»Er könnte uns erreichen, noch ehe der Tag zu Ende ist.«
»Lasst uns erst hören, was Schwester Fidelma herausgefunden hat. Sie wollte uns eben sagen, wer die Verschwörer sind.«
»Die rätselhaften Vorgänge haben ihren Ursprung in der Geschichte vom Aurum Tolosanum «, begann sie.
»Wir haben jetzt keine Zeit für alte Sagen«, brummte Radoald.
»Das ist doch nur noch eine Geschichte, die sich Greise abends am Herdfeuer erzählen«, höhnte Wulfoald.
»Hören wir ihr erst einmal zu«, rügte Aistulf seinen Sohn.
»Wie ihr wisst, bin ich hergekommen, um meinen alten Mentor, Bruder Ruadán, zu besuchen. Er sei schwer verletzt, erfuhr ich schon unterwegs, weil er von einigen, die ihm seine Lehrmeinung verübelten, niedergeschlagen wurde. Wir brauchen uns nicht in Einzelheiten zu verlieren, die alle nur irreführen sollten. Ich glaube, er wurde überfallen und fast zu Tode geprügelt, weil er herausgefunden hatte, wo das Gold für Grasulf verborgen war. Ein Wagen, angefüllt mit Gold. Er wusste nicht, was es damit auf sich hatte. Nach dem, was er auf seinem Sterbebett sagte, muss er geglaubt haben, er sei auf das sagenhafte Gold von Tolosa gestoßen. ›Was aus einem nassen Grab geholt wurde, muss dorthin zurück.‹ Ich wusste nicht, was das bedeutete, doch der Ehrwürdige Ionas konnte mir erklären, woher diese Anspielung kam. Das Aurum Tolosanum war aus einem See geholt worden. Bruder Ruadán nahm ein paar herumliegende Münzen auf, möglicherweise wollte er den Ehrwürdigen Ionas um Rat fragen. Auf seinem Rückweg in die Abtei begegnete er dem kleinen Wamba, dem er in einer Anwandlung unkluger Großherzigkeit zwei der Münzen gab.
Wamba brachte eine der Münzen in die Abtei in der Absicht, dafür etwas für seine Mutter einzutauschen. Von da an nahmen die Dinge ihren verhängnisvollen Lauf. Man erkannte, dass die Münze aus dem Goldschatz herrührte. Am nächsten Tag machte sich jemand aus der Abtei auf die Suche nach Wamba und erfuhr von ihm, wer ihm die Münze gegeben hatte. Der Junge wurde umgebracht, und als man außerhalb der Mauern der Abtei auf Bruder Ruadán stieß, prügelte man ihn zu Tode, jedenfalls glaubte man das. Der alte Geistliche war jedoch noch kräftig genug, sich an die Tore der Abtei zu schleppen, und wurde zu Bett gebracht. Als der Mörder erfuhr, dass sein Opfer überlebt hatte, erkundigte er sich bei Bruder Hnikar, wie es um den Alten stände. Der Apotheker war überzeugt, der Patient würde bald sterben, was den Täter beruhigte. Der alte Mann rede wirres Zeug, glaubte der Heilkundige, und würde bald tot sein. Der Mörder wiegte sich in dem Glauben, die Sache würde sich von allein erledigen und er brauche nicht unnötigen Verdacht auf sich zu lenken – doch dann kam ich in die Abtei.«
»Und weiter? Was hattest du denn damit zu tun?«, wollte Radoald wissen.
»Weil ich nun da war, musste Bruder Ruadáns Tod beschleunigt werden. Man musste ihn umbringen, noch bevor er mit mir reden konnte. Also wurde er erstickt. Damals habe ich meinen ersten Fehler begangen. Anstatt das, was ich ahnte, für mich zu behalten, vertraute ich es dem scriptor Bruder Eolann an, da er aus meinem Königreich stammte und meine Sprache sprach. Das war ein dummer, überheblicher Fehler. Ich erwähnte, dass Bruder Ruadán von Münzen gesprochen hatte. Bruder Eolann war ein kluger Bursche, und da er zur Gruppe der Verschwörer gehörte, ersann er für mich eine falsche Fährte, um mich von der wahren Spur abzulenken. Er versorgte mich mit Hinweisen auf das Aurum Tolosanum – das Gold des Servilius Caepio. Er hatte seine Mitverschworenen überzeugt, dass er mich damit beschäftigen könnte, Schatten hinterherzujagen, bis ich mich zur Abreise entschließen würde. Vielleicht tue ich ihm unrecht. Möglicherweise hat er das getan, um seine Partner davon abzubringen, auch mich zu ermorden.«
»Doch abgereist bist du ja nicht«, warf Radoald ein.
