Fair, der Josiah gegenüber saß, brach in Gelächter aus und hielt sich dann den Mund zu. Mrs. Hogendobber zu korrigieren lohnte sich nicht.
»Was habe ich da von der liebenswürdigen Mrs. Murphy und der grimmigen Tee Tucker gehört, die auf frischer Tat, ich meine auf frischer Tatze, in Maudes Laden ertappt wurden - den ich übrigens kaufe?« fragte Josiah Harry.
»Ich habe keine Ahnung, wie sie da reingekommen sind.«
»Ich habe sie gefunden, müssen Sie wissen.« Mrs. Hogendobber schilderte bis ins Detail die Vorkommnisse, die zur Entdeckung der Tiere geführt hatten. Sie hielt die Information über das Pult zurück, warf Harry jedoch einen verschwörerischen Blick zu.
Josiah klaubte einen imaginären Fussel von seinem Ärmel. »Wünschst du dir nicht, daß sie sprechen könnten?«
»Nein.« Harry lächelte. »Ich möchte nicht, daß alle meine Geheimnisse kennen.«
»Du hast Geheimnisse?« Fair wandte sich abrupt nach Harry um.
»Hat die nicht jeder?« schoß Harry zurück.
Im Zimmer wurde es einen Moment still, dann kam die Unterhaltung wieder in Schwung.
»Ich nicht«, sagte Mrs. Hogendobber in aufrichtigem Ton. Dann fiel ihr ein, daß sie jetzt eins hatte. Der Gedanke gefiel ihr durchaus.
»Ein winziges Geheimnis, Mrs. H. ein flüchtiger Sündenfall, oder wenigstens ein Fall vom Hocker«, neckte Josiah sie. »Ich stimme Harry zu - jeder von uns hat Geheimnisse.«
»Ja, und einer hat eine Mordsphantasie.« Susan konnte sprachliche Übertreibungen eigentlich nicht ausstehen, aber hier paßte das Wort.
Harry schied aus der Unterhaltung über Geheimnisse aus, als Mim sich einschaltete. Sie ging zu Little Marilyn hinüber, die einem Gespräch mit ihr jetzt nicht ausweichen konnte.
»Marilyn.«
»Harry.«
»Du sprichst nicht mit mir, und das gefällt mir nicht.«
»Harry«, flüsterte Little Marilyn, »nicht vor meiner Mutter. Ich bin nicht wütend auf dich. Sie ist wütend.« Es schien, daß sie wirklich Angst hatte.
Harry senkte ebenfalls die Stimme. »Wann löst du dich endlich von ihrem Rockzipfel und nimmst dein Leben selbst in die Hand? Um Himmels willen, L. M. du bist über dreißig.«
Little Marilyn wurde rot. Sie war nicht an aufrichtige Gespräche gewöhnt, da man bei Mim Themen nur umkreiste. Etwas direkt anzusprechen war taktlos. Aber das Leben im Nirwana der wohlhabenden weißen Amerikaner wurde allmählich schal. »Ach, weißt du« - ihre Stimme war jetzt fast unhörbar - »wenn ich verheiratet bin, kann ich tun und lassen, was ich will.«
»Woher weißt du, daß du nicht einen Boss gegen den anderen tauschst?«
»Nicht bei Fitz-Gilbert. Er ist nicht im entferntesten wie Mutter, deswegen mag ich ihn ja.« Das Bekenntnis entfuhr Marilyn, ehe sie sich darüber klarwerden konnte, was es bedeutete.
»Du kannst auch jetzt tun, was du willst.«
»Warum dieses plötzliche Interesse an mir? Du hast mich früher nie besonders beachtet.« Ein kriegerischer Tonfall schlich sich in ihre Stimme. Wenn sie gegen Mama rebellieren sollte, warum dann nicht an Harry üben?
»Ich habe deinen Bruder sehr gern. Er ist einer der wunderbarsten Menschen, die ich je gekannt habe. Er liebt dich, und du wirst ihm weh tun, wenn du ihn von deiner Hochzeit ausschließt. Und ich denke, wenn du aufhören würdest, mit dieser oberflächlichen verlogenen Schickeria rumzuhängen, könnte ich auch lernen, dich zu mögen. Warum fährst du nicht mal zu den Ställen raus und klebst dir ein bißchen Pferdemist an die Schuhe? Als wir Kinder waren, warst du eine gute Reiterin. Fahr für ein Wochenende nach New York. Tu einfach mal was.«
»Oberflächlich? Verlogen? Du beleidigst meine Freunde.«
»Falsch. Das sind Freunde, die deine Mutter dir ausgesucht hat. Du hast keine Freunde außer deinem Bruder.« Dies entfuhr Harry, weil sie unter der Oberfläche ihres gesitteten Benehmens müde, sorgenvoll und gereizt war.
