»Ach, das ist der Schriftsteller«, sagte ich. »Der mit den englischen Landsitzen. Mr Pemberton.«
Feely entfloh quietschend treppauf, wo sie in ihr enges blaues Twinset schlüpfen, ihre frühmorgendlichen Verunstaltungen mit pfundweise Puder bestäuben und die Treppe anschließend als eine andere wieder herunterschweben würde - als Olivia de Havilland zum Beispiel. So verhielt sie sich immer, wenn ein fremder Mann unser Anwesen betrat. Daffy dagegen schaute nur flüchtig auf und las weiter. Wie immer blieb alles an mir hängen.
Ich ging auf die Terrasse hinaus und machte die Tür hinter mir zu.
»Guten Morgen, Flavia!«, begrüßte mich Pemberton schmunzelnd. »Hast du gut geschlafen?«
Ob ich gut geschlafen hatte? Blöde Frage! Ich stand ihm direkt gegenüber, den Schlaf noch in den Augen, die Haare Beeton’s Benimmbuch für Damen konnte nicht schaden. Feely hatte mir das Buch zum letzten Geburtstag geschenkt, aber es diente immer noch als Unterlage für das zu kurze Bein meines Bettes.
»Geht so«, erwiderte ich. »Ich bin erkältet.«
»Das tut mir aber leid. Ich hatte gehofft, mich mit deinem Vater über Buckshaw unterhalten zu können. Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, aber mein Aufenthalt hier in der Gegend ist leider nur von begrenzter Dauer. Seit Kriegsende sind die Preise für eine Unterkunft selbst in einem so bescheidenen Gasthaus wie dem Dreizehn Erpel schlicht erschütternd. Nicht, dass ich Mitleid schinden wollte, aber wir armen Gelehrten nagen eben doch am Hungertuch.«
»Haben Sie schon gefrühstückt, Mister Pemberton?«, erkundigte ich mich. »Mrs Mullet bringt Ihnen bestimmt noch etwas.«
»Sehr nett von dir, Flavia, aber der Wirt vom Dreizehn Erpel hat mir ein wahres Festmahl, bestehend aus zwei Würstchen und einem Ei, vorgesetzt, und ich muss auf meine Westenk nöpfe aufpassen.«
Was ich mit letzterer Mitteilung anfangen sollte, war mir nicht ganz klar, und meine Erkältung raubte mir die Lust, näher nachzufragen.
»Vielleicht kann ich Ihnen ja etwas über Buckshaw erzählen«, schlug ich vor. »Mein Vater sitzt im …«
Großartig! Das hast du mal wieder schlau angestellt, Flavia!
»Mein Vater sitzt bei einer Besprechung mit der Bank in der Stadt.«
»Danke für das Angebot, aber ich will dich nicht langweilen. Ich habe ein paar knifflige Fragen über Entwässerungsgräben,
»Dass man einen Appendix herausnimmt, habe ich ja schon mal gehört«, entfuhr es mir, »aber noch nie, dass man einen anfügt.«
Noch mit Triefnase war ich in der Lage, meine Klinge mit den Allerbesten kreuzen. Ein prustender Nieser verdarb leider ein wenig die Wirkung.
»Vielleicht darf ich kurz hereinkommen, mich ein wenig umsehen und mir ein paar Notizen machen? Ich störe auch nicht.«
Ich dachte noch über Synonyme für »Nein« nach, als ich einen Motor tuckern hörte und Dogger hinter dem Lenker unseres alten Traktors am Ende der Allee auftauchte, wo er eine Ladung Kompost in den Garten fuhr. Mr Pemberton, der sofort gemerkt hatte, dass ich über seine Schulter spähte, drehte sich neugierig um. Als er Dogger heranrumpeln sah, winkte er ihm zu.
»Das ist doch der alte Dogger, nicht wahr? Der getreue Gefolgsmann eurer Familie.«
Dogger hatte angehalten und drehte sich seinerseits um, weil er wissen wollte, wem Pemberton winkte. Als er niemanden erblickte, lupfte er den Hut wie zum Gruß, kratzte sich den Kopf, stieg vom Traktor und kam quer über den Rasen auf uns zu.
»Wie schon gesagt, Flavia«, sagte Pemberton und schaute auf seine Armbanduhr, »ich kann mich nicht allzu lange hier aufhalten. Ich bin drüben in Nether Eaton mit meinem Verleger verabredet. Wir wollen uns ein Grabmal ansehen, ein ausgesprochen seltenes Stück, bei dem beide Hände deutlich zu erkennen sind. Auch die Schmiedearbeit ringsherum soll au ßerordentlich sein. Der gute Quarrington hat ein Faible für Pembertons Grüfte und Grabmäler die Schublade des Autors nie verlässt.«
Er warf sich den Künstlerrucksack über die Schulter und ging die Treppe hinunter. Unten angekommen blieb er kurz stehen, schloss die Augen und labte sich mit einem tiefen Atemzug an der frischen Morgenluft.
»Schönen Gruß an Colonel de Luce«, rief er noch, dann war er weg.
Dogger kam die Treppe hochgeschlurft, als hätte er in der Nacht kein Auge zugetan.
»Besuch, Miss Flavia?«, fragte er, nahm den Hut ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.
»Das war Mister Pemberton. Er schreibt ein Buch über Landhäuser oder Grabmäler oder irgend so was. Er wollte sich mit Vater über Buckshaw unterhalten.«
»Glaube nicht, dass ich schon mal von ihm gehört hab. Aber ich bin ja auch kein großer Leser vor dem Herrn. Trotzdem, Miss Flavia …«
Jetzt würde er mir gleich eine Moralpredigt halten, gespickt mit Gleichnissen und grauenerregenden Geschichten, die alle darauf hinausliefen, dass man sich nicht mit Fremden einlassen soll. Irrtum! Er begnügte sich damit, den Finger an die Hutkrempe zu legen, und wir beide standen einfach da und glotzten wie zwei Kühe über die Wiese. Botschaft abgeschickt, Botschaft erhalten. Guter alter Dogger. Das war seine Lehrmethode.
Dogger war es auch gewesen, der mir seinerzeit geduldig beigebracht hatte, wie man Schlösser knackt. Ich hatte ihn eines Tages dabei angetroffen, wie er sich an der Gewächshaustür zu schaffen gemacht hatte. Bei einem seiner »Vorfälle« hatte er den Schlüssel verloren und mühte sich nun mit den verbogenen Zinken einer ausgemusterten Küchengabel ab, die er in einem Blumentopf gefunden hatte.
Seine Hände zitterten heftig. Wenn Dogger in diesem Zustand war, hatte man immer den Eindruck, als bekäme man sofort einen elektrischen Schlag, wenn man ihn nur antippte. Trotzdem hatte ich ihm meine Hilfe angeboten, woraufhin er mir gezeigt hatte, wie man mit einem Dietrich umgeht.
»Eigentlich ist es ganz einfach, Miss Flavia«, verkündete er nach meinem dritten vergeblichen Versuch. »Du musst nur immer an die drei D denken: Drehmoment, Druck und Durchhalten! Stell dir vor, du wohnst in diesem Schloss. Hör auf deine Fingerspitzen.«
»Wo hast du das gelernt?«, fragte ich staunend, als das Schloss aufsprang. Wenn man den Bogen erst einmal raushatte, war es geradezu kinderleicht.
»Irgendwo und irgendwann«, erwiderte Dogger und verschwand im Gewächshaus, wo er sich sofort in irgendeine Arbeit vertiefte, sodass ich mich nicht mehr traute, genauer nachzufragen.
Obwohl die Sonne freundlich durch mein Laborfenster schien, konnte ich einfach keinen klaren Gedanken fassen. Ich war immer noch mit dem beschäftigt, was mir Vater erzählt hatte. Dazu kam das, was ich auf eigene Faust herausgefunden hatte: wie Mr Twining und Horace Bonepenny zu Tode gekommen waren.
Was hatte es mit dem Barett und dem Talar auf sich, die ich auf dem Dach von Anson House gefunden hatte? Wem hatten sie gehört und warum hatte der Betreffende sie dort oben versteckt?
Sowohl Vaters Schilderung als auch der Reporter des Hinley-Kurier hatten bestätigt, dass Mr Twining seinen Talar trug, als er in den Tod stürzte. Dass beide sich geirrt hatten, war ausgesprochen unwahrscheinlich.
Dann war da der Diebstahl des Rächers von Ulster aus dem
Was mochte aus Dr. Kissing geworden sein? Ob Miss Mountjoy das wusste? Sie schien ja auch sonst alles zu wissen. Lebte der alte Herr womöglich noch? Ich zweifelte sehr daran. Seit er seine kostbarste Marke scheinbar in Flammen hatte aufgehen sehen, waren dreißig Jahre vergangen.
Mir schwirrte der Kopf, mein Hirn war wie Watte. Meine Nebenhöhlen waren verstopft, meine Augen tränten, und ich spürte, dass ein ganz fieses Kopfweh im Anmarsch war. Ich musste etwas unternehmen, um auf andere Gedanken zu kommen.
Letztendlich war ich ja selber schuld. Ich hatte mir kalte Füße geholt. Mrs Mullet sagte immer: »Warme Füße, kühler Kopf, dann macht die Nase auch nicht ›tropf‹.« Wenn man sich eine Erkältung eingefangen hatte, gab es nur ein wirkungsvolles Gegenmittel, darum ging ich in die Küche hinunter, wo Mrs Mullet mit Teigausrollen beschäftigt war.
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