«Die?«sagte Yale bestürzt.
«Sie waren leicht zu basteln. Sie waren interessant. Ich weiß nicht, wie viele wir hatten, aber bestimmt so einige.«
«Mein Gott.«
«Im Spielzimmer könnte noch eins sein«, sagte ich.»Da stehen die alten Modellbahnen.«
Yale sah mich böse an.»Wie viele Ihrer Angehörigen haben diese Geräte gesehen?«fragte er.
«Jeder.«
«Wer hat sie gebaut?«
«Ich, Gervase und Ferdinand. Auch Thomas. Ich entsinne mich nicht, wer sonst noch.«
«Aber Ihre ganze Familie weiß, wie man einen einfachen Zeitschalter baut?«
«Ja, ich nehme es an.«
«Und warum«, sagte er,»haben Sie das nicht schon früher erwähnt?«
Ich seufzte und drehte den verkabelten Uhrzeiger in meinen Fingern.»Zunächst mal«, sagte ich,»weil es mir erst eingefallen ist, nachdem ich neulich von hier weggefahren war. Nachdem wir das Schwarzpulver ausgegraben hatten und so weiter und ich in die Vergangenheit zurückgeblickt hatte. Ich wollte auch nicht, daß Sie das hier finden. Ich wollte, daß Sie etwas Raffiniertes finden, etwas, das keiner von der Familie sich hätte ausdenken können.«
«Hm. «Er akzeptierte das anscheinend.»Wie viele Leute außerhalb Ihrer Familie wußten von diesen Uhren?«
«Mehrere, nehme ich an, aber es ist so lange her. Niemand würde sich daran erinnern, oder?«
«Vielleicht doch. «Yale wandte sich Smith zu.»Dieses Spielzeug hat wirklich die Bombe ausgelöst?«
Smith nickte.»Hört sich ganz richtig an. Drahtverbindung zu einem Zünder, statt wie bei den Pembroke-Kindern zu einer Taschenlampenbirne…«Er breitete die Hände aus.»Mehr Strom wäre nicht nötig.«
Kein Wunder, daß beschlossen wurde, einen Blick in das Spielzimmer zu werfen. Vorsichtig bahnten sie sich einen Weg durch das knöchelgefährdende Geröll und strebten auf den Korridor zu, der inzwischen relativ freigeräumt war. Im Spielzimmer war es durch die mit Sperrholz vernagelten Fenster halb dunkel. Ein wenig Licht drang zur Tür herein, aber es dauerte ein paar Minuten, bis unsere Augen sich angepaßt hatten, so daß Yale erst einmal gegen die Fahrräder stieß und sie umwarf. Ich half ihm, sie aufzuheben. Er wollte wissen, wem sie gehörten, und ich erzählte ihm von Peter und Robin.
Ohne sich weiter dazu zu äußern, beobachtete er, wie ich zu den Regalen hinüberging und mir die Kisten vornahm. Ich war seit den Zeiten der Zwillinge überhaupt nicht mehr in dem Zimmer gewesen, und ihre eigenen Spielsachen hatten die von ihren älteren Geschwistern abgelegten oder ausrangierten Teile derart überwuchert, daß mir das meiste, was ich sah, unbekannt vorkam, als gehöre es Fremden. Erst nach einigen Minuten machte ich die gesuchte Kiste ausfindig, nahm sie vom Regal herunter und stellte sie auf den Tisch.
Irgend jemand, vermutlich Coochie, hatte die Eisenbahn endgültig weggepackt, nachdem Gervase und Ferdinand aus dem Haus waren und ich nur noch mit Schule und Pferden zu tun hatte. Einmal war die Anlage durch das halbe Zimmer gelaufen, aber Peter und Robin waren fernsehsüchtiger gewesen als wir anderen und hatten sie nicht wieder hervorgeholt. Ich machte die Kiste auf und fand die alten Schätze unberührt, ein wenig verbeulter, als ich gedacht hatte, mit Rost an den vielbenutzten Rädern.
Ich holte ein paar Lokomotiven und etliche Wagen heraus, danach einen Tunnel, ein Stellwerk mit roten und grünen Birnen und einen braunen Plastikbahnhof, verziert mit leeren Lampenfassungen zwischen den Reklameschildern. Wahrscheinlich kamen jedem Erwachsenen die wiederentdeckten Spielsachen seiner Kindheit kleiner, toter, weniger reizvoll vor, als er sie im Gedächtnis hatte. Die Züge waren verstaubt und traurig, Wegwerfrelikte für den Container draußen, deprimierend. Die kleinen Lichter brannten längst nicht mehr.
Ich nahm alles aus der Kiste, aber Uhren waren nicht dabei.