»Es kam noch schlimmer. Schlau, wie ich mich dünkte, bat ich Bruder Eolann, mein Dolmetscher zu sein, als ich Hawisa aufsuchen wollte, Wambas Mutter. Damit brachte ich den Bibliothekar in eine schwierige Lage. Aber sein Anführer schlug ihm vor, sich einer raffinierten List zu bedienen. Er riet ihm, mich zu begleiten und Hawisas Worte so zu übersetzen, dass mein Verdacht gegenüber Wulfoald und dem Abt zusätzliche Nahrung erhielt.«
»Aber er konnte sich doch denken, dass am Ende herauskommen würde, wie er dich getäuscht hatte«, wandte Aistulf ein.
»Vielleicht nahm er an, bis dahin würde die Verschwörung ihr Ziel erreicht haben. Oder man hatte ihm geraten, er solle sich meiner auf der Wanderung zum Berggipfel entledigen. Wenn ich es mir recht überlege, könnte er ernsthaft vorgehabt haben, mich an eine gefährliche Stelle zu führen, an der ich unweigerlich abstürzen musste. Immerhin hat er das nicht übers Herz gebracht und mich sogar vor dem Absturz gerettet. Alles in allem war Bruder Eolann vielleicht doch kein so schlechter Kerl.«
»Aber er hat es übers Herz gebracht, den kleinen Jungen Wamba und den alten Bruder Ruadán umzubringen«, rief Wulfoald aufgebracht.
»Ich glaube nicht, dass Bruder Eolann das zur Last zu legen ist – die Mordtaten haben seine Mitverschworenen begangen. Schnelle Entschlüsse konnte er jedoch fassen. Da er mich nicht hatte zu Tode stürzen lassen, kam ihm eine andere Idee. Wir mussten die Nacht bei dem Heiligtum auf dem Monte Pénas verbringen. Ich habe mich damals gewundert, warum er ein so riesiges Lagerfeuer aufschichtete und entzündete. Er erklärte es damit, dass es sehr kalt werden würde. Wurde es aber nicht. Doch das Feuer machte Krieger des Seigneurs von Vars auf uns aufmerksam, wie er wohl gehofft hatte. Denn am nächsten Morgen nahm man uns gefangen.
Sein Plan war, mich als Gefangene bei Grasulf zu lassen. Nur konnte er den Burgherrn erst am Morgen darauf sprechen, als der endlich von einer Wildschweinjagd zurückkam. Er wird ihm wohl gesteckt haben, was er vorhatte. Während wir beide noch Gefangene waren, spürte ich, dass sich Bruder Eolanns Benehmen änderte. Er hatte jedes Interesse an den Büchern verloren, durch die er mich in die Irre geführt hatte. Von dem einen, aus dem Seiten herausgetrennt worden waren, fand ich eine Abschrift. Und genau diese Seiten waren in der Handschrift dort vorhanden. Doch das bewegte ihn nicht sonderlich. Daher kam ein Verdacht in mir auf. Womit der scriptor gewiss nicht gerechnet hatte, war, dass wir von Suidur gerettet wurden.«
»Bruder Eolann war also einer der Verschwörer, wie du sagst – bloß warum?«, fragte Aistulf. »Er war fremd hier, kam von Hibernia wie du selbst.«
»Deshalb war ich ja so arglos. Er erzählte mir, er sei von unserem Heimatland zunächst zum Kloster St. Gallen gewandert. Dann sei er nach Mailand gelangt und wäre dort an die zwei Jahre geblieben. Mir fiel da nicht auf, dass es die Stadt war, in der Perctarit regierte. Als der Herrscher gezwungen wurde zu fliehen, kam Bruder Eolann mit zwei anderen Verschwörern nach Bobium, offenbar entschlossen, Vorbedingungen für Perctarits Rückkehr in sein Königreich zu schaffen.«
»Aber was für ein Motiv hatte Eolann?«
»Das gleiche, das ihr fälschlicherweise Magister Ado zugeschrieben habt. Eolann war ein standhafter Verteidiger des Glaubensbekenntnisses von Nicäa. Wie eben auch Perctarit – und das war für Bruder Eolann möglicherweise Grund genug, für Perctarit gegen den Arianer Grimoald Partei zu ergreifen.«
»Warum aber wurde Bruder Eolann ermordet, wenn er doch einer der Mitverschworenen war?« Suidur fand das schwer zu begreifen.
»Ich nahm an, Wulfoald hätte mich belogen, und hatte ihn deswegen zur Rede gestellt. Mit ihm wollte ich noch einmal Hawisa aufsuchen und prüfen, ob Eolann mir ihre Auskünfte richtig übermittelt hatte. Deshalb bat ich den Bibliothekar, mich als Zeuge zu begleiten. Bruder Eolann beriet sich mit den Mitverschworenen. Die legten ihm nahe, einen Sturz mit einer harmlosen Verletzung vorzutäuschen, so dass er mich nicht begleiten und als Lügner bloßgestellt werden konnte. Zur gleichen Zeit, um sicherzugehen, dass die Wahrheit nicht herauskam, ritt jemand in der Nacht hinauf zu Hawisas Hütte, tötete die alte Frau und steckte ihr Häuschen in Brand.«
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