Ich musterte ihr Gesicht. Sie erwiderte meinen Blick ernst.
»Was hat sie gesagt?« fragte ich.
»Dir ist wichtig, was sie denkt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ich glaube, das würde sie freuen.«
»Dann erzähl mal.«
»Noch nicht.« Sie lächelte flüchtig, beinah verstohlen. »Wie war das mit diesem Lunch?«
Wir gingen in ein Restaurant auf einem Turm und aßen mit Aussicht über halb London. »Consomme und Erdbeeren ... du tust was für meine Figur.«
»Nimm dir Zucker und Sahne.«
»Nicht, wenn du keine nimmst.«
»Du bist dünn genug«, sagte ich.
»Bekommst du das nicht manchmal satt?«
»So wenig zu essen? Und ob.«
»Aber du wirst nie schwach?«
»Ein Pfund Mehrgewicht im Sattel«, sagte ich bitter, »kann eine Länge Unterschied am Ziel bedeuten.«
»Ende der Diskussion.«
Beim Kaffee fragte ich, ob sie gern irgendwohin wollte, fügte aber entschuldigend hinzu, daß London sonntags ziemlich dichtzumachen schien, besonders im November.
»Ich würde gern sehen, wo du wohnst«, sagte sie. »Ich würd gern Lambourn sehen.«
»Gut«, sagte ich und fuhr mit ihr hin; siebzig Meilen westwärts die Autobahn M4 hinunter in Richtung Devon, wobei ich mich ausnahmsweise brav an das Tempolimit hielt. Schließlich bogen wir ab in das große Dorf, die kleine Stadt, wo die Kirche an der Hauptkreuzung stand und tausend Vollblüter in Boxen lebten.
»Es ist ruhig«, sagte sie.
»Es ist Sonntag.«
»Wo ist dein Cottage?«
»Wir fahren da vorbei«, sagte ich, »aber wir gehen nicht rein.«
Sie war verwirrt und anscheinend enttäuscht und schaute sehr lange zu mir herüber. »Warum nicht?«
Ich erklärte ihr, daß eingebrochen worden war und daß die Polizei sagte, die Wohnung sei durchsucht worden. »Die Eindringlinge haben nichts gefunden, worauf sie aus waren, und sie haben auch nichts gestohlen. Ich würde aber wetten, sie haben etwas zurückgelassen.«
»Was meinst du damit?«
»Langohriges Ungeziefer.«
»Wanzen?«
»Mm«, sagte ich. »Da drüben ist es.«
Wir fuhren langsam vorbei. Es gab kein Lebenszeichen. Keinen Hinweis darauf, daß schwere Jungs mit scharfen Messern im Gebüsch lauerten, was nach drei Tagen auch kaum anzunehmen war. Zu langweilig, zu kalt. Sie würden aber irgendwo lauschen; wenn nicht diese beiden, dann andere.
Das Cottage war aus Backsteinen gebaut, ziemlich schlicht, und hätte vielleicht im Juni viel besser ausgesehen, wenn Rosen da waren.
»Innen ist es ganz nett«, sagte ich.
»Aha.« Sie klang niedergeschlagen. »Okay. Das wäre erledigt.«
Ich fuhr um die Ecke und auf einen Hügel und brachte sie statt dessen zu dem neuen Haus.
»Wem gehört das denn?« sagte sie. »Das ist ja gut.«
»Es gehört mir.« Ich stieg aus und kramte nach den Schlüsseln. »Es steht leer. Komm, sieh es dir an.«
Der strahlende Tag ging zu Ende; aber noch fiel genügend direktes Sonnenlicht horizontal durch die Fenster ein, um die großen leeren Zimmer zu erhellen, und die Luft im Haus war zwar kalt, aber kein Problem für die Zentralheizung, die, als ich sie einschaltete, mit einem leisen Gluk-kern in Aktion trat. Es gab ein paar Glühbirnen, aber keine Lampenschirme. Keine Vorhänge. Keine Teppiche. Parkettboden überall, gefegt, aber nicht gebohnert. Spuren von Handwerkern in der ganzen Wohnung.
»Sie fangen gerade erst an zu streichen«, sagte ich und öffnete die Doppeltür vom Flur zum Wohnzimmer. »Wenn sie sich nicht sputen, werde ich ihnen bald Gesellschaft leisten.«
Im Wohnzimmer waren Gerüste für die Arbeit an der Decke aufgebaut, ein Heer von Farbkübeln stand herum, und der ganze Boden war mit Staubdecken verhüllt, um Spritzer zu vermeiden.