Smith begann sämtliche Schachteln durchzusehen, deren Inhalt nicht gleich am Deckelbild kenntlich war. Yale tat mit hoffnungslosem Gesichtsausdruck dasselbe. Ich übergab die Eisenbahn bedauernd wieder der Vergessenheit.
«Na, sieh mal an«, sagte Smith plötzlich.»Volltreffer.«
Aus einem Gewirr von Legobauten hatte er eine bunte, neu wirkende Uhr mit einem Mickymauszifferblatt in unverblaßtem Technicolor hervorgezogen. Mickys Hände mit den dicken weißen Handschuhen waren die Zeiger der Uhr. An dem Minutenzeiger war ein Röllchen weißen Isolierdrahts befestigt. Eine zweite weiße Drahtrolle klebte auf dem roten Uhrgehäuse, ihr offengelegtes Ende ragte über der Zwölf nach vorn. Als Smith das Ganze hochhielt, hingen die weißen Rollen wie Papierschlangen herunter.
Ich betrachtete die Uhr verständnislos.
«Die habe ich noch nie gesehen«, sagte ich.»Wir haben sie nicht ausgeschmückt. Unsere waren«- ich suchte nach dem Wort —»funktional.«
Smith stöberte in Legoland.»Keine Batterie zu finden«, meldete er.»Auch keine Glühbirne, was das anbelangt.«
Eine Pause.»Moment mal. «Er klapperte herum und brachte schließlich triumphierend einen rotweißen Legoturm zum Vorschein, in dessen Spitze eine Glühbirnenfassung befestigt war.
«Ein Leuchtturm, meinen Sie nicht?«fragte er, als er ihn hinstellte.»Hübsch.«
«Irgend jemand hat das für Ihre Zwillingsbrüder gemacht«, sagte Yale.»Haben Sie’s bestimmt noch nie gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf.»Damals wohnte ich nicht hier, ich kam nur zu Besuch. Die Zwillinge hatten jedenfalls eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Sie wurden neues Spielzeug ziemlich schnell satt. Wollten immer gleich zum nächsten übergehen.«»Ich werde feststellen, wer das gebaut hat«, sagte Yale.
«Hätten Sie eine Schachtel dafür? Sie bekommen natürlich eine Quittung.«
Smith suchte ihm eine leere Legoschachtel, und darin verstauten sie den bunten Stargast des Dramas, das das halbe Haus zum Einsturz gebracht hatte. In der Schachtel war noch Platz für den Leuchtturm, also legten sie den dazu. Yale quittierte mir feierlich den Empfang auf einer Seite seines Notizbuchs, die er herausriß, dann traten wir hinaus ans Tageslicht, auf das sich unsere Augen nach dem Halbdunkel blinzelnd erst wieder einstellen mußten.
Auf dem Rückweg in Richtung Zeichentisch sagte Smith:»Wir haben alle gefundenen Kleidungsstücke auf einen Tisch in der Garage gelegt. Ich fürchte, das meiste ist zerfetzt und unbrauchbar, aber vielleicht wollen Sie sich selbst überzeugen. Alle persönlichen Dinge, die wir geborgen haben, sind in einem Pappkarton. Möchten Sie die heute mitnehmen oder warten, bis wir fertig sind?«
«Ansehen gleich, mitnehmen später«, sagte ich.
Smith lächelte halb.»Sie sind in dem Karton da unterm Tisch.«
Ich kauerte mich neben den braunen Pappkarton und schluck die Deckklappen zurück. Er enthielt eine recht umfangreiche Sammlung staubigen Allerleis, mehr, als ich erwartet hatte. Ich nahm eine von Malcolms geliebten Bürsten heraus und fuhr mit dem Finger über ihren golden und silbern ziselierten Rücken. Der Staub fiel ab, und das Metall glänzte im Sonnenlicht. Er wird sich freuen, dachte ich.
«Wir haben fünf davon gefunden«, bemerkte Smith.
«Zwei sind arg verbeult, die anderen sehen noch gut aus.«
«Es waren acht«, sagte ich.»In seinem Ankleidezimmer.«
Er zuckte die Achseln.»Vielleicht finden wir noch welche.«
Ich drehte ein paar Sachen in der Kiste um. Das meiste war uninteressant, wie etwa ein Röhrchen Aspirin aus dem Badezimmer. Zuunterst stieß ich auf ein, zwei Dinge, die mir selbst gehörten — ein leerer Toilettenbeutel und der Kassettenrecorder.
Ich nahm den Recorder heraus, richtete mich auf und stellte ihn auf den Tisch. Drückte die Starttaste. Nichts geschah.
«Es war immerhin möglich, daß Sie ihn haben wollten«, sagte Smith gleichmütig.»Er funktioniert zwar nicht mehr, aber vielleicht möchten Sie ihn reparieren lassen.«
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