»Ihr… Ihr…«, stammelte Andreas. Sie schien gar keine Angst vor ihm zu haben. Ihr Grinsen war wie festgefroren. Bonenberg stellte seine Laterne außer Reichweite neben Barbara auf dem Boden ab. Die Kerze darin flackerte und machte die Reben und die verdrehten Stämme abwechselnd riesig und winzig. Alles schien sich in Auflösung zu befinden. Andreas hockte auf der Leyendeckerin, die ganz still dalag.
»Habt Ihr den armen Dulcken gefunden?«, fragte sie und sah ihn mit ihren kalten, dunkelbraunen Augen spöttisch an.
»Ihr habt ihn umgebracht!«, keuchte Andreas. »Habt Ihr auch Euren Mann auf dem Gewissen?«
»Nein«, hörte er hinter sich die Stimme Heinrich Bonenbergs. Im selben Augenblick wurden ihm die Hände nach hinten gerissen und festgebunden. Er war so verdutzt, dass er sich nicht einmal wehrte. Dann zerrte Bonenberg ihn von Barbara herunter und setzte ihn unsanft in das Gras neben der Laterne. Die Leyendeckerin erhob sich, klopfte Staub und Lehm vom Kleid und stellte sich an Heinrichs Seite. Andreas sah die beiden ungläubig an.
»Ich glaube, es ist Zeit für ein paar Erklärungen«, meinte Barbara und legte den Arm um Heinrichs Schulter. Der Kaufmann genoss diese Geste sichtlich. »Heinrich und ich sind schon seit einiger Zeit ein Liebespaar. Ludwig war uns im Weg, also musste er weg.« In ihrem Blick lag eine unbändige Freude. Das Licht der Laterne und des Mondes zauberte Schatten auf ihr blasses Gesicht, das früher einmal so schön gewesen war. Jetzt schienen Dämonen auf ihm zu tanzen. Sie redete weiter: »Wir haben Ludwig gezwungen, diesen Abschiedsbrief zu schreiben und auch den Teufelspakt zu unterzeichnen, den ich mit meinem Klosterlatein aufgesetzt habe. Es stimmt, dass wir ein wenig Gewalt anwenden mussten. Wir haben dem armen und dummen Ludwig gesagt, wir wollten bloß ein Druckmittel gegen ihn in der Hand haben, falls er nicht den Weg für Heinrich frei machen und mir sein Handelshaus überschreiben wolle. Mit dem Messer an der Kehle hat er uns gehorcht.« Sie lachte auf; die Dämonen sanken tief in sie ein und durchtränkten ihr Innerstes. »Aber Heinrich wollte später doch ganz sicher sein, dass Ludwig uns keinen Strich durch die Rechnung macht. Und da musste Ludwig eben sterben. Alle Spuren für den Selbstmord waren ja bereits gelegt.«
»Ihr habt die Rechnung ohne mich gemacht«, stieß Andreas zwischen den Zähnen hervor und kämpfte gegen seine Fesseln an, doch sie waren zu fest. »Ich habe die verräterische Formulierung in Ludwigs Abschiedsbrief entdeckt und euer ganzes Komplott aufgedeckt!«
»Das ist leider richtig, aber es nützt dir nichts mehr, kleiner Pfaffe«, meinte Bonenberg. »Du wirst diesen Weingarten nicht mehr lebend verlassen. Du wirst neben Dulcken Dünger für den Wein des Herbstes werden. Dein rotes Blut wird zum roten Saft, den dein Herr Jesus Christus beim letzten Abendmahl genossen hat. Gibt es einen schöneren Tod für dich?« Er streichelte Barbaras Brust.
»Woher kam das Zauberbuch?«, fragte Andreas. Er kam sich lächerlich vor, dass er diese Frage stellte, doch nun, da anscheinend sein letztes Stündlein geschlagen hatte, wollte er alles erfahren, was mit dieser schrecklichen Tat zusammenhing.
»Ach ja, das Zauberbuch«, sagte Barbara und drückte Heinrichs Hand weg. »Mein Geliebter war der Meinung, man solle den Teufelspakt dadurch glaubhafter machen, indem man Ludwigs Nachlass ein magisches Werk unterschiebt. Ich selbst habe es bei dem Drucker Ulrich Zell erstanden. Natürlich habe ich dort nur als angebliche Botin meines geliebten Gemahls gehandelt. Zell glaubte, Ludwig wolle dieses Buch unbedingt haben – und er war der Ansicht, dass ich es nicht einmal lesen könne. Er hat mich kaum als eigenständigen Menschen angesehen. Ich muss gestehen, dass es mir in diesem Fall ganz recht war.«
»Was hatte Dulcken mit dieser ganzen Angelegenheit zu tun?«, keuchte Andreas. Inzwischen hatte er es aufgegeben, gegen seine Fesseln anzukämpfen. Aber sein Leben würde er teuer verkaufen. Innerlich spannte er sich an.
