«Ob du mich haßt oder nicht, ich möchte mit Thomas reden.«
Sie konnte schlecht behaupten, er sei nicht da, denn ich konnte ihn sehen. Innen bestanden die Haciendas aus türlos ineinander übergehenden, in sonderbaren Winkeln zueinander angelegten Räumen, die das sonderbar verwinkelte Äußere erklärten. Die Haustür führte in einen winkligen Ableger des Wohnzimmers, das keine Decke hatte, wo man eine erwartete, sondern sich in die Dachbalken hinaufschwang. Fenster, durch die man nicht schauen konnte, ließen an beliebigen Stellen der Wände das Tageslicht herein. Gräßlich, dachte ich, aber das war nur, wie Mr. West sagen würde, meine Meinung.
Thomas erhob sich aus einem der dick gepolsterten Armsessel, die er aus dem Bungalow mitgenommen hatte — bequeme alte Sessel, die in all der aggressiven Modernität fehl am Platz wirkten. Auf dem Stirnholzboden war kein Teppich, Thomas’ Schuhe quietschten darauf bei jedem Schritt.
«Komm rein, alter Junge«, sagte er.
«Wir brauchen ihn nicht«, wandte Berenice ein.
Thomas sah verhärmt aus, und ich erschrak. Mir wurde klar, daß ich ihn ziemlich lange nicht gesehen hatte. Alles Jugendliche war von ihm abgefallen, und ich dachte daran, wie er mit achtzehn, neunzehn gewesen war, fröhlich und voll guter Laune, wenn er an den Wochenenden kam und Serena zum Lachen brachte.
Zwanzig Jahre später wirkte er beinahe alt; der Kopf war kahler als auf dem letzten Foto, das ich von ihm aufgenommen hatte, der rote Schnurrbart weniger gut gepflegt, die Verzweiflung überdeutlich. Norman Wests Einschätzung vom drohenden Zusammenbruch erschien vorsichtig. Mir sah es so aus, als wäre er schon eingetreten. Thomas war weit mehr aus den Fugen als Gervase.
Ferdinand, so bestätigte er auf meine Frage hin, hatte ihm von Malcolms Testament erzählt und daß ich für Malcolm herausfinden sollte, wer ihm nach dem Leben trachtete. Dabei könne er mir nicht helfen, sagte Thomas.
Ich erinnerte ihn an den Tag, als der alte Fred den
Baumstumpf sprengte. Das habe Ferdinand auch erwähnt, sagte er. Thomas war dabeigewesen. Er erinnerte sich genau. Er hatte Serena auf den Schultern getragen, und Fred war umgepustet worden.
«Entsinnst du dich auch an die Zeitschalter, die wir immer gebastelt haben, mit dem Draht an den Uhrzeigern?«
Hohläugig starrte er mich an. Nach einer langen Pause sagte er:»Ja.«
«Thomas, hast du oder hat sonst jemand die noch gebaut, nachdem Gervase und Ferdinand von Quantum weggegangen sind?«
Berenice mischte sich ein.»Der gute Thomas brächte doch im Leben keinen Zeitschalter zustande, was, Liebling?«Ihr Tonfall war mitleidig, spöttisch, unfreundlich.
Thomas warf ihr einen gehetzten Blick zu, wehrte sich aber nicht.
«Jemand hat Robin und Peter eine Mickymausuhr mit angeklebtem weißem Isolierdraht geschenkt«, sagte ich.»Hübsch und bunt.«
Thomas schüttelte hilflos den Kopf.
«In dem Schutt von Quantum wurde ein an weißen Isolierdraht geklebter Uhrzeiger gefunden.«
«O mein Gott«, sagte Thomas unglücklich.
«Na und?«meinte Berenice.»Der gute Thomas übertreibt immer so.«
«Immerhin«, sagte ich,»hat jemand, der wußte, wie man diese Zeitschalter baut, Quantum in die Luft gesprengt.«
«Was soll’s«, sagte sie.»Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Thomas war. Zu wenig Mumm, Liebling, oder irre ich mich?«
Thomas sagte zu mir:»Willst du was trinken?«
Berenice sah irritiert drein. Daß er mich bat, auf einen Drink zu bleiben, war eine Auflehnung gegen ihre Wünsche. Das kam vermutlich nicht oft vor. Ich nahm dankend an, obwohl es gerade erst halb sechs war und für meinen Geschmack zum Trinken noch zu früh. Ich hatte die Zeit absichtlich gewählt in der Hoffnung, daß Thomas schon von seiner täglichen Wanderung zurück wäre, die Tochter aber nach der Schule noch bei ihrer Großmutter vorbeischauen würden.
Thomas quietschte über den Stirnholzboden zur Küche, die vom Wohnzimmer nur durch einen taillenhohen Tresen getrennt war, und fing an, Schränke zu öffnen. Er holte drei Gläser hervor, die er umständlich auf den Tresen stellte, und suchte dann endlos im Kühlschrank nach Sprudel. Berenice beobachtete ihn mit der Miene leidgeprüfter Ungeduld und machte keine Anstalten, ihm behilflich zu sein.
«Wir haben Gin irgendwo«, sagte er vage, nachdem er endlich das Tonic gefunden hatte.»Ich weiß nicht, wo Berenice die Sachen hintut. Dauernd sind sie woanders.«
«Der gute Thomas könnte nicht mal in einer Bibliothek ein Buch entdecken.«
Thomas warf ihr einen bitterbösen Blick zu, den sie entweder nicht sah oder geflissentlich ignorierte. Er öffnete noch einen Schrank und noch einen und fand schließlich unter dem fortgesetzten ungnädigen Schweigen seiner Frau eine fast volle Flasche Gordon’s Gin. Er kam damit ins Wohnzimmer und schenkte drei Gläser ein, die er ungenügend aus einem einzigen Fläschchen Tonic auffüllte.
Er gab mir ein Glas. Ich mochte Gin nicht besonders, aber es war nicht der Moment, das zu sagen.
Berenice hielt er das zweite Glas hin.
«Nein, danke«, sagte sie.
Thomas’ Hand zitterte. Er machte eine ungeschickte Bewegung, wie um das Glas an seine Lippen zu heben, setzte es dann mit einem Knall auf den Tresen und warf dabei versehentlich die Ginflasche um, so daß sie auf den Boden fiel, in grünglänzende Stücke zersprang und die Flüssigkeit sich als Lache ausbreitete.
Thomas bückte sich, um die Scherben aufzulesen. Berenice half ihm nicht.
Sie sagte:»Thomas macht auch gar nichts richtig, was, Liebling?«Die Worte waren nicht schlimmer als sonst, aber der beißende Sarkasmus in ihrem Ton hatte die Grenze des Erträglichen überschritten.
Thomas richtete sich mit haßerfülltem Gesicht auf, einmal zu oft getreten, und hielt das obere Ende der grünen Flasche um den Hals gefaßt, die Bruchstellen spitz wie Zähne. Rasch holte er zum Schlag aus. Berenice, in Selbstzufriedenheit gehüllt, sah nicht mal zu ihm hin und schien von der Gefahr, in der sie schwebte, nichts zu ahnen.
Malcolm hatte gesagt, ich sei reaktionsschnell… Ich stellte mein Glas hin, packte Berenice an beiden Armen und riß sie abrupt aus der Reichweite der messerscharfen Waffe. Sie war erbost, empörte sich ungläubig, als sie, mehr oder minder von mir zu Boden geschleudert, auf allen vieren landete, und wußte noch immer nicht, was geschehen war.
Thomas sah einen langen, verständnislosen Augenblick auf die Verletzung, die er mir beigebracht hatte, ließ dann die furchterregende Flasche fallen und wandte sich ab, um blind auf seine Haustür zuzustolpern. Ich machte zwei Schritte und packte ihn am Arm.
«Laß mich…«Er wollte sich losreißen, aber ich hielt ihn fest.»Laß mich… Nichts kann ich richtig machen… sie hat recht.«
«Sie hat verdammt unrecht.«
Ich war stärker als er. Ich zerrte ihn praktisch durch das
Zimmer und warf ihn auf einen der Sessel.
«Ich habe dich verletzt«, sagte er.
«Ja, ja, schon gut. Jetzt hör mal zu. Hört mir beide zu. Das ist Irrsinn mit euch. Es wird Zeit, daß ihr einigen Tatsachen ins Auge seht.«
Berenice hatte endlich begriffen, wie knapp sie daran vorbeigekommen war, der Nähkunst eines Arztes zu bedürfen. Grimmig blickte sie auf die Stelle an meiner linken Schulter, wo Jersey und Hemd aufgeschlitzt waren und einige Schnittwunden bluteten. Mit bitter vorwurfsvollem Gesicht wandte sie sich Thomas zu und öffnete den Mund.
«Sei still«, sagte ich grob.»Falls du ihm sagen willst, er sei unfähig, laß es. Falls du meckern willst, er hätte dich verletzen können — stimmt, das hätte er, er hat’s versucht. Setz dich, und sei still.«
«Versucht?«Sie konnte es nicht glauben. Schwach setzte sie sich hin, das Haar zerzaust, der Körper schlaff, der Blick entgeistert.
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