»Wenn wir das machen, folgt sie uns. Wenn wir nahe genug ans Krankenhaus kommen, geht sie rein, das weiß ich. Sie wird ihr Versprechen vergessen und einfach reingehn. Das darf nicht passieren.« Mrs. Murphy kannte ihren Menschen in- und auswendig.
»Es wird kalt«, lamentierte es aus dem Postkarren.
»Dafür hast du ein Fell«, erwiderte Murphy bissig.
»Ach ja?«
Murphy und Tucker sahen sich achselzuckend an.
Bei Dienstschluß schossen die Corgihündin und die Tigerkatze hinten zum Tiertürchen hinaus. Pewter blieb dicht bei Harry, als sie ihren unfolgsamen Lieblingen hinterher jagte. Obwohl neugierig, wollte die graue Katze sich nach ihrem Thunfisch-Abendbrot auf das Sofa vor dem Kamin kuscheln. So neugierig war sie nun auch wieder nicht.
Harry und Miranda versuchten der Katze und dem Hund den Weg abzuschneiden, aber die Tiere entkamen ihnen mühelos.
»Hin und wieder.« Harry schüttelte den Kopf.
»Ich halte die Augen nach ihnen offen.«
»Danke, Miranda. Ich schließe das Tiertürchen nicht ab. Ich weiß nicht, was das ist, manchmal kriegen sie einen Rappel.« Sie sah zum Himmel auf. »Wenigstens sieht es nach einer klaren Nacht aus. Kein Sturm zieht auf.«
Bedrückt verstaute Harry Pewter in der Fahrerkabine des alten Transporters und fuhr nach Hause.
»Die sind sehr ungezogen.« Pewter setzte sich direkt neben Harry.
»Bist ein braves Kätzchen.« Harry kraulte ihr den Kopf.
»Ich möchte bitte frischen Thunfisch«, schnurrte Pewter und schloß dabei halb die Augen, was sie niedlich aussehen ließ.
Murphy und Tucker kamen am Krankenhaus an, gerade als die Laderampe zugesperrt wurde. Sie huschten hinein und hörten das große Rolltor hinter sich zugehen.
»Das wird 'ne lange Nacht«, bemerkte Murphy.
»Ja, aber vielleicht macht später jemand den Hintereingang auf. Dann können wir raus.«
»Egal was passiert, wir wissen, daß wir morgen früh abhauen können. Wenn wir rumstöbern, finden wir bestimmt was zu essen.«
Sie hörten die Fahrstuhltüren auf- und zugehen. Es war Schichtwechsel. Die Leute von der Tagesschicht gingen nach Hause und die Nachtschicht, wesentlich kleiner an der Zahl, kam zur Arbeit. Dann Stille. Nicht einmal ein Schritt.
Sie prägten sich vorsichtshalber den Grundriß ein, während sie durch die Flure gingen, in den zentral gelegenen Heizungskeller hineinsahen und die Köpfe in alle offenen Schränke steckten.
Schließlich gingen sie in den Raum mit den Kartons.
»Clever, die Tür aufzulassen und lauter Kartons reinzupacken. Als ob es nichts zu verbergen gäbe«, bemerkte Murphy.
»Du kannst dich besser verstecken als ich.« Tucker sah sich suchend um. »Ich könnte mich da drüben in der dunkelsten Ecke flach hinlegen, und du schiebst einen Karton über mich drüber. Das dürfte gehn. Schließlich rechnet niemand hier mit einem Corgi.«
»Genau.«
Als Murphy Tucker zudeckte, hörten sie Schritte, leichte Schritte.
Wortlos kletterte die Katze ganz nach oben und zwängte sich zwischen zwei Kartons. Sie konnte alles sehen. Tuckers Gesicht, die Ohren verdeckt, lugte aus dem Karton in der dunklen Ecke. Beide Tiere hielten den Atem an.
Tussie Logan trat vorsichtig ein. Sie trug eine Pumpe und drückte auf den Stein in der Mauer. Die Tür glitt zur Seite. Tussie kletterte die Leiter hinunter, drückte unten einen Knopf, und der Fußboden schloß sich leise.
Keines der Tiere rührte sich. Drei Stunden später tat sich der Boden auf. Tussie kletterte die Leiter hoch, drückte dann auf den Stein. Sie sah zu, wie die Steinplatte sich an Ort und Stelle schob, prüfte sie mit dem Fuß, wischte sich die Hände ab, setzte ihre Schwesternhaube wieder auf und verschwand gähnend.
Die Tiere hörten sie durch den Korridor gehen, aber nicht zu den Fahrstühlen. Sie öffnete vielmehr die Hintertür und ging hinaus.
Tucker schüttelte grunzend den Karton von sich. »Der Boden ist kalt.«
»Laß uns gucken, ob wir hier raus können.«
Die zwei liefen zu der Tür am Ende des Korridors.
Tucker stellte sich auf die Hinterbeine. »Du schaffst es vielleicht.«
Murphy langte hinauf, aber es war ein bißchen zu hoch. »Nee.«
»Steig auf meinen Rücken.«
Die Katze sprang auf den kräftigen Rücken der Corgihündin. Sie bekam den Türknauf zu fassen und ihre geschickten Pfoten erledigten das Übrige. Sie öffneten die Tür und huschten hinaus, ohne sich die Mühe zu machen, sie wieder zu schließen.
Zwanzig Minuten später kratzten sie an Mirandas Hintertür.
Sie öffnete. »Abends halb zehn und kalt. Was habt ihr zwei Racker nur da draußen gemacht?«
»Wenn wir es dir bloß erzählen könnten.« Murphy seufzte.
»Kommt rein. Ihr seid bestimmt hungrig«, sagte die gütige Frau, die die ganze Welt füttern würde, wenn sie nur wüßte, wie.
Als an demselben kalten Abend um zehn Uhr das Telefon klingelte, nahm Mim, die früh zu Bett gegangen war, unwillig den Hörer ab.
Eine gedämpfte Stimme sagte: »In Ihrem Stall, morgen früh um neun.« Gleich darauf wurde aufgelegt.
Mim hatte einen Apparat mit Display, auf dem sie die Nummer des Anrufenden sehen konnte, und sie rief sofort Sheriff Shaw zu Hause an. Sie las ihm die Nummer vor - »823-9497« - und er wiederholte sie.
»Sie muß ein Stück Stoff oder so was über die Sprechmuschel gelegt haben, aber es war eine Frauenstimme«, erklärte Mim, »und sie kam mir bekannt vor.«
»Danke. Sie haben gute Arbeit geleistet. Ich postiere morgen einen Mann auf Ihrem Heuboden und ein Beamter wird auf dem Rücksitz Ihres Autos liegen. Parken Sie Ihr Auto beim Stall.«
»Mach ich.«
Als Rick die Telefonnummer überprüfte, stellte sich heraus, daß sie zu dem Münzfernsprecher auf dem Parkplatz des Supermarktes gehörte.
Harry bestrafte Mrs. Murphy und Tucker, die sich keineswegs reumütig zeigten, was Harry um so mehr erzürnte. Sie bedankte sich bei Miranda, weil sie die Tiere über Nacht bei sich behalten hatte. Das war um sieben Uhr morgens.
Bis halb acht hatte Rob Collier zwei Leinensäcke Post abgeladen, was einen leichten Tag verhieß. Während Harry Post sortierte und Miranda sich die Päckchen und dicken braunen Umschläge vornahm, berichteten die zwei verwegenen Kreaturen Pewter alles haarklein.
»Schwester Logan. Tussie Logan?« Pewter konnte es nicht fassen. »Man kann sie sich schwer als Mörderin vorstellen.«
»Wir haben nicht gesagt, daß sie die Mörderin ist. Nur daß sie in die Kammer runtergegangen und nach drei Stunden wieder rausgekommen ist. Wir vermuten, daß sie die Infusionspumpen reinigt.« Mrs. Murphy schlug einen erhabenen Ton an.
»Denkt an die ersten drei Scheiß-Drohbriefe« , sagte Pewter schlau.
Blauer Rauch kringelte sich gemächlich aufwärts, dann wurde er dünner. Wenn Rauch sank, wußten Jäger, die Witterung würde gut sein. Rick, der kein Fuchsjäger war, hätte mit Freuden eine gute Witterung aufgenommen, bildlich gesprochen. Er hatte das Gefühl, daß die Lösung zum Greifen nah war, doch sie entzog sich ihm wie eine zurückweichende Welle.
Die Temperatur hielt sich bei fünf Grad, aber es lag Schnee in der Luft. Rick blickte nach Westen zu den metallgrauen Wolken, die über die Gipfel des Blue-Ridge-Gebirges lugten. Den Jackenkragen hochgeschlagen, stand er etwa achthundert Meter von Mims Stall entfernt auf einer Hügelkuppe. Coop stand neben ihm, mit einem Handy ausgerüstet. Sie warteten auf den Anruf vom Stall.
»Ich finde immer, daß Mörder, genau wie Maler, ein Werkstück zurücklassen, das so unverwechselbar ist, daß man sie identifizieren kann - indem man sich die Leinwand ansieht. Manche töten aus Notwehr. Verständlich. Sogar anerkennenswert und kaum verwerflich.« Dampfender Atem entströmte seinem Mund.
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