»Dulcken hat versucht, mich zu erpressen, nachdem sein Vorhaben, mein Handelshaus zu übernehmen, wegen der Verhaftung des Engländers gescheitert war«, erklärte Barbara geschäftsmäßig und mit einer erschreckenden Gleichgültigkeit in der Stimme. »Irgendwie hatte er wohl von der ganzen Sache erfahren. Heinrich war so freundlich, ihn bereits gestern Abend im Keller meines Hauses zu seinem Gott zu schicken. Ich habe ihn mit einem Handkarren heimlich hergebracht und vorhin hier zu verscharren versucht, aber leider habt ihr mich dabei gestört. Heinrich, du warst ein wenig zu früh«, beschwerte sich Barbara.
Diese Teufel!, brauste es in Andreas. Wenn er die beiden ansah, glaubte er, einen Blick in die Hölle zu tun.
Heinrich hauchte Barbara einen Kuss auf die Wange, schenkte ihr einen seltsamen Blick und sagte: »Nein, meine Liebste, es war genau die richtige Zeit. Ich wollte, dass Andreas vor seinem Tod all das erfährt und dich dabei in deiner ganzen Schönheit sieht. Mach dir keine Sorgen, ich werde dein angefangenes Werk zu Ende führen. Außerdem irrst du dich. Ich habe zwar Dulcken getötet, aber nicht deinen Mann. Ich wollte nie einen Mord begehen, deshalb hat jemand anderes Ludwig für mich umgebracht. Doch bei Dulcken konnte ich mir keine Skrupel mehr leisten; es musste schnell gehen. Ich muss gestehen, dass ich ein wenig auf den Geschmack gekommen bin.« Er leckte sich die Lippen und grinste. »Glaubst du wirklich, Ludwig und Dulcken hätten sterben müssen, weil sie uns im Weg standen? Das ist kein Weib der Welt wert.«
Barbara sah ihn verständnislos an. »Was willst du damit sagen?« Sie versteifte sich und rückte ein wenig von Bonenberg ab. Andreas spürte die Spannung, die plötzlich zwischen den beiden lag.
Der Kaufmann fuhr fort: »Dulcken und Ludwig mussten aus einem ganz anderen Grund sterben – aus einem Grund, den du nicht erraten wirst. Du hast mir auf wunderbare Weise geholfen, Ludwigs Tod als Selbstmord darzustellen. Das ist der Leim, der uns zusammenklebt – nur das. Deine Liebe war das Werkzeug zum Erreichen meines Zieles. Nur für dieses Ziel musste Ludwig sterben. Jetzt, da es in greifbare Nähe gerückt ist, brauche ich dich nicht mehr. Morgen wird endlich alles so sein, wie es sein soll. Und ich glaube, jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um mich euer beider zu entledigen.« Er sprang die völlig verdutzte Barbara Leyendecker an und warf sie zu Boden.
Elisabeth wollte gerade aus dem Haus eilen und hinter Andreas herlaufen, um ihn vor Heinrich zu warnen, als im Pastorat plötzlich ein Tumult entstand. Elisabeth und Anne hörten, wie unten eine Tür geschlagen wurde und sich laute Stimmen erhoben. Schwere Stiefel polterten die Treppe herauf, gefolgt von leiseren Tritten. Laute Verwünschungen gellten durch das Haus. Die Tür zum Zimmer der beiden Frauen wurde aufgerissen. Im Rahmen stand die massige Gestalt Edwyn Palmers, dicht hinter ihm befand sich Pfarrer Hülshout. Sein Kopf war hochrot angelaufen.
»Verlasst mein Haus! Alle miteinander!«, rief er, aber niemand hörte auf ihn.
»Du verdammte Hure!«, brüllte Palmer und war mit zwei Schritten bei seiner Frau. Elisabeth versuchte, sich ihm in den Weg zu stellen, doch es gelang ihr nicht. Palmer holte zum Schlag aus. Mit einem Sprung war Hülshout bei ihm und fiel ihm in den Arm. Der Engländer grunzte vor Wut und Erstaunen auf und drehte sich um. Kurz sah es so aus, als wolle er sich auf den Priester stürzen, doch dann drückte er sich von ihm weg, atmete tief durch und blitzte seine junge Frau an. »Du kommst mit mir«, zischte er.
»Hinaus!«, rief Hülshout mit grotesk hoher Stimme. »Es reicht mir! Ihr alle habt mein schönes Haus entweiht. Lasst euch hier nie wieder blicken! Und sagt Andreas, dass er ebenfalls nicht wiederzukommen braucht.« An der Schläfe des alten Pfarrers pulsierte eine Ader vor Aufregung.
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