»Es ist riesig«, sagte sie. »Unglaublich.«
»Es hat eine große Küche. Ein Büro. Alles mögliche.« Ich erzählte ihr von dem bankrotten Bauunternehmer. »Er hatte es für sich entworfen.«
Wir gingen überall herum, überall durch und endeten in dem großen Raum direkt neben dem Wohnzimmer, dem Raum, in dem ich schlafen würde. Offenbar hatten die Tapezierer dort angefangen: Er war sauber, leer und fertig, das Bad gestrichen und gekachelt, das Parkett schwach schimmernd von der ersten Politur. Hier und da sprenkelte die Abendsonne die weißen Wände.
Danielle stand am Fenster und sah hinaus auf den schlammigen Platz, der im Sommer eine Terrasse mit Geranientöpfen sein würde. Die rechte Person . am rechten Ort . zur rechten Zeit.
»Legst du dich in mein Schlafzimmer?« sagte ich.
Sie drehte sich um, eingerahmt von der Sonne, ihr Haar wie ein Heiligenschein, ihr Gesicht im Schatten, schwer zu erkennen. Anscheinend horchte sie noch meinen Worten nach, wie um sicherzugehen, daß sie recht gehört und mich nicht falsch verstanden hatte.
»Auf den nackten Fußboden?« Ihre Stimme war ruhig, abwartend, freundlich und sanft.
»Wir könnten, ehm, vielleicht ein paar Staubdecken nehmen.«
Sie dachte darüber nach.
»Okay«, sagte sie.
Wir holten einige Staubdecken aus dem Wohnzimmer und ordneten sie ungefähr zu einem Rechteck, mit Kopfkissen.
»Ich habe schon bessere Ehebetten gesehen«, sagte sie.
Wir zogen ohne Eile unsere Kleider aus, legten sie auf den Boden. Keine wirklichen Überraschungen. Sie war, wie ich gedacht hatte, schlank und gerundet, ihre Haut glühte jetzt in der Sonne. Sie streckte die Finger aus und berührte leicht die Stichwunden, die verblassenden Prellungen, die bekannten Stellen.
Sie sagte: »Hast du, als du mich gestern auf dem Rennplatz bei der Siegerehrung angesehen hast, an das hier gedacht?«
»An etwas Ähnliches. War es so offensichtlich?«
»Unübersehbar.«
»Ich hatte es befürchtet.«
Danach redeten wir nicht mehr viel. Wir blieben noch eine Weile stehen, dann legten wir uns hin und lernten auf der harten Baumwollunterlage die letzten Dinge voneinander, gaben und empfingen Freude, strebten in Wellen zueinander hin und voneinander weg, mit leisem Murmeln und mit Heftigkeit und atemloser, elementarer Energie.
Das Sonnenlicht verschwand allmählich. Der Abendschein, der noch am Himmel war, spiegelte sich in ihren Augen und auf ihren Zähnen, vertiefte die Dunkelheit in Mulden und in ihrem Haar.
Am Ende der langen Ruhe danach sagte sie nüchtern: »Heißes Wasser gibt es wohl noch nicht?«
»Bestimmt sogar«, sagte ich träge. »Es ist an die Heizung angeschlossen. Licht- und Rohrleitungen, alles funktioniert.«
Wir standen auf und gingen ins Bad und drehten die Hähne auf, aber kein Licht an. Da drinnen war es dunkler, und wir bewegten uns wie Schemen, mehr Substanz als Form.
Ich stellte die Dusche warm ein. Danielle stieg mit mir drunter, und in dem Sprühregen liebten wir uns noch einmal zärtlich, mit Leidenschaft und Innigkeit, ihre Arme um meinen Hals, ihr Bauch flach an meinem, vereint, wie ich es noch nie im Leben gewesen war.
Schließlich drehte ich den Hahn zu.
»Es sind keine Handtücher da«, sagte ich.
»Aber immer noch die Staubdecken.«
Wir nahmen unser Bett auseinander und trockneten uns ab, küßten uns nochmals, gemäßigter, fühlten uns sauber. In beinah völliger Dunkelheit deponierten wir die Staubdecken im Wohnzimmer, schalteten die Heizung aus und verließen das Haus, das wir hinter uns absperrten.
Danielle schaute sich um, bevor sie ins Auto stieg. »Was jetzt wohl das Haus denkt?« sagte sie.
»Es denkt, mein lieber Schwan.«
»Das denke ich allerdings auch.«
Wir fuhren über die alte Strecke zurück nach London, nicht über die Autobahn; schlängelten uns durch die leeren Sonntagabendstraßen einer Reihe von Städten, warteten an Ampeln, zogen die Fahrt in die Länge. Schließlich parkte ich den Wagen im Londoner Zentrum, und wir gingen eine Weile zu Fuß, hielten an, um Menüs zu studieren, und aßen dann in einem belebten französischen Bistro mit rotkarierten Tischtüchern und einem androgynen Gitarristen; saßen händchenhaltend in einer Ecke, lasen die mit Kreide auf eine Tafel geschriebene Speisekarte.
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