vorüber; sie hatten ihre Mäntel zurückgeschlagen und stellten prachtvolle, tiefhängende Gürtel zur Schau.
Schweine mit Glocken um den Hals streiften umher; sie gehörten dem Hospital von St. Anthony und durften nicht geschlachtet werden. Büttel vertrieben mit stahlbeschlagenen Stöcken das freilaufende Geflügel oder machten dem Gekläff wilder, gelber Hunde ein Ende, und Gemeindediener versuchten, ein merkwürdiges, wie eine Elster in schwarzweiße Lumpen gekleidetes Geschöpf zu vertreiben, einen Burschen, der lautstark behauptete, in seinem ramponierten Lederkoffer ein paar der wunderbarsten Reliquien der Christenheit zu haben. »Einen Zahn von Karl dem Großen!« schrie er. »Zwei Beine des Esels, der Maria trug! Den Schädel eines Dieners des Herodes und ein paar von den Steinen, die Christus in Brot verwandelte.«
Athelstan blieb stehen und hielt die Büttel zurück, die den armen Kerl bedrängten.
»Du sagst, du hast einen von den Steinen, die Christus in Brote verwandelt hat?«
»Jawohl, Bruder.« Die Augen des Reliquienhändlers leuchteten in Vorfreude auf den Gewinn.
»Aber Christus hat keine Steine in Brot verwandelt. Der Teufel wollte, daß er das tut, aber Christus hat abgelehnt.«
Cranston grinste und kam näher, um zu sehen, wie der Scharlatan reagieren würde. Der Reliquienhändler leckte sich die trockenen Lippen.
»Natürlich hat er es getan, Bruder«, antwortete jener halb flüsternd. »Ich weiß es aus zuverlässiger Quelle: Nachdem Satan gegangen war, hat Christus das gemacht. Und sie dann wieder zurückverwandelt in Steine, um zu beweisen, daß er sich nicht in Versuchung führen läßt. Das Stück kostet dich nur einen Penny.«
Athelstan holte eine Münze hervor.
»Hier.« Er drückte dem Burschen das Geld in seine schmierige Pfote. »Das ist nicht für den Stein. Behalte es nur. Als Belohnung für deinen Einfallsreichtum.«
Der Mann glotzte ihn mit offenem Mund an; über die Schlagfertigkeit des Reliquienhändlers leise lachend, ritten Athelstan und Cranston weiter. Sie kamen an St. Pauls Littlegate vorbei, wo ein Laienbruder Leprakranke mit verschimmeltem Brot und verfaultem Schweinefleisch fütterte, wie es von den Stadtvätem bestimmt worden war, die glaubten, eine solche Diät werde den Kranken helfen. Cranston schaute angewidert.
»Meinst du, das hilft wirklich?« fragte er Athelstan.
»Was, Sir John?«
»Solches Essen - hilft es den Leprakranken?«
Athelstan schaute hinüber zu den grau verhüllten Gestalten mit ihren Stäben und Almosenschüsseln. »Ich weiß es nicht«, sagte er leise. »Vielleicht.«
Die Aussätzigen ließen ihn an die beiden denken, die auf dem Friedhof von St. Erconwald hausten. Eine Erinnerung regte sich, aber er konnte nichts damit anfangen und schob sie beiseite.
Die beiden bogen von der Friday Street ab in eine kleine Gasse, und Cranston fragte Vorübergehende lautstark nach dem Weg zu Parchmeiners Laden. Sie fanden ihn an der Ecke zur Bread Street in einem schmalen, einstöckigen Haus mit dem Laden im Erdgeschoß und einer Wohnung darüber. Davor war ein Stand aufgebaut, der wegen des unfreundlichen Wetters leer war; also öffneten sie die Ladentür und gingen hinein. Athelstan schloß sofort die Augen und genoß den süßen Duft von frischgebürstetem Pergament und Velin. Der Geruch erinnerte ihn lebhaft an die wohlbestückte Bibliothek und die stille Schreibstube seiner Novizenzeit in Blackfriars. Der Laden war ein kleiner, weißgekalkter Raum; auf den Regalen an den Wänden stapelten sich Pergamentbögen, Tintenhörner, Bimssteine, Federkiele und alles andere, was in einer Bibliothek oder Schreibstube gebraucht wurde.
Geoffrey saß an einem kleinen Schreibpult. Er erhob sich lächelnd, um sie zu begrüßen.
»Sir John!« rief er. »Und Bruder Athelstan! Seid mir willkommen.« Er verschwand nach hinten in die Dunkelheit und kehrte mit zwei Schemeln zurück. »Bitte setzt Euch. Mögt Ihr Wein?«
Überraschenderweise schüttelte Cranston den Kopf.
»Ich trinke nur, wenn Sir John es auch tut«, sagte Athelstan spöttisch.
Der Pergamenthändler grinste und setzte sich wieder hinter sein Pult.
»Nun, was kann ich für Euch tun? Ich glaube kaum, daß Ihr Pergament oder Velin kaufen wollt - obwohl ich, Bruder, das beste in der Stadt führe. Ich bin Mitglied der Zunft, und alles, was ich verkaufe, trägt das Zunftzeichen.« Geoffreys gutmütiges Gesicht legte sich in kleine Lachfältchen. Er schüttelte den Kopf. »Aber Ihr seid sicher nicht zum Kaufen hier.« Sein Gesicht wurde wieder ernst. »Es geht um die Sache im Tower, nicht wahr?«
»Nur eine Frage«, sagte Cranston und rutschte unbehaglich auf dem kleinen Schemel herum. »Sagt Euch der Name Bartholomew Burghgesh etwas?«
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