»Bist du etwa besser dran?« Little Marilyn bekam allmählich Spaß an der Sache. »Ich kriege wenigstens den Mann, den ich mir wünsche. Du verlierst deinen.«
Harry blinzelte. Das war eine neue Little Marilyn. Die alte mochte sie nicht. Die neue war eine echte Überraschung.
»Harry?« Josiahs Stimme schwebte über das Geplapper hinweg. »Harry!« Er rief etwas lauter. Sie drehte sich um. »Das muß eine glänzende Unterhaltung sein. Du hast mich nicht gehört, dabei rufe ich schon die ganze Zeit.«
Little Marilyn ging trotzig als erste zu Josiah. Harry bildete die Nachhut.
»Ihr zwei Mädels habt geplappert wie die Blauhäher«, sagte Mim in gereiztem Ton. Da stieß Jim, ihr Mann, mit einem dröhnenden Gruß die Haustür auf, was Mim noch mehr reizte.
Harry beobachtete Little Marilyns untadelige Mutter und dachte, in ihrer Gesellschaft zu sein sei dasselbe, wie tief in eine Zitrone hineinzubeißen.
Fair rettete die Situation, denn Harry war drauf und dran, allen klipp und klar zu sagen, was sie von ihnen hielt. Er spürte, wie durcheinander und mürrisch sie war. Er wußte, daß er seine Frau nicht mehr liebte, aber wenn man fast ein Jahrzehnt mit jemandem zusammengewesen war, seine Eigenarten kannte und sich für ihn verantwortlich gefühlt hatte, konnte man mit den alten Gewohnheiten nur schwer brechen. Und so rettete er Harry in diesem Moment vor sich selbst.
»Was hattest du eigentlich in Rick Shaws Dienstwagen zu suchen?« fragte er.
Wie ein sanfter Bodennebel legte sich allmählich ein Schweigen über den Raum.
»Wir sind zum Greenwood-Tunnel gefahren«, sagte Harry leichthin.
»In dieser Hitze?« fragte Josiah ungläubig.
»Vielleicht war das Ricks Methode, sie für das Verhör mürbe zu machen«, sagte Susan.
»Ich glaube, die Tunnels haben etwas mit den Morden zu tun.« Harry wußte, daß sie den Mund hätte halten sollen.
»Lächerlich«, blaffte Mim. »Sie sind schon über vierzig Jahre geschlossen.«
Jim konterte: »Im Moment ist keine Idee lächerlich.«
»Was ist mit den Geschichten von einem Schatz?« meinte Mrs. Hogendobber. »Schließlich muß etwas Wahres dran sein, sonst wären sie nicht über hundert Jahre kursiert. Vielleicht handelt es sich um einen ganz außergewöhnlichen Schatz.«
»Wie mein göttlicher Sekretär da drüben.« Josiah deutete mit der Hand darauf wie ein lässiger Versteigerer. »Was ich dir sagen wollte, Mim, du brauchst unbedingt diesen Sekretär. Das Satinholz schimmert im Licht der Jahrhunderte.«
»Nun mal langsam, Josiah.« Mim lächelte. »Wir verhängen ein Verkaufsmoratorium, bis deine Augen und Nase geheilt sind.«
»Wenn es einen Schatz gäbe, hätte die C & O ihn gefunden.« Fair machte sich noch einen Drink. »Die Leute lieben Geschichten von aussichtslosen Fällen, Gespenstern und vergrabenen Schätzen.«
»Claudius Crozet war ein Genie. Wenn er einen Schatz hätte verstecken wollen, hätte er es gekonnt«, warf Mrs. Hogendobber ein. »Crozet war es, der den Staat Virginia warnte, daß Joseph Carrington Cabells Kanalgesellschaft nicht funktionieren würde. Cabell war in den Jahrzehnten vor dem Sezessionskrieg ein einflußreicher Mann, und er hat Crozet sein ganzes Leben lang schikaniert. Cabell allein hat die Entwicklung der Eisenbahn behindert, von der Crozet glaubte, daß sie die Zukunft verkündete. Und Crozet hatte recht. Die Kanalgesellschaft ist eingegangen; sie hat die Investoren und den Staat Millionen und Abermillionen Dollar gekostet.«
»Mrs. Hogendobber, ich bin schwer beeindruckt. Ich hatte keine Ahnung, daß Sie so gut Bescheid wissen über unseren. Schutzheiligen.« Josiah richtete sich in seinem Sessel auf und sank mit einem unterdrückten Stöhnen zurück.
»Hier.« Fair reichte ihm einen steifen Drink.
»Ich« - Mrs. Hogendobber, die es nicht gewöhnt war zu lügen, verlor den Faden.
Harry half ihr aus der Klemme. »Ich sagte Ihnen ja, Sie sollten lieber auf den Vorsitz des Komitees >Wir feiern Crozet< verzichten.